Tödliche Zeilen. Uwe Schimunek

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Tödliche Zeilen - Uwe Schimunek


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zuckte zusammen, wie immer, wenn ihn jemand mit seinem Pseudonym ansprach, unter dem in wenigen Tagen sein dritter Detektivroman erscheinen würde. Er tippte auf die Mappe mit seinen Gedichten. »Das scheint mir ziemlich ungerecht. Wenn Sie schon Liebhaberausgaben drucken, wäre es doch nur billig, wenn Sie auch den berücksichtigen würden, der für die Umsätze sorgt. Finden Sie nicht, Herr Rollnik?« Kutscher merkte, wie gestelzt er sprach. Über Geldangelegenheiten zu verhandeln fiel ihm noch schwerer, als abends an einer Kneipe vorbeizugehen, ohne sie zu betreten.

      Rollnik wiegte den Kopf. »Also gut, mein Lieber. Wenn wir zehn Ihrer Detektivromane herausgebracht haben, schaue ich mir auch die Gedichte an.« Mit jedem Wort wurde Rollniks Grinsen breiter. »Ich werde schon sehr starke Argumente brauchen, wenn ich bei meinem Vater mit Lyrik vorstellig werden möchte. Auf meine Expertise in schöngeistigen Dingen dürfte er jedenfalls kaum vertrauen.«

      Kutscher wagte einen letzten Versuch und hob die Mappe in die Höhe. »Nun, vielleicht sind meine Gedichte ja geeignet, eine breite Leserschaft zu erreichen. Es handelt sich keineswegs um schwere Literatur.«

      »Lassen Sie es gut sein, mein Lieber. Mein Vater hat seine Gründe, mit mir nicht über die hohe Kunst zu debattieren.« Rollnik kam hinter seinem Schreibtisch hervor. »Wir bringen Ihre Verse unter Ihrem richtigen Namen heraus. Schreiben Sie vorher einfach noch ein paar Detektivgeschichten.« Der Verleger streckte Kutscher die Hand entgegen. »Schauen Sie doch am Donnerstag noch einmal herein. Dann müsste Ihr neuestes Werk frisch gedruckt vorliegen.«

      Der Händedruck erschien Kutscher unerwartet kameradschaftlich, so als wollte sich Rollnik für seine Abfuhr entschuldigen. Nun, Kutscher hatte Zeit, schließlich handelte es sich bei den Texten in seiner Mappe um Gedichte und nicht um Zeitungsartikel, die am nächsten Tag veraltet wären.

      Als er das Büro verließ, strahlte ihn im Vorzimmer Fräulein Helene Seidel an. Sie trug ihr blondes Haar kunstvoll aufgesteckt, sodass ihre blauen Augen besonders gut zur Geltung kamen. Kaum fiel die Tür zu Rollniks Büro hinter Kutscher ins Schloss, fragte sie: »Verlief das Gespräch zu Ihrer Zufriedenheit, Herr Kutscher?«

      Ihr Lächeln hätte einen Toten wiederbeleben können. Kutscher vermutete, dass es nicht ihm selbst galt, sondern dem ertragreichen Detektivromanautor Tom Tock, und antwortete: »Durchaus, Fräulein Seidel.«

      »Ich kann es kaum erwarten, Ihren nächsten Roman zu lesen, Herr Kutscher. Wie ich hörte, soll er noch in dieser Woche aus unserer Druckerei kommen.«

      »Zu liebenswürdig, meine Dame«, erwiderte Kutscher. »Am Donnerstag bin ich zur Ansicht des fertigen Buches geladen.«

      Fräulein Seidel trat an ihren Sekretär und öffnete einen Kalender. Sie blätterte zum genannten Datum und fragte: »Das ist wunderbar, wann darf ich Ihr Kommen vermerken?«

      »Ich denke, ich werde am späten Vormittag hereinschauen. Wäre das recht?«

      »Aber selbstverständlich. Ich notiere einen Termin für elf Uhr.« Sie schrieb ein paar Wörter in den Kalender, dann wandte sie sich wieder Kutscher zu und fuhr fort: »Das sind ja gleich zwei schöne Ereignisse auf einmal: Sie werden uns mit Ihrem Besuch beehren, und der neue Roman wird da sein. Ich freue mich auf Donnerstag.«

      Kutscher wurde die Herzlichkeit der Dame unheimlich. Die Seidel behandelte ihn stets freundlich, doch heute bereitete ihm ihre Euphorie Unbehagen. Wusste sie von Rollniks Abfuhr? Sollte sie ihn bei Laune halten? Oder sah er Gespenster?

      Für einen Moment herrschte Stille im Vorzimmer. Stets fielen Kutscher Worte ein, nur in diesem Augenblick nicht. Er gab sich einen Ruck. »Dann darf ich mich fürs Erste verabschieden, meine Dame.«

      »Auf Wiedersehen!«, zwitscherte die Seidel und geleitete ihn zum Ausgang des Vorzimmers.

      Kutscher trat auf den Flur des Verlagshauses und schritt die Treppe vom Hochparterre hinunter. Er drehte sich nicht noch einmal um. Aus seiner Zeit beim Theater wusste er, welch wichtige Rolle Vorzimmerdamen spielten. Sie bestimmten das Bild, das sich die entscheidenden Personen von ihren Geschäftspartnern machten. Doch war er überhaupt ein solcher? Oder eher ein Supplikant? Die Mappe mit den Versen unter seinem Arm erschien ihm auf einmal unglaublich schwer.

      Immerhin verschaffte er dem Verlag Rollnik und Sohn sowie sich selbst durch seine Detektivromane gute Umsätze. Die Honorare waren so hoch, dass er vom Familienunternehmen seiner Eltern inzwischen nur noch ab und an einen kleinen Beitrag zu seinem Lebensunterhalt beziehen musste. Er konnte wahrlich erhobenen Hauptes ins Freie treten.

      Er atmete die kalte Luft tief ein. Es roch nach feuchter Winterfrische. Die Blumengasse lag im Schleier der Schneeflocken. Kutscher schlenderte in Richtung Kreuzstraße. Er lief allein auf dem Trottoir. Die Arbeiter im Graphischen Viertel hatten noch nicht Feierabend und waren mit dem Drucken von Büchern, Zeitschriften und Zeitungen beschäftigt. Er vernahm die Bimmeln und Pferdefuhrwerke sowie einzelne Automobile auf der Dresdner Straße.

      Kutscher nutzte den Weg, um seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Wie unberechenbar sein Leben in der letzten Zeit verlaufen war! Jahrelang hatte er versucht, als Bühnenautor zu reüssieren. Allein durch einen Zufall war ihm ein schlecht gedruckter Roman von Auguste Groner in die Hände gefallen, eine wilde Kriminalgeschichte um den Detektiv Joseph Müller. Kutscher hatte nur ein paar Tage und Nächte gebraucht, um einen ähnlichen Roman zu Papier zu bringen – kurz nachdem er mit seinem Freund Edgar Wank den wahren Kriminalfall um den Fußballer Thoralf Schöpf gelöst hatte. Zunächst war sein Manuskript einige Jahre in der Schublade verstaubt. Und nun erschien schon seine dritte Detektivgeschichte bei Rollnik.

      Zwar nahmen die Herren Redakteure bei den feinen Literaturblättern ihn als Autor nicht wahr, aber er spürte die Anerkennung, die ihm seine belesenen Freunde vom Alten Theater entgegenbrachten. Und er bemerkte, wie ihn die Meinung derer, die seine Schreibkunst nicht zu würdigen wussten, mit jedem neuen veröffentlichten Roman weniger interessierte.

      Im Verlag gingen Briefe ein, in denen ihm Leser – nicht selten handelte es sich auch um Leserinnen – in schlichten Worten mitteilten, wie sehr sie mit dem Ich-Erzähler seiner Geschichten mitfieberten. Mehr noch, aus vielen Schreiben sprach Bewunderung für den Helden seiner Romane. Allem Anschein nach gelang es der Leserschaft nur schwer, zwischen dem Autor und seiner Hauptfigur zu unterscheiden.

      Natürlich fühlte Kutscher sich seinem Helden nahe. Allerdings brachte er viel Fantasie auf, um den Detektiv besonders kniffelige Fälle lösen und ihn dabei jede Menge Gefahren überstehen zu lassen. Wenn Kutscher seinen Freund Edgar Wank von den echten Kriminalfällen berichten hörte, klang die Ermittlungsarbeit weit weniger spannend. Die allermeisten Bösewichter, über die Wank für die Leipziger Zeitung berichtete, verhielten sich geradezu beleidigend blöde. Sie ließen sich auf frischer Tat ertappen, mit der Beute schnappen oder prahlten in der Kneipe mit ihren Vergehen. Das wirkliche Leben bestand aus absurden Zufällen und Langeweile – ganz anders als eine gute Detektiverzählung.

      Kutscher lächelte, während ein paar Schneeflocken auf dem Revers seines Überziehers landeten und sofort schmolzen. Auch auf dem Gehweg blieb das Weiß nicht liegen, sondern verwandelte sich, kaum auf dem Boden angekommen, in Matsch.

      Einige Schneeflocken fielen ihm in die Augen, so bemerkte Kutscher den seltsamen Haufen auf dem Weg erst, als er darüber stolperte.

      »Verflucht!«, rief er. Gerade rechtzeitig fing er den Sturz ab und schlitterte übers Pflaster. Am Sims des Hauses fand er Halt, holte tief Luft und sah zu Boden. Da lag jemand, auf der Seite, eigentümlich zusammengekrümmt. Kutscher musste den armen Kerl mit dem Schuh an den Rippen erwischt haben. Der Mann rührte sich nicht. Ob er ohnmächtig war? Oder den Rausch des Alkohols ausschlief? Jedenfalls spielte der Mann bei der Kälte mit seiner Gesundheit.

      Kutscher beugte sich hinunter und rüttelte ihn an der Schulter. »Kommen Sie, mein Herr, das scheint mir nicht der rechte Ort für ein Schläfchen zu sein!«

      Der Kerl rührte sich immer noch nicht. Erst jetzt fiel Kutscher auf, dass er baren Hauptes da unten ruhte. Matsch hatte sich in den Haaren verfangen. Der Hut lehnte ein paar Meter weiter an der Wand des Nachbarhauses. Vermutlich lag der Mann schon eine ganze Weile am Boden.

      Kutscher


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