121 DATES. Wendy Newman
Читать онлайн книгу.gab ich dem Druck meiner Freunde nach, die mir ständig sagten, dass ich mich wieder auf die Suche machen sollte. Die Webseite rechnete aus, dass Shawn und ich zu 94 Prozent übereinstimmen. Vierundneunzig Prozent! Warum nicht? Ich schrieb ihn zuerst an und fühlte mich sofort unsicher. Ich fragte mich, ob er mich wirklich attraktiv fand oder mir nur deshalb antwortete, weil er gerade nichts Besseres in Aussicht hatte. War ich für ihn nur ein reifer Apfel in Reichweite?
Anfangs waren unsere E-Mails kurz und unbedeutend. Nach ungefähr zehn Tagen fing Shawn an, mich persönlichere Dinge zu fragen, um herauszufinden, ob wir zusammenpassen könnten. An diesem Punkt wurde ich offener für ihn, und die Sache fing an, spannend zu werden. Als unsere E-Mails länger und tiefgründiger wurden, erwachte in mir ein Gefühl, das ich schon länger nicht mehr gespürt hatte: Hoffnung.
Eines späten Abends hing ich im Bett herum und trank Eistee, während wir miteinander chatteten. Plötzlich schrieb er: „Kann ich dich stattdessen einfach anrufen?“ Endlich. Darauf folgte eine Woche, in der wir – meist vor dem Schlafengehen – telefonierten. Wir redeten über alles, von Alltäglichem über unsere Vorlieben, Abneigungen, Hobbys und Fitnessübungen bis hin zur Familiendynamik, bevor er mich fragte: „Können wir uns treffen?“ Puh!
Während ich jetzt, zwei Tage später, vor dem langen Spiegel stehe, stelle ich fest, dass ich meine Strategie perfekt durchgezogen habe. Und dass ich nicht allein bin. Meine alten Freunde, die Schmetterlinge (die Flugübungen in meinem Bauch machen), sind auch wieder da. Ich kann mein Lächeln nicht verbergen. Vielleicht ist er ja der Richtige. Vielleicht ...
Ich bin zwar pünktlich, doch Shawn ist mir zuvorgekommen und hat zwei Plätze am Ende des langen, schmalen Raums reserviert, der im Stil vergangener Zeiten eingerichtet ist. Es ist zwar dunkel in der Kneipe, aber er ist leicht zu erkennen – der Einzige, der allein an einem Tisch für zwölf Personen sitzt. Er sieht genauso aus wie auf den Fotos. Süß. Leicht graumeliertes dunkelbraunes Haar, ein schwarzes eckiges Brillengestell, das zu seiner Aussage »Ich arbeite in der Technikindustrie« passt, und ein strahlendes Lächeln. Er umarmt mich kurz und strahlt noch mehr, und ich atme still auf. Er mag mich und wirkt erfreut. Ich kann mich etwas entspannen (und versuchen, ich selber zu sein).
Nach einiger Zeit kann ich erkennen, dass er offensichtlich genau so ist, wie er sich beschrieben hat, ohne ein einziges „Aber“ in Sicht. Den tollen Typen hängt meistens ein „Aber“ an. Sie wissen schon, er ist umwerfend, aber ...
Er ist noch nicht über seine Ex hinweg.
Er hat vor, nach China auszuwandern.
Er hat seinen Job an den Nagel gehängt, um sich neu zu erfinden, und weiß noch nicht so genau, wer er ist, wohin er will und was er aus seinem Leben machen möchte.
Meine Aufgabe ist jetzt, herauszufinden, wie ich diese anfängliche Anziehung in eine positive Bahn lenke. Ich weiß, dass ich sehr unterhaltsam bin. Ich erzähle ihm eine Geschichte nach der anderen und bin äußerst amüsant – stundenlang. Er mag mich wirklich. Er sagt: „Tolles Ambiente und köstliche Drinks in erstklassiger Gesellschaft.“ Er fordert mich mit Fragen wie dieser heraus: „Kennst du einen guten Innenarchitekten? Ich könnte echt deine Hilfe bei meinem Haus brauchen, weil ich es gerade renoviere.“ Und: „Könntest du dir vorstellen, in zwei Städten zu leben? Dann könnten wir den Sommer in Kalifornien verbringen und in Mexiko überwintern. Wie wär das?“ Außerdem sagt er: „Ich finde deine Arbeit toll“ und: „Du würdest meiner Mutter gefallen“.
Shawn hat keine Ahnung, welche Wirkung solche Bemerkungen auf mich haben. Ich weiß nämlich (noch) nicht, dass Männer das tun, um Ideen auszuprobieren und zu sehen, wie sie sich anfühlen. Diese scheinbar unschuldigen Pläne, Versprechen und Bekundungen der Akzeptanz und Kompatibilität bringen mich dazu, immer selbstsicherer zu werden und ihn mit jedem Wort ein bisschen mehr zu mögen.
Während wir nebeneinander sitzen, spüre ich in den fünf Stunden, die wir miteinander verbringen, dass wir mehr als nur eine mögliche Verbindung sind. Das hier könnte tatsächlich funktionieren. Shawn wirkt auf unwiderstehliche Weise klug, freundlich und interessant, was selten ist. Es gefällt mir, wie offen und spielerisch er sich mir gegenüber gibt. Es fühlt sich bodenständig und einfühlsam, witzig und sexy an. Ein Stadtmensch, der im lebendigsten Teil der Großstadt wohnt, der ein eigenes Leben und einen guten Job hat und den Menschen, die ihm wichtig sind, viel zu bieten hat. Es ist, als hätte das Universum alles gehört, worum ich es jemals gebeten habe, und all diese positiven Eigenschaften in dem Mann vereint, den es mir gerade präsentiert.
„Lieber Gott, ich weiß ja, dass ich dauernd um irgendwas bitte, aber könntest du bitte, bitte – nur dieses eine Mal – machen, dass das der Anfang von etwas ganz Tollem ist?“, bete ich während dieser ersten Verabredung stumm in der Kabine des Damenklos. Das ist doch nicht irgendwie komisch, oder?
Schließlich geht es darum, einen Partner zu finden. Ich sehne mich nach Intimität, wachsender Vertrautheit und Verbundenheit zu jemand anderem als meinem Hund. Und gut, ich gebe es ja zu: Ich will ganz normale Sachen unternehmen, die Pärchen machen. Ich will zu viert ausgehen, dienstags Taco-Abende für die Clique schmeißen, vor einem Lagerfeuer auf seinem Schoß sitzen, während jemand Gitarre spielt und alle unmusikalisch singen, und auf romantische Wochenendtrips gehen. Wie die meisten Frauen sehne ich mich danach, umsorgt zu werden. Er soll mir über die Wange streichen oder mein Haar zurück streichen, wenn es mir in die Augen fällt, und mir ins Ohr flüstern: „Ich bin der Mann, der dich liebt.“
Ich erwarte nicht, dass sich sofort eine Beziehung zwischen Shawn und mir entwickelt, aber ich habe das Gefühl – die Hoffnung –, dass wir vor dem klassischen Anfang stehen. Ich weiß, dass andere ihn erleben. Ich bin ihnen begegnet.
Gegen Mitternacht fragt Shawn, ob er mich zu meinem Auto begleiten darf. Wie süß! Unser Gutenachtkuss dauert ein bisschen länger als erwartet, und mir gefällt, was ich in diesem ersten Kuss über ihn erfahre.
„Schick mir eine SMS, wenn du angekommen bist, damit ich weiß, dass du gut nach Hause gekommen bist“, sagt er, und jetzt hat es mich erwischt. Nachdem ich ihm die SMS mit dem Text „Ich bin gut nach Hause gekommen, danke für den schönen Abend und gute Nacht“ geschickt habe, ist mein Teil erledigt.
Jetzt beginnt das Warten.
Ich warte.
Und warte.
Mit jeder Stunde, die ohne eine nächste Verabredung vergeht, wird meine kritische innere Stimme lauter. Schließlich läuft ein vollständiger Rückblick des Abends in meinem Kopf ab und ich fange an, alles zu hinterfragen: Warum musste ich ihm diese durchgeknallte Geschichte über meine Familie erzählen? Hat es ihn etwa eingeschüchtert, als ich über meine Arbeit redete? Habe ich zu deutlich mit ihm geflirtet? Glaubt er jetzt, ich wäre nicht mütterlich genug für seine Tochter? War es ein Fehler, mich neben ihn zu setzen? Vielleicht hat er meinen fetten Bauch gesehen?
Mit jeder Minute, die ohne eine SMS, eine E-Mail oder einen Anruf vergeht, bröckeln kleine Stückchen von dem Hoffnungsbrocken, der mein Herz ausgefüllt hat, ab. Sie fallen mir vor die Füße und werden zermalmt, während ich mich durch einen weiteren Tag schleppe.
Shawn ist sich der Grausamkeit seiner simplen Abschiedsphrasen „Ich ruf dich an“ und „Wir sollten das bald wieder machen“ gar nicht bewusst.
Ich bin gezwungen, mich den Tatsachen zu stellen: Er erlebte das Date nicht so schön wie ich. Für ihn war einfach nicht genug Verbundenheit da, um sich noch mal mit mir zu treffen. Ein Gefühl überwältigender Trauer, Verzweiflung und Einsamkeit breitet sich in der hoffnungsvollen Nische meines Herzens aus. Ich sende ein SOS an Freunde aus, und sie sagen mir:
„Ach, das war doch bloß ein Date.“
„Es gibt genug Männer da draußen für dich!“
„Lass dich davon nicht runter ziehen. Hake ihn ab und konzentriere dich auf den nächsten. Andere Frauen haben auch hübsche Söhne.“
„Wenn du gleich damit anfängst, dich mit anderen zu verabreden, vergisst du ihn ganz schnell.“
„Eigentlich hat er dir einen