West-Berlin. Horst Bosetzky

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West-Berlin - Horst Bosetzky


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Schöneberg, Steglitz, Tempelhof, Neukölln, Kreuzberg und Zehlendorf. Und der britische Sektor soll bestehen aus Reinickendorf, Wedding, Spandau, Charlottenburg, Wilmersdorf und Tiergarten. Am 1. Juli rücken die Amerikaner und die Briten in ihren Sektor ein. Am 30. Juli beschließen die Alliierten dann, auch den Franzosen zwei der 20 Berliner Bezirke zuzuerkennen, und zwar Reinickendorf und Wedding.

      Lange Rede, kurzer Sinn: Als Zeugungsstunde des West-Berliners können wir damit den 12. September 1944 festhalten, geboren allerdings wird er erst Jahre später. Bei Kriegsende ist noch nicht einmal abzusehen, dass es ihn als solchen jemals geben wird, denn die Deutschen klammern sich an einen Satz Stalins: »Die Erfahrungen der Geschichte besagen, dass die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat bleibt.« Und wenn der deutsche Staat bleibt, dann ja wohl auch Berlin als seine Hauptstadt! Und selbstverständlich ist der neue Magistrat, den der sowjetische Stadtkommandant General Nikolai E. Bersarin zusammenstellt, für die ganze Stadt zuständig. Neuer Oberbürgermeister wird Arthur Werner, ein parteiloser pensionierter Regierungsbaubeamter; und unter den 18 Stadträten sind drei, deren Namen einen großen Klang haben beziehungsweise noch haben werden: Für Gesundheit zuständig ist Ferdinand Sauerbruch, der große Chirurg, für Volksbildung Otto Winzer, der spätere Außenminister der DDR, und für das Bau- und Wohnungswesen Hans Scharoun, der Architekt der Philharmonie und der Staatsbibliothek. In Berlin erwacht neues Leben. Insbesondere die Frauen leisten Heldenhaftes, als »Trümmerfrauen« wie bei den »Hamsterfahrten«. Auf dem schwarzen Markt gibt es für die »Zigarettenwährung« oder zu horrenden Preisen fast alles. Am 14. Mai fährt die U-Bahn wieder, wenn auch nur zwischen ein paar Stationen in Neukölln; am 20. Mai gibt es in Lichtenberg das erste Fußballspiel nach dem Krieg; und am 4. September findet die erste Opernaufführung, Fidelio, im wenig beschädigten Theater des Westens statt.

      Wer das alles, minutiös nachgezeichnet und grandios geschrieben, nachlesen möchte, der greife zu Berlin Berlin – 1945 – 1953 von Curt Riess, dem Journalisten, der Anfang Juli 1945 zusammen mit den amerikanischen Truppen nach Berlin kommt.

      Am 10. Juni 1945 werden durch Befehl Nr. 2 der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) in Berlin Parteien und Gewerkschaften wieder zugelassen, und es scheint so, als würde in ganz Berlin an die Traditionen und Muster der Weimarer Demokratie angeknüpft werden.

      Der Schein trügt aber, denn der Kalte Krieg beginnt. Die erste Runde im Ringen um Berlin haben die Westmächte bereits verloren, denn als sie Anfang Juli 1945 ihre Sektoren in Besitz nehmen, haben die Sowjetunion und die »Gruppe Ulbricht« schon vorgearbeitet: Im Magistrat von Groß-Berlin und den Bezirksverwaltungen sind alle wichtigen Positionen mit Kommunisten besetzt. Die Konflikte beginnen. Als man in Moskau merkt, dass die SPD weitaus mehr Zulauf hat als die KPD, inszeniert man die (Zwangs-)Vereinigung zur SED. Aber die bekommt, als es am 20. Oktober 1946 bei einer Wahlbeteiligung von 92,3 Prozent die ersten – und letzten – freien Wahlen in allen vier Sektoren gibt, nur 19,8 Prozent der abgegebenen Stimmen, während es die alte SPD auf 48,7 Prozent, die CDU auf 22,2 Prozent und die LDP auf 9,3 Prozent bringen. Der SPD-Politiker Otto Ostrowski wird zum neuen Oberbürgermeister von ganz Berlin gewählt, kann aber nicht so schalten und walten, wie es dem Amt entspräche, weil die SED in vielen Fragen andere Vorstellungen hat und stark genug ist sich durchzusetzen. Als Ostrowski dann auf der Suche nach Kompromissen mit der SED-Führung verhandelt, ohne seine Partei darüber zu informieren, bringt die SPD im April 1947 einen Misstrauensantrag gegen ihn ein, dem die Stadtverordnetenversammlung auch mehrheitlich zustimmt. Daraufhin tritt Otto Ostrowski zurück, und am 24. Juni 1947 wird Ernst Reuter (SPD) zum neuen Oberbürgermeister gewählt. Doch die sowjetische Besatzungsmacht verhindert mit ihrem Veto seine Amtsübernahme. Er sei antikommunistisch eingestellt, heißt es. Schließlich wird Louise Schroeder (SPD) mit der vorübergehenden Ausübung der Amtsgeschäfte betraut.

      Im Laufe des Jahres 1947 verschärft sich der Ost-West-Konflikt. Der amerikanische Präsident Harry S. Truman verkündet in einer Botschaft an den Kongress, dass die USA alle Völker unterstützen werde, die »sich der Unterwerfung durch bewaffnete Minderheiten oder durch Druck von außen widersetzen«, während Oberst Sergej I. Tulpanow von der SMAD auf dem 2. Parteitag der SED von der Notwendigkeit spricht, die Westzonen vom »amerikanischen Monopolkapitalismus« zu befreien. Immer mehr Menschen, die sich den Sowjets und der SED widersetzen, verschwinden, werden verhaftet oder entführt. Man spricht von 5000 Fällen.

      Im Jahr 1948 eskaliert dann alles. Am 15. Juni sperren die Sowjets wegen angeblicher Bauarbeiten an der Elbbrücke die Autobahn von Helmstedt nach (West-)Berlin, vier Tage später ordnet die SMAD die Einstellung des gesamten Auto- und Eisenbahnverkehrs an. Am 23. Juni wird in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und in Ost-Berlin die Reichsmark durch das »Ostgeld« ersetzt, und am 24. Juni wird in den drei Westsektoren das »Westgeld«, das heißt die Deutsche Mark (DM), eingeführt. Am 25. Juni beginnt die Versorgung der West-Berliner durch die Luftbrücke. Am 1. Juli verlässt der sowjetische Vertreter die Alliierte Kommandantur. Ende Juli erfolgt die Teilung der Polizei, und nach ihren Präsidenten heißt sie im Osten Markgraf- und im Westen Stumm-Polizei. Am 6. September sprengen SED-nahe Demonstranten die im sowjetischen Sektor tagende Stadtverordnetenversammlung. Die Mehrheit der Abgeordneten zieht in den Westen der Stadt, ins Charlottenburger Studentenhaus (und später ins Schöneberger Rathaus). Professoren, die sich dem Diktat der SED nicht beugen wollen, verlassen die Universität Unter den Linden und gründen im Steglitzer Titania-Palast die Freie Universität, die ihren Lehrbetrieb am 15. November in Dahlem beginnt. Am 30. November wählen die verbliebenen linientreuen Berliner Stadtverordneten einen »provisorischen demokratischen Magistrat« und Friedrich Ebert (SED) zum Oberbürgermeister von Ost-Berlin. Die West-Berliner treten am 5. Dezember an die Urne, und ihre neue Stadtverordnetenversammlung (später: Abgeordnetenhaus) wählt am 7. Dezember Ernst Reuter zum Oberbürgermeister (später: Regierenden Bürgermeister) von West-Berlin. Die Spaltung der Stadt ist also besiegelt. Bei Curt Riess heißt es dazu: »Ironie des Schicksals: dass jetzt, drei Jahre nach Beendigung des Krieges, als das Leben in Berlin langsam wieder normal hätte werden können, diese Stadt zur anormalsten Stadt Europas, ja, vermutlich der Welt wurde: zu einer Stadt, durch deren Mitte eine Grenze verlief, die nicht so sehr die Grenze zwischen Ost- und West-Berlin war als vielmehr die zwischen den Vereinigten Staaten von Nordamerika und der Sowjetunion. – Diese Grenze ging bald mitten durch das Leben der meisten Berliner.«

      Hinzuzufügen wäre dem, dass viele West-Berliner, da sie nun schon an der Ostgrenze der USA lebten, davon träumten und ernsthaft davon redeten, auch deren Bundesstaat zu werden, der 50. – noch vor Hawaii.

      Riess hält sich zu dieser Zeit in Zürich auf, liest Zeitungen aus der Schweiz, aus Belgien, Frankreich und England, und es scheint ihm, »dass nirgends ein wirklich entschiedener Ton gegen die Russen angeschlagen wurde, außer in den Berliner Zeitungen. Sie, deren Redakteure und Mitarbeiter nur einige Kilometer von den Russen entfernt lebten und abends nie wissen konnten, ob sie nicht im Verlaufe der Nacht von den Russen gefangen genommen werden würden, riskierten zu sagen, genau zu sagen, was sie von den Russen dachten.« Man kolportiert, dass prominente Amerikaner gesagt haben sollen, Europa könne gegen die Russen bestenfalls an den Pyrenäen verteidigt werden. Riess trifft Menschen, die sagen, sie würden sofort ein Visum nach Südamerika beantragen, wenn die Amerikaner Berlin räumten, denn dann sei ganz Europa verloren; und er kommt zu dem Schluss: »Wenn die Russen damals hätten marschieren wollen, hätte nichts sie daran hindern können, bis zum Kanal, zum Atlantischen Ozean oder auch zu den Pyrenäen vorzustoßen. Nichts – außer Berlin.«

      Präzise hätte es heißen müssen: Außer West-Berlin, außer dem West-Berliner. Wie auch immer: Der West-Berliner wird zur entscheidenden Figur der Weltgeschichte.

      Ehe wir den West-Berliner nun ganz in den Mittelpunkt unserer Betrachtungen rücken, müssen wir noch ein wenig theoretisch werden. Zuerst einmal ist zu entschuldigen, dass immer nur vom West-Berliner gesprochen wird – und ganz selten nur von der West-Berlinerin. Der Einwand von feministischer Seite, so gehe das nicht, ist berechtigt, doch es würde das Buch leider unlesbar machen, wenn es immer hieße: »die West-Berlinerin beziehungsweise der West-Berliner« oder »der/​die West-BerlinerIn«. Und durchgehend nur »die West-Berlinerin« zu schreiben, wie es mir die Gefährtin des Lebens, eine West-Berlinerin, nahegelegt hat, löst das Problem meines Erachtens auch nicht sonderlich elegant. Also: Wie der Begriff


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