Bastis Welt. Moni Rehbein

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Bastis Welt - Moni Rehbein


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auch er zu schreien: »Diese Scheißdrecksding nervt nur! Die von der Telekom gehören alle vergast! Und die von der Regierung auch! Die stecken alle unter einer Decke!!!«

      »Willst du damit etwa sagen, die Regierung sei schuld? Hat etwa die Regierung unser Telefon die Treppe runtergeworfen? Oder die Telekom? Ich will jetzt SOFORT wissen, warum du das Telefon kaputt gemacht hast!«

      »Dieses Ding nervt nur. Daran ist nur die Regierung schuld. Die stecken mit der Telekom doch unter einer Decke. Atombomben sollte man da reinwerfen! JA! Vernichten sollte man sie alle! Diese Drecksamerikaner, die fangen auch immer nur Krieg an! Die wollen uns alle vernichten!« Seine Stimme war immer lauter geworden und sein Gesicht hatte eine ungesunde Röte angenommen.

      Ich hatte langsam genug. »Jetzt kann ich schon wieder ein neues Telefon kaufen. Zweihundertfünfzig Mark hat das gekostet. Ich nehme das von deinem Sparbuch. Geh in dein Zimmer.« Diesmal hatte ich ihn getroffen.

      »Ich brauche kein neues Telefon. Lass mein Sparbuch in Ruhe. Dieses Dreckstelefon ist eh ein Scheiß!« Damit verschwand er in seinem Zimmer und knallte laut die Tür hinter sich zu.

      Ich schloss unser altes Kabeltelefon wieder an und wartete ein paar Tage ab. Meine Wut verrauchte nur langsam und immer, wenn ich das alte hässliche Ding benutzte, kochte der Zorn wieder hoch. Was war nur los mit Bastian? Ich konnte mir keinen Reim auf seine Zerstörungswut machen. Hatte er auch die ersten beiden Male das Telefon zerstört? Lag es etwa gar nicht an dem defekten Apparat? Hatte Basti nur mal wieder seine Wut an etwas auslassen müssen? Warum aber am Telefon?

      Es nutzte alles nichts. Meine Fragen blieben unbeantwortet. Aus Basti war kein Wort zu seinem sinnlosen Zorn herauszubekommen. Ich musste wohl wieder zur Telekom gehen und die Einzelteile gegen ein komplettes Fernsprechgerät austauschen.

      Schweren Herzens und voller Scham machte ich mich Tage später auf den Weg. Das Geld hatte ich tatsächlich von Bastis Sparbuch genommen. Es sollte ihm eine Lehre sein.

      Zum Glück bediente mich bei der Telekom ein anderer Sachbearbeiter. So musste ich wenigstens nicht erklären, warum ich schon wieder da war. Der Mann war, wie auch sein Vorgänger, sehr freundlich und hilfsbereit, aber den neuen Apparat musste ich dennoch bezahlen. Weitere zweihundertfünfzig Mark wechselten den Besitzer. Diesmal speicherte ich gar nicht erst alle Nummern neu ein, wer weiß, wie lange das Telefon heil bleiben würde.

      Ein neues Jahr begann. Die gute Deutsche Mark wurde in Euro umgewechselt und die Preise halbierten sich, auch die Preise für neue Telefone. Tolle Sache – doch die Löhne wurden auch halbiert und so blieb im Grunde alles beim Alten, nicht nur der Preis sondern auch der Verschleiß meiner Telefone. Vermutlich war mein Sohn heimlich mit einem Projekt beschäftigt, das es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Telekom zu sanieren – mit meinen Einkäufen!

      Bastian hatte endlich begriffen, dass man Telefone nicht herumwirft, deshalb trampelte er das nächste Mal darauf herum. Nachdem wir mit der Zeit alle Möglichkeiten der Telefonzerstörung durch hatten, machte er sich daran, die Stabilität der Ladestation zu testen und – keiner hätte es vermutet – Ladestationen halten der Wut von Heranwachsenden auch nicht stand. Allerdings war sie nicht ganz kaputt, die Funkvorrichtung funktionierte noch, deshalb brauchte ich nur eine neue Ladevorrichtung und die war billiger als ein Telefon. Das sollte nun allerdings nicht bedeuten, dass ich darüber glücklicher war.

      Eines Tages hatte ich Urlaub und war zu Hause. Viele Bekannte nutzten die Gelegenheit, mal wieder mit mir zu telefonieren und ich genoss es, dass mein Telefon mal nicht kaputt war. Zwischendurch kam auch ein Anruf, bei dem sich jemand verwählt hatte, der das große Elektrofachgeschäft in unserem Ort haben wollte.

      Nachdem wenige Tage meines Urlaubs verstrichen waren, telefonierte ich mit Jana, meiner Freundin, die auch einen autistischen Sohn hat.

      Da wir endlich mal wieder wirklich ausgiebig Zeit zum Telefonieren hatten, kamen wir irgendwann auch auf die Zerbrechlichkeit der modernen Kommunikationsapparate zu sprechen. Jana hatte es schon immer verstanden, durch gezielte Fragen den Dingen auf die Spur zu kommen. Sie war schon so etwas wie eine Fachfrau zum Thema »Autismus« – wie wohl viele Mütter mit einem autistischen Kind. Doch oft sieht man bei anderen die Dinge klarer, weil man objektiver sein kann.

      Auf jeden Fall war Jana schon oft ein Segen für mich, so auch diesmal.

      »Erinnere dich, hast du in letzter Zeit bedrohliche Anrufe erhalten?«

      Ich erinnerte mich noch gut an das schlechte Gefühl, ein paar Jahre zuvor, als ich in den frühen Morgenstunden einen wirklich perversen Anruf bekommen hatte, und dass ich das gar nicht so gleichmütig nehmen konnte, wie ich immer geglaubt hatte, wenn ich so etwas im Fernsehen sah. Aber das war damals ein einmaliges Erlebnis gewesen und so verneinte ich Janas Frage.

      »Waren sonst irgendwelche ungewöhnlichen Anrufe?«

      Konzentriert dachte ich nach, konnte mich aber nicht erinnern. Ich dachte natürlich an solche Dinge wie Rauschen in der Leitung, hohe Pfeiftöne, unbekannte Tonsignale … kleine grüne Wesen mit Antennen auf den Köpfen … Dabei entschloss ich mich dann, vielleicht doch nicht so oft Mystery-Serien zu sehen.

      »N … n … nein«, ich zögerte ein wenig, wer weiß schon, wie Aliens wirklich klingen?

      »Hat sich vielleicht jemand verwählt?«

      »Ja, aber was hat das damit zu tun?«

      »Erzähl mal davon!«

      Ich verstand nicht, worauf sie raus wollte. Ich hatte Jana aber als eine besonnene Frau kennengelernt und wusste, dass ihre Fragen einen bestimmten Zweck erfüllen sollten. »Na ja, gerade vor ein paar Tagen hat jemand angerufen und wollte mit der Computerabteilung verbunden werden. Ich dachte zuerst an einen Scherz, den ein Freund von Basti sich mit uns erlaubt, aber der Anrufer wollte wirklich die Computerabteilung vom Elektrogeschäft und nicht meinen computerverrückten Sohn.«

      »Und?«

      »Nichts ›und‹. Ich hab demjenigen erklärt, dass es sich um ein Missverständnis handelt und er hat sich entschuldigt und aufgelegt.«

      »Sag mal«, Jana gab immer noch keine Ruhe, »hast du ein Telefonbuch griffbereit?« Ich ging zur Schublade und nahm das Telefonbuch zur Hand, da hörte ich schon Janas ruhige Stimme wieder: »Schau doch mal nach, was das Geschäft für eine Nummer hat.«

      Ich schlug die entsprechende Seite auf und musste nicht lange suchen, denn der Fachhandel hatte eine halbe Seite des Telefonbuches belegt – in Großdruck. Ich starrte erstaunt auf die Anzeige. »Die haben ja genau die gleiche Nummer wie wir. Da ist nur eine 9 vor der Nummer.«

      Langsam begriff ich, worauf Jana hinauswollte, da stellte sie auch schon beharrlich die nächste Frage: »Der Falschwähler kürzlich bei dir wird ja wohl nicht der einzige gewesen sein. Du kennst doch deinen Sohn – was passiert, wenn er so einen Anruf bekommt?«

      Diesbezüglich konnte ich meinen Sohn wirklich genau einschätzen. Dieses Elektrogeschäft war eins seiner Lieblingsgeschäfte. Man bekam dort alles und was man nicht bekam, bestellten die freundlichen Verkäufer sofort und informierten einen sogar telefonisch, wenn der Artikel geliefert wurde. Zudem behandelten sie dort meinen Sohn höflich und mit Respekt, was nicht überall selbstverständlich ist. Es war eins der wenigen Geschäfte, in die mein Sohn ohne Begleitung ging, weil er sich dort wohl und sicher fühlte. So konnte ich also Janas Frage sehr überzeugt beantworten: »Er würde dem Anrufer höflich erklären, dass er sich verwählt hat und ihm vielleicht sogar die richtige Nummer raussuchen.«

      »Und was passiert, wenn der Anrufer gar nicht nachfragt, sondern sofort seinen Irrtum bemerkt und einfach auflegt?«

      Endlich begriff ich. Es war so einfach, ich Esel …

      »Er würde Panik bekommen …«

      »… und in der Panik bekommt er Wutanfälle und das äußert sich dann in Zerstörungswut …«

      »… und dann macht er das Telefon kaputt.«

      Gemeinsam hatten wir das Szenario zu Ende gesponnen und es war mir, als hätte man mir eine Decke von den Augen gezogen.


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