Das Duell des Herrn Silberstein. Horst Bosetzky

Читать онлайн книгу.

Das Duell des Herrn Silberstein - Horst Bosetzky


Скачать книгу
vom 30. Mai 1853 für den Kahlschlag. Die Polizei erhielt ein erheblich erweitertes Kontrollrecht über die politischen Vereine und ihre Versammlungstätigkeit, und der Innenminister Ferdinand von Westphalen erklärte 1851, es sei die Pflicht der Behörden, allen bekannten Führern der Demokratie »eine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden und nach Befinden der Umstände mit Haussuchungen, Beschlagnahme der Papiere und nötigenfalls Verhaftungen vorzugehen«. Besonders starken Repressionen waren die Oppositionellen in Berlin ausgesetzt, wo der Polizeipräsident Karl Ludwig v. Hinckeldey herrschte.

      Die Berliner Polizei hatte 1848 anfangs die Revolutionäre unterstützt, war aber dann zur königlichen Armee übergelaufen, nachdem diese die Oberhand gewonnen hatte. In den Folgejahren hatte sich die Königliche Schutzmannschaft zwar redlich bemüht, die öffentliche Ordnung zu hüten, ihr dringlichstes Ziel aber war es gewesen, sich dem Heer anzugleichen. So trug man seit 1850 Pickelhauben, die den Helmen der Soldaten ähnlich waren. Auch die Polizei stand ja einem gefährlichen Feind gegenüber: der Verbrecherwelt.

      Das Königliche Polizeipräsidium befand sich am Molkenmarkt 1, also im Gebäude der Stadtvogtei, und dorthin lenkte Aaron Silberstein seine Schritte. Wie immer betrat er das Gebäude mit unguten Gefühlen, so als würde er sich selber dem Henker ausliefern. Aber ab und an ließ sich ein Besuch in diesem Haus nicht vermeiden, wollte er herausbekommen, wie sich die Dinge für seine Klienten entwickelten. Weit kam er diesmal nicht, denn der Wachhabende drängte ihn in eine Nische. Es war Platz zu schaffen für den Polizeipräsidenten, der gerade mit großem Gefolge die Treppe herunterkam. Nicht mehr als drei Meter mochten Aaron Silberstein von Hinckeldey trennen. Hätte er jetzt eine Pistole bei sich gehabt … Er klammerte sich an eine Säule, um nicht unwillkürlich nach vorn zu stürzen und sich auf den so sehr Gehassten zu werfen. Der Anfall ging vorüber, und er besann sich des Grundes seines Besuchs. Aus seiner Studienzeit kannte er noch den einen oder anderen Beamten, und er ließ sich melden, um ein wenig mit ihnen zu plaudern. So bekam er schnell heraus, wen man mit den Nachforschungen im Fall Rosentreter betraut hatte: »den Schlötel«. Aaron Silberstein verzog das Gesicht, dankte für die Information und machte sich auf den Weg zum Kommissarius.

      Ernst Theodor Schlötel stammte aus Fürstenberg an der Havel und war als königlicher Feldwebel zur Polizei gekommen. Er war groß gewachsen und dabei eher hager. Kantig wie sein Schädel war auch seine Art. Sein weizenblondes Haar trug er kurz geschoren, sodass manche es mit einem Stoppelfeld verglichen. Als wortkarg und vierschrötig galt er, und eine lockere Konversation hielt er für eine »welsche Sache«, eines preußischen Beamten unwürdig. In einem ordentlich geführten Staate hatte man mit allem sparsam umzugehen, auch mit seinen Worten. Nur bei der Ausschüttung seines Samens war er verschwenderisch vorgegangen: Er hatte nicht weniger als acht Kinder gezeugt. Die hatten bald begonnen, jeden Tag eine kleine Untat zu begehen, und bei deren Aufklärung hatte er seine ersten Erfahrungen als Kriminaler sammeln können. Wer etwa hatte die Haselrute des Lehrers heimlich angesägt, sodass sie, als er losprügeln wollte, schon in der Luft zerbrach? Und wer hatte der Hökerin auf dem Markt einen Apfel geklaut?

      »Ich komme«, begann Aaron Silberstein die Unterredung, »um darauf zu dringen, dass man die Suche nach meinem Mandanten Meir Rosentreter etwas intensiver betreibt.«

      Schlötel ließ sich nicht davon abhalten, an einer Speckschwarte zu kauen. »Da ist nichts zu suchen.«

      Aaron Silberstein fuhr auf. »Sie meinen, weil er Jude ist, müsse man nicht …«

      »Da ist nichts zu suchen«, wiederholte Schlötel ohne jede Regung.

      »Wieso?«

      »Weil nur noch etwas zu finden ist.«

      Aaron Silberstein rang die Hände. »Ja, er.«

      »Nein, seine sterblichen Überreste.«

      »Das ist ja entsetzlich! Was wissen Sie?«

      »Ich habe seinen Mörder schon dingfest machen können.«

      »Und wer ist es?«

      »Das können Sie morgen in der Zeitung lesen.«

      »DU STEHST immer noch am Brandenburger Thor, willst noch nicht zu Bett gehen, aber auch nicht mehr viel unternehmen. Gut. Da biete ich dir zweierlei. Rechts von dir winkt der gastliche ›Pariser Keller‹, das fashionabelste dieser unzähligen, nach Hamburger Art entstandenen Delicatessenlocale, wo Dünnwald … seine guten Weine der Vernichtung Preis giebt, wenn du selbst den Preis giebst. Oder willst du noch eine Stunde die Sinne erregen, so folge mir zu Kroll, gehe aber dennoch vorher eine halbe Stunde in den Pariser Keller.«

      So wie es Ludwig Löffler in seinem Reiseführer Berlin und die Berliner von 1856 empfahl, wollte es auch Karl-Hermann Rana halten, als er am Sonnabend kurz vor Mitternacht die Friedrichstraße entlangkam und auf die Linden zuhielt.

      Eigentlich hätte er Karl-Hermann Frosch heißen müssen, doch sein Großvater väterlicherseits, hoher Beamter in der K.-u.-k.-Monarchie, hatte keine Kosten und Mühen gescheut, von diesem Nachnamen loszukommen. Zu sehr hatte er ihn der Lächerlichkeit preisgegeben. Bei Frosch, da assoziierte doch ein jeder: feige, glubschäugig und glibbrig. Bestenfalls wurde er als »unser Froschkönig« verspottet. Die Kaiserin hatte schließlich ein Einsehen gehabt und der Latinisierung seines Namens zugestimmt: rana, ae hieß »der Frosch«. Das Dumme war nur, dass das Gesicht des Karl-Hermann Rana in der Tat etwas Froschhaftes hatte und viele Menschen genügend Latein verstanden, um seinen Namen ins Deutsche rückübersetzen zu können. Und das taten sie bei seinem Anblick mit einem ununterdrückbaren Reflex, denn Ranas braune Augen traten so stark hervor, dass sie auf Stielen zu sitzen schienen. Hinzu kamen sein breiter Mund und eine Haut, deren Farbe so fahl wie Roggenmehl war und bei entsprechender Bekleidung fast grünlich schimmerte, aber auch die Eigenart, bei der geringsten Erregung im Raume hin und her zu springen, mit riesigen und extrem nach außen weisenden Füßen. Ein Faun war er, ein immer fröhlicher Zecher und einer, der nichts so liebte wie das Spiel. Ja, sein ganzes Leben verstand er als Spiel.

      Zur Welt gekommen war er am 17. April 1817 in Salzburg als Sohn eines Diplomaten und einer Frau aus dem Volke, der Tochter eines Zuckerbäckers. Dieser, sein heiß geliebter Großvater, hatte ihn als Kind angeregt, aus Marzipan, Nougat und anderen süßen Materialien Türme, Burgen und Schlösser zu formen. »Das wird einmal ein großer Baumeister!«, hatten da die Erwachsenen ausgerufen, und er hatte das später immer als Prophezeiung verstanden. Dieser Berufswunsch hatte sich dann verfestigt, als sein Vater einige Jahre in Griechenland und Italien verbrachte und Karl-Hermann die großen Bauwerke der Antike aus nächster Nähe bestaunen konnte.

      Nach dem Studium in Wien und München hatte er an der Isar sein Examen gemacht und sich im süddeutschen Raum mit dem Bau mehrerer Kirchen, Landhäuser und städtischer Verwaltungsgebäude schnell einen Namen gemacht. Wegen hoher Spielschulden war er dann im Jahre 1851 nach Preußen ausgewichen und hatte sich in Berlin mit kleineren Aufträgen über Wasser gehalten. Zumeist hatte er Villen entworfen und hochgezogen für Bauern, die durch den Verkauf ihrer Wiesen und Felder zu Geld gekommen waren – immer mit viel Schinkel an der Fassade. Aber auch am Bau des ersten Berliner Wasserwerks, das gerade am Stralauer Thor in Betrieb gegangen war, war er beteiligt.

      Rana war ein ausgesprochener Nachtmensch. Jeden Abend trieb es ihn in die Stadt hinaus. In seiner Wohnung in der Behrenstraße glaubte er zu ersticken. Eine Ehefrau, die ihn im trauten Heim gehalten hätte, gab es nicht. Ein lupenreiner Hagestolz war er mitnichten, aber die Schönen und die Reichen mochten ihn nicht, und auf ein biederes Hausmütterchen konnte er gern verzichten. Überkam ihn die Fleischeslust, zog er los, sich eine Frau zu suchen, die bezahlbar war und wieder verschwand, wenn sie ihm lästig zu werden begann.

      Als er Unter den Linden angekommen war und nach links zum Pariser Platz abbiegen wollte, kam ihm ein Mann entgegen, der ihm in diesem Moment höchst lästig war, weil er ihn an seine Arbeit erinnerte. In der Tat fragte ihn Louis Krimnitz sofort, ob er nicht eine tüchtige Maurerkolonne benötige oder einen Lastkahn voller Kies. Vielleicht auch Ziegel aus Zehdenick?

      »Nichts von alledem, mein Lieber, das Einzige, was ich derzeit brauche, ist ein üppiges Weib.«

      »Das


Скачать книгу