Das Leben ist ein Ponyhof. Anja Lerz

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Das Leben ist ein Ponyhof - Anja Lerz


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schmusig Elvis tagsüber veranlagt war, so kämpferisch war der kleine Kerl nachts unterwegs. Er hat unser Grundstück höchst energisch gegen jeden Katzeneindringling aus der Nachbarschaft verteidigt. Über ein Jahr lang gab es keinen Katzenkot auf unserer Wiese. Immer wieder kam Elvis allerdings auch mit Blessuren und oberflächlichen Wunden nach Hause. Die präsentierte er stolz wie ein Ritter der Tafelrunde. Und entsprechend habe ich meinen „Lanzelot“ gewürdigt, gesalbt und gepflegt.

      Ein gutes Jahr, nachdem Elvis bei uns eingezogen war, begann das Elend. Immer öfter erbrach er sich – wohlerzogen, wie er von irgendwem war – in sein Katzenklo. Er wurde zusehends dünner. Die tierärztliche Diagnose war niederschmetternd: Inoperabler Tumor, der den Magen abschnürt. Deshalb also hatten wir anfangs gedacht, Elvis sei eine trächtige Katze. Der Tumor war schon da gewesen, hatte ihn aber noch nicht beeinträchtigt. Nun begann Elvis sich zu quälen.

      „Je eher Sie ihn einschläfern lassen, desto weniger muss er leiden“, sagte die Tierärztin.

      Und ich beschloss, dass mein Abschiedsschmerz weniger wiegt als die Qual meines Freundes. Ich handhabte den Abschied anders als mein Paps vor vielen Jahren und gab den Kindern einen Tag, um ganz bewusst Abschied zu nehmen. Dann war es an mir, diesen schrecklichen Gang mit Elvis in seinem Katzenkörbchen anzutreten. Still und ergeben lag er auf dem Untersuchungstisch der Praxis. Ich hielt seinen Kopf, als er die Beruhigungsspritze bekam, kraulte seinen Nacken – und er schnurrte dabei wohlig wie immer. Schläfrig leckte er mit seiner rauen Zunge über meine Hand. Dann bekam er die Todesspritze, und schnell und schmerzlos war alles vorbei. Ich konnte sofort sehen, dass Elvis uns verlassen hatte und da nur noch eine Hülle auf dem Tisch lag. Den Kadaver habe ich nicht mehr mit nach Hause genommen. Ich wollte, dass alle den lebendigen Elvis in Erinnerung behalten. Die ersten Wochen ohne ihn waren schwer. Wir erwarteten tagsüber ständig, dass unser Freund auf leisen Pfoten um die Ecke kam, um uns freudig zu begrüßen.

      Dafür, dass wir nie Haustiere haben wollten, trauerten mein Mann und ich sehr intensiv um Elvis. Dabei war er nur ein gutes Jahr bei uns gewesen! Erstaunlich, wie schnell man sich an einen liebenswerten Hausgenossen gewöhnen kann! Und plötzlich konnte ich auch den Dichter Erich Fried besser verstehen. Von bittersüßen Liebeserfahrungen mit Männern bin ich ja verschont geblieben. Deshalb konnte ich so manches Liebesgedicht zwar schön finden, aber nicht unbedingt nachvollziehen. Dank Elvis wurden diese Zeilen plötzlich für mich lebendig:

      „Das Leben wäre vielleicht einfacher, wenn ich dich gar nicht getroffen hätte. Weniger Trauer …., wenn wir uns trennen müssen … Das Leben wäre vielleicht einfacher, wenn ich dich nicht getroffen hätte. Es wäre nur nicht mein Leben.“

      Aber selbst Kesha und Kira, Maxi und das weiße Kaninchen, das nicht lange genug lebte, um von uns einen passenden Namen zu bekommen, haben mich viel über das Leben gelehrt. Vor allem, dass Gott sich etwas dabei denkt, wenn er uns „zwangsbeglückt“ – also mit Unerbetenem und Ungewolltem beschenkt. Durch diese Tiere habe ich trainiert, Verantwortung zu übernehmen, die ich gar nicht gesucht habe. Deshalb kann ich heute gut für Menschen da sein, die ich mir auch nicht ausgesucht habe. Gott weiß schon, welche Leute er zusammenbringt!

      Außerdem ist mir deutlich geworden, dass manchmal Dichter und Denker Sätze formulieren, die so voller Weisheit sind, dass sie genauso in der Bibel stehen könnten. Manchmal benutzt Gott auch eine nichtfromme Weise, um Wahrheiten unter das Volk zu streuen!

      Der Pudel, der Kater, die Kaninchen und Vögel, die ungebeten in mein Leben gekommen sind, haben mir gezeigt, wie wahr diese berühmte Aussage in Der kleine Prinz ist: „Du bist ein Leben lang verantwortlich für das, was du dir vertraut gemacht hast.“

      Allerdings spitze ich den Satz nach meinen Erfahrungen noch mal so zu: „Du bist ein Leben lang verantwortlich für die, mit denen du vertraut gemacht wurdest.“

      Und ich möchte gerne hinzufügen, dass so eine „Zwangsverantwortung“ auch immer beglückende Erfahrungen im Gepäck hatte. Wie schön ist das heute, mit den erwachsenen Kindern Familienanekdoten auszutauschen! Zu den „Weißt du noch?“ gehören auch die ungebetenen Hausgenossen Maxi, Kesha, Kira und Elvis. Wir kichern dann über den „Methusalem-Hasen“ oder den „russischen Psycho-Vogel“. Und ich stelle mir gerne vor, Oma zu sein und die Familientiergeschichten einem staunenden Enkelpublikum farbenprächtig ausgeschmückt zu präsentieren. Ganz in der Tradition meines Papas. Der von Tieren zwar wenig Ahnung hatte, aber wunderbare Geschichten über sie erzählen konnte.

       Christiane Müller

      „Auuuua!!!!“

      Ich erwache, jäh aus den Träumen gerissen, mit einem grellen Schmerzensschrei, völlig desorientiert im Dunkeln. Mein rechter Fuß steht in Flammen. Sekundenbruchteile später weiß ich jedoch zum Glück, wer und wo ich bin. Die Leuchtzifferanzeige des Radioweckers zeigt 5 : 47 Uhr. Heute ist Samstag. Ich befinde mich im Schlafzimmer des Pfarrhauses der Lutherkirche zu Lauerstadt an der Laber. Ich bin seit knapp einem Jahr die Pfarrerin dieser Gemeinde. Und Jessy, meine völlig bescheuerte rotbraune Tigerkatze, hat soeben im frühmorgendlichen Jagd-und Spieltrieb meinen rechten Fuß attackiert. Wahrscheinlich habe ich mich im Halbschlaf geräkelt. Dabei hat sich meine große Zehe unvorsichtigerweise unter der Bettdecke hervorgeschoben. Und dann gab es für Jessy kein Halten mehr. Was sich im Dunkeln bewegt, wird attackiert! Auf ihn mit Gebrüll! Wo ist die Übeltäterin jetzt? Vermutlich unterm Bett. Ich beuge mich vorsichtig über die Kante und luge darunter. Ein grünes Augenpaar leuchtet mir entgegen.

      „Doofes Vieh!“, knurre ich heiser.

      Noch leicht benommen, stehe ich leise fluchend (der Herr möge mir verzeihen) auf, humple ins Badezimmer und betrachte die Misere. Vier feine blutige Striemen zieren meinen Fußrücken. Es könnte schlimmer sein. Ich streiche etwas Wundsalbe darauf, lege mich wieder hin und döse ein wenig ein.

      Doch bald hat es mit der Ruhe ein Ende.

      „Chrrr …“ macht es unter dem Bett. Ein kehliger, asthmatischer Laut.

      Und dann noch einmal etwas lauter: „Chrrr …“

      Es klingt wie Darth Vader vor dem ultimativen Showdown: „Chrrrrrrr … ICH … chrrrrrr … BIN … chhhrrrrrrr … DEINE … chhhrrrrrrrrr … KATZE … chhhhrrrrrr …!“

      Meine, pardon, Jessys Tierärztin Frau Dr. Gabler hat auch keine Ahnung, was mit der Stimme sein könnte: „Es klingt seltsam, Frau Müller. Aber ich glaube, bei Ihrer Jessy ist irgendwie die Schnurrfunktion kaputt. Im Röntgenbild sieht man nichts. Das ist sehr eigenartig, aber offenbar geht es ihr gut damit. Vielleicht hat sie irgendetwas mit der Luftröhre, aber solange sie normal frisst und munter ist, würde ich da mal nichts weiter machen.“

      Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt. Andere Katzen schnurren. Jessy macht mit halboffenem Maul „Chrrr“. Zumindest kann ich dank dieses „Chrrr“ immer sehr genau orten, wo sie gerade steckt. Nun nähert sich das Geräusch. Und ich weiß genau, was jetzt kommt. Gleich wird sie zu mir ins Bett springen und es sich auf der Bettdecke bequem machen. Erst am Fußende. Dann wird sie sich immer weiter nach oben arbeiten, sich auf meiner Brust niederlassen, mir tief in die Augen schauen und mir dabei ihren Pestodem ins Gesicht blasen. Dem entkomme ich, ihrer Majestät ergebene Dienerin, nur dann, wenn ich mich von meinem Lager erhebe und ihr das Frühstück bereite.

      Es hat also alles keinen Sinn. Die Nacht ist vorbei. Ich seufze ergeben, werfe mir den Bademantel über und tappe kurzsichtig in die Küche. Ein schwarzer Tee und Müsli für mich. Whiskas für Madame. Ich setze Teewasser auf und will mich eben auf dem Sofa niederlassen. Da höre ich aus der Küche ein leider nur allzu vertrautes Geräusch.

      Bitte nicht. Bitte nicht vor sieben Uhr am Samstagmorgen!

      Es klingt etwa wie: Hhhhhnnnnggggggg … hhhhhnnnnggggg …

      Ich stürze zurück in die Küche, packe meine würgende Katze im Nackenfell und manövriere sie ins Badezimmer.

      Und noch einmal macht


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