Als Großvater im Jahr 1927 mit einer Bombe in den Dorfbach sprang, um die Weltrevolution in Gang zu setzen. Lothar Becker
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Struktur
5 Seitenzahlen im gedruckten Buch
Inhalt
10 Kapitel 10
11 Kapitel 11
12 Kapitel 12
13 Kapitel 13
14 Kapitel 14
15 Kapitel 15
16 Kapitel 16
17 Kapitel 17
18 Kapitel 18
19 Kapitel 19
20 Kapitel 20
21 Kapitel 21
22 Kapitel 22
23 Kapitel 23
24 Kapitel 24
25 Kapitel 25
26 Kapitel 26
28 Impressum
Kapitel 1
Großvater schwamm den Dorfbach hinunter. Mit einer Bombe in seinem Koffer und dem festen Glauben an die Weltrevolution stürzte er sich an einem warmen Tag im April des Jahres 1927 kopfüber in das Wasser und schoss wie ein Aal mit der Strömung bachabwärts. Das Wasser trug ihn über die rundgespülten Steine und über den Schlamm und den Morast und jede Art angeschwemmten Unrats, und viel schneller, als er es für möglich gehalten hatte, war das Dorf in weite Ferne gerückt, und das Sägewerk und die Kuhweiden und zuletzt auch die Sandgrube mit ihren wie Pyramiden aufgetürmten Kieshalden. Kilometer um Kilometer trieb er zwischen braunen, in der Sonne dampfenden Feldern und kühlen, schattigen Waldstücken auf den Fluss zu, mehrmals stieß er gegen tief herabhängende Äste und aus dem Wasser ragende Felsen, und der Bach schäumte und gurgelte und schleuderte ihn nach allen Seiten, aber Großvater presste den Koffer mit der Bombe fest an sich und dachte an Genosse Frank, der, obwohl er es fest versprochen hatte, nicht zurückgekommen war, und daran, dass die Welt eines Tages gerechter sein würde, aber nur dann, wenn man sich selbst nicht schonte und bereit war, etwas dafür zu tun.
Seltsamerweise dachte er auch an die Schlachtfeste vor dem ersten Frost im Herbst, an kalte Tage voller Bierdunst und Blut, und er fand es erschreckend, wie schnell ein eben noch quicklebendiges Schwein zu einer Brühwurst in einem Kessel auf einer Herdplatte wurde, zu etwas, worauf man Senf schmierte und es sich mit Sauerkraut und Salzkartoffeln schmecken ließ. Großvater war jemand, der sich unentwegt Gedanken machte, selbst dann, wenn er in einem ungeheuren Tempo durch ein Bachbett glitt. In Großvaters Kopf arbeitete es ständig. Nicht ausschließlich auf eine gesunde Art und Weise, das muss man zugeben. Manchmal, wenn er an die Befreiung der Menschheit dachte, verließ ihn ein großer Teil seiner Zurechnungsfähigkeit, und es konnte passieren, dass er die polizeiliche Anordnung von Intelligenz, die Besteuerung von Armut oder die Freigabe der Herstellung von Banknoten zu privaten Zwecken für einen geeigneten Weg hielt, die Ungerechtigkeit auf der Welt zu beseitigen. Auf die Idee, dass dieses Ziel auch mit einer gezielt gezündeten Bombe erreicht werden konnte, wäre er allerdings nie gekommen. Herbert, der im Dorf die Hühner schlachtete, hatte diesen Aspekt ins Spiel gebracht.
»Die Welt kann nur durch eine Revolution geändert werden«, hatte er eines Abends im Winter zu Großvater gesagt, »durch einen Aufstand der Armen gegen die Reichen. Die Menschenrechte müssen erkämpft werden. Erkämpft, hörst du? Mit Waffengewalt. So wie in Russland. Da hat es doch auch funktioniert!«
Draußen hatte ein eisiger Wind um das Haus geheult und der Regen war nach und nach zu Schnee geworden.
»Ich weiß nicht«, hatte Großvater geantwortet. »Ich würde es lieber mit einem Verbot von Dummheit versuchen.«
»Unfug«, hatte Herbert gesagt. »Ein Verbot von Dummheit ist dasselbe wie ein Verbot von Krankheiten. Dabei kommt nichts heraus. Außerdem gehört Dummheit zu den elementaren Menschenrechten! Wenn du die Dummheit verbietest, trete ich aus der Kommunistischen Partei aus, nur damit du es weißt!«
»Nun mach mal langsam«, hatte Großvater gesagt.
»Ist aber so«, hatte Herbert geantwortet. »Außerdem möchte ich wissen, wie du das machen willst!«