Mit Feuereifer. Horst Bosetzky

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Mit Feuereifer - Horst Bosetzky


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verabredet.

      Kappe war eine Viertelstunde zu früh am Pariser Platz und machte noch einen kleinen Spaziergang um den nördlichen Häuserblock, also um das Karree mit der Französischen Botschaft. An der Wilhelmstraße und auf der anderen Straßenseite vor der Botschaft der UdSSR waren die Bauarbeiten an der neuen Nord-Süd-Verbindung der S-Bahn nahezu abgeschlossen. Am 27. Juli, also vier Tage vor Eröffnung der Olympischen Spiele, sollte der Tunnel zwischen den Stationen Stettiner Bahnhof und Unter den Linden feierlich eingeweiht werden. Kappe wusste nicht so recht, ob er sich darüber freuen sollte. Einerseits war es schön, dass es eine neue S-Bahn-Linie gab, bald sollte es ja auch bis zum Potsdamer Platz und zum Anhalter Bahnhof weitergehen, andererseits aber war es ein Bauwerk der Nationalsozialisten. Er wandte sich ab und bog in die Wilhelmstraße ein.

      An der Ecke zur Dorotheenstraße kam ihm eine Gruppe Radler entgegen. Offensichtlich Arbeiter aus Kreuzberg, die mit ihren Frauen zum Baden am Tegeler See gewesen waren und nun nach Hause wollten. Ein Trupp Braunhemden näherte sich vom Reichstag her, einer trug eine Hakenkreuzfahne. Als keiner der Radfahrer mit «Heil Hitler!» grüßte und den Arm zum «Deutschen Gruß» heben wollte, rissen sie den letzten Arbeiter vom Rad und schlugen ihm mit den Worten «Kannst du Hund nicht grüßen!» mehrmals ins Gesicht.

      Kappe konnte das alles nur ertragen, wenn er sich einredete, es sei ein Film und er könne das Kino jederzeit verlassen, um ins normale Leben zurückzukehren. Das normale Leben … Das gab es ringsum in Dänemark, Holland, Belgien, Frankreich und der Schweiz, aber nicht mehr in Deutschland. Dann musst du eben auswandern! Er wusste genau, dass er zu einem solchen Schritt nicht fähig war. Es fehlten ihm der Mut und die Kraft dazu, und außerdem wäre Klara niemals mitgekommen, dazu war sie zu sehr ins «völkische Leben» eingebunden. Alles war hoffnungslos. Sein einziger Trost war, dass es vielen Hunderttausenden noch schlechter ging als ihm, wie etwa dem Mann, den er gleich treffen würde.

      Trampe, nun auch schon 58 Jahre alt, arbeitete seit ein paar Monaten als Elektroinstallateur in einer kleinen Klitsche in den Höfen an der Hasenheide. Diesen Beruf hatte er erlernt, bevor er sich als Journalist und Funktionär betätigt hatte. Mit dem Verbot der SPD war seine Karriere schlagartig zu Ende gewesen, und er hatte insofern Glück gehabt, als er mit einem zu Brei geschlagenen Gesicht davongekommen war, nachdem ihn die SA im September 1933 abgeholt und in ihren Folterkeller in der Hedemannstraße geschleppt hatte. Dreizehn Stunden hatte er bis zum Hals in einem Wasserbecken gestanden, dann hatten die SA-Schergen eingesehen, dass er wirklich keine Ahnung von den Aktivitäten Carl Severings hatte, des ehemaligen SPD-Politikers und Reichsinnenministers.

      Pünktlich um 19.30 Uhr stieg Trampe an der Ecke Hermann-Göring-Straße/Hindenburgplatz aus der Straßenbahn. Sie begrüßten sich wie zwei Fremde - sicher war sicher - und vermieden es, allzu dicht nebeneinanderher zu gehen. Es gab einiges zu erzählen.

      Mit einem bitteren Lächeln berichtete Trampe vom Schicksal einiger Weggefährten. «Manche kommen schon wieder frei. Rudolf Ziegenhagen, der Buchhändler von der Allgemeinen Arbeiter Union, sitzt seit Januar 1934 im KZ Lichtenberg und soll Anfang Oktober entlassen werden, und Wilhelm Krüger schon in vierzehn Tagen. Der ist vor zwei Jahren wegen ‹Vorbereitung zum Hochverrat› verurteilt worden und sitzt seitdem in Tegel, zusammen mit Franz Klühs, das war ein ehemaliger Kollege von mir, Redakteur beim Vorwärts.»

      Kappe wollte es so genau nicht wissen, er vermutete aber, dass der Freund irgendwie mit der sogenannten Gruppe Nordbahn in Verbindung stand. Von deren Existenz wusste er, seit er in der Kantine Gestapo-Leute belauscht hatte. Man vermutete, dass Hermann Schlimme, ein früherer Sekretär des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB), und einige Reichsbannerleute aus SO 36 und Baumschulenweg auch nach der Verhaftungswelle von 1933/34 ihre illegale Arbeit fortsetzten und Verbindung zum SPD Vorstand in Prag unterhielten. Man wollte jemanden in diese Gruppe einschleusen, und der sollte die Nordbahner dann ans Messer liefern.

      Um sich nicht weiter auf vermintes Gelände zu begeben, erzählte Kappe von seiner Familie. Die beiden großen Kinder hätten keinerlei Schwierigkeiten in der Lehre und der Schule, glaubten aber immer mehr an den Quatsch, den sie in HJ und BDM zu hören bekämen. «Und Klara bestärkt sie noch in allem, während ich es nicht wage, den Mund aufzumachen. Das ist mein ganzer Widerstand, mehr würde uns alle gefährden.» Er kam sich jämmerlich vor.

      Trampe versuchte, ihn zu trösten, indem er berichtete, dass bei Ullstein drei Mann fristlos entlassen worden waren, weil sie bei einem Betriebsappell nichts in die Sammelbüchsen getan hatten.

      «Am Schwarzen Brett hat dann ein Anschlag gehangen, auf dem die Belegschaft darüber informiert worden ist, dass die drei sich gegen die Betriebs- und die Volksgemeinschaft vergangen hätten und die Kollegen sich deshalb weigerten, noch länger mit ihnen zusammenzuarbeiten.»

      «Mir geht leider alles Heldenhafte ab», bekannte Kappe.

      «Quatsch!», rief Trampe. «Schon dass du nicht in der NSDAP

      bist und deine Fahne nach dem Wind hängst, ist eine Menge.»

      «Danke, aber …» Kappe war von einer umfassenden Lethargie erfüllt und fühlte sich auch am helllichten Tage wie ein Schlafwandler.

      Als sie an der Ecke Friedrichstraße angekommen waren, erkundigte sich Trampe, was es bei ihm beruflich Neues gebe.

      Kappe zögerte mit einer Antwort. «Nicht viel. Leider … oder Gott sei Dank. Heute Nachmittag hatten wir eine Leiche an der Stößenseebrücke. Männlich, 33 Jahre alt, vor dem eigenen Keller erschlagen und in den Grunewald verbracht. Noch keine heiße Spur, nichts.»

      «Und wie heißt der Mann, wenn man fragen darf?»

      «Dienstgeheimnis», antworte Kappe. «Aber morgen früh steht es ja sowieso in allen Zeitungen: Wanzka, Karl-Heinz Wanzka, Kellner und noch vieles mehr.»

      «Wanzka!», rief Trampe. «Der aus der Naunynstraße?»

      «Ja. Kennst du den?»

      Trampe nickte. «Klar, den kennt doch jeder im Kiez. Für die einen ist er ’ne fiese Ratte, Spitzname die Wanze, für die anderen ein liebenswerter Schlawiner und Frauenheld. Überall schnüffelt er herum und weiß immer alles …», er stockte, «… wusste immer alles … Man muss ja nun in der Vergangenheitsform über ihn reden, und über Tote soll man nichts Schlechtes sagen, aber …»

      Kappe war neugierig geworden. «Aber?»

      «Für mich war er immer das, was die Braunen so gerne von uns behaupten, für mich war er ein gewissenloser Lump, um den es nicht weiter schade ist.» Trampe wurde lauter. «Ich möchte nicht wissen, wie viele von uns er verpfiffen hat, so dass sie jetzt im Gefängnis oder im KZ sitzen. Ich weiß genau, dass er Zuträger von diesem Zäcklau ist … beziehungsweise war.»

      Kappe zuckte zusammen. «Zäcklau?»

      «Ja, und ich würde mich nicht wundern, wenn der ihn aus dem Verkehr gezogen hat, weil Wanzka zu viele Interna kannte und für Zäcklau langsam gefährlich wurde.»

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