Senioren im Netz: Spiel und Spiegel. Edith Zeile

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Senioren im Netz: Spiel und Spiegel - Edith Zeile


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eingegangen sei, dass wir nicht nur Gedanken, sondern auch Bücher austauschten, dass ich die Lebensbejahung und Vitalität dieser Frau mit vier Kindern, Männern und Studium nur bewundern konnte … man nickte gelangweilt.

      Ich erwähnte die Beschleunigung und Vielfalt der Kommunikation bei Seniorbook. An einem Tag könnte man mit sehr viel mehr Menschen kommunizieren, auf unterschiedlichen Bildungsebenen, mal humorvoll, mal kritisch, mal staunend.

      Nietzsche sagt: „Wenn man viel hineinzustecken hat, hat ein Tag tausend Taschen.“ Da Zeit im Alter zunehmend kostbarer wird, will man sie möglichst optimal nutzen. Das ist bei Seniorbook möglich.

      Der dritte Vorteil eines Netzwerks ist die Erweiterung des räumlichen, intellektuellen, emotionalen Horizonts.

      Frage ich eine reale Freundin nach dem Weltfrauentag, weiß sie mit Sicherheit weniger als ich, die ich mich durch zahlreiche Beiträge und Notizen auf den neuesten Stand gebracht habe.

      Die enorme Expansion der Kommunikationsmöglichkeiten ist wie eine Gehirndusche beim Frühstück. Seit ich bei Seniorbook bin, frühstücke ich am PC :-)

      Sicher bin ich nicht die einzige, denn viele holen sich hier den Frischekick für den Tag. Man lacht über und mit. Lachen ist neuerdings wieder als Therapieform entdeckt worden. Es führt zu einer emotionalen und physisch sichtbaren Verjüngung!

      Und wer wollte die Geistesblitze, vor allem der männlichen User, nicht als Gehirnjogging oder Gehirn-Yoga ansehen. Wenn z.B. Prof. Bayreuther, Koryphäe für die Alzheimer Krankheit, hier in Heidelberg öffentlich erklärt, man solle beim Zähneputzen abwechselnd auf einem Bein stehen, dann sind wir selber ja die reinsten Gehirnakrobaten. Wir werden nie dement!

      ***

      Um aber das Thema nicht zu verfehlen – was hier gelegentlich als größter Fauxpas angesehen wird und zu völlig überflüssigen Löschorgien führt –, sollte ich noch etwas über die drei definierenden Substantive der Überschrift sagen.

      SPIEL:

      Wer spielt, bleibt immer jung. Am Schwarzen Brett wird viel gespielt. Auch ‚Mensch, ärgere dich nicht’, leicht abgewandelt.

      Die eindeutig beliebtesten Spiele sind ‚Hasch mich’ oder ‚Versteck dich’. Narrenkappen gibt es hier umsonst für das ganze Jahr, nicht nur zur Karnevalszeit.

      Auch von Natur aus ‚unheitere’ Menschen können wenigstens staunen lernen, was immerhin eine gute Vorstufe auf dem Weg zur Selbstverwirklichung ist. Auch wenn die wenigsten, die sich hier tummeln, so ein umständliches Wort je gehört hätten :-).

      SPIEGEL:

      Seniorbook ist natürlich nicht nur Spielplatz oder Spielwiese oder Lust-Spiel. Die präzise Definition dieser 3 Begriffe überlasse ich gern meinen diesbezüglich erprobten Mit-Spielern.

      Nein, Seniorbook ist auch unser aller Spiegel.

      Warum der liebe Gott sich geteilt hat, ist ja schon den meisten bekannt. Er wollte einen Spiegel für sich haben. Was sollte ein Bewusstsein schon mit sich selber anfangen? Die Idee eines Häretikers? Mitnichten.

      Wir brauchen alle einen Spiegel, im Bad für den Körper, bei Seniorbook und im Leben schlechthin für den Charakter (Seele).

      Warum sind Beziehungen zwischen Männern und Frauen so absolut notwendig? Weil jeder dem anderen ein Spiegel ist, manchmal ein trüber, aber ein bisschen erfährt jeder über sich selbst in einer engen Beziehung, nicht nur über den anderen.

      Und nun haben wir bei Seniorbook die Möglichkeit, wie im Spiegelsaal von Versailles herumzuspazieren und die anderen zu begutachten – nein, weit gefehlt, um uns selber besser kennenzulernen.

      Was war ich doch für eine naive und selbstverliebte Person, als ich den Profilspruch „Alles verstehen, heißt alles verzeihen“ (Franz von Assisi) im Dezember 2013 wählte!

      Es dauerte auch gar nicht lange, bis sich jemand aufgerufen fühlte, diesen kühnen Anspruch von mir zu hinterfragen. Etwa zwei Monate lang herrschte öffentlich und hinter den Kulissen erbitterter Streit.

      Da merkte ich erst, dass man sich nicht ungestraft mit den Worten eines Meisters schmücken durfte, obwohl ich es ja auch nur als ‘Zukunftsvision’ gewählt hatte.

      H. ist seither verschwunden. Er hat ja auch getan, was er in Bezug auf mich zu tun hatte.

      BEWUSSTSEINS-SCHMIEDE

      Die Härte, die sich in diesem Begriff ausdrückt, fasziniert und schockiert mich gleichermaßen.

      Ein Schmied behandelt sein Eisen mit Feuer, damit es formbar wird. Auch Menschen werden im Laufe ihres Lebens, meist durch Leid und Schmerzen, ge-formt, ver-formt, manchmal sogar trans-form-iert.

      Wenn ich meine Erfahrungen bei Seniorbook und im wirklichen Leben vergleiche, kann ich tatsächlich erkennen, dass der Prozess der Umformung durch die Vielfalt der Begegnungen, die Beschleunigung der Kontakte und die Erweiterung des persönlichen Lebensraums bei Seniorbook tatsächlich einer Bewusstseins-Schmiede gleichkommen kann. Dies lässt sich an den Reaktionen der Umwelt gut erkennen.

      Ich bin weniger emotional und dadurch weniger verletzlich geworden, Ich schlage meine Feinde nicht mehr in die Flucht, sondern bitte insgeheim um Verständnis, und ich bin, soweit man sich selber sine ira et studio beurteilen kann, extrem tolerant geworden.

      Der Satz, „Jeder kann nur sein, was/wie er ist“, ist meine Grundüberzeugung geworden, die Erwartungen dämpft, Enttäuschungen ausschließt und inneren Frieden gewährleistet.

      Nicht jeder muss sich neue Hufeisen anpassen lassen. Seniorbook erlaubt Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit und passt deshalb so ausgezeichnet ins Wassermann-Zeitalter.

      Obwohl ich einen Beruf hatte, der mich täglich mit Menschen aus aller Welt zusammenbrachte, obwohl ich viele Reisen gemacht und lange Zeit in fremden Ländern verbracht habe, obwohl ich einmal den Menschen für das interessanteste Studienobjekt gehalten habe, muss ich nach anderthalb Jahren bei Seniorbook feststellen, dass es mit meiner Menschenkenntnis nicht so weit her ist.

      Aber bei einem so harten Urteil mir selbst gegenüber möchte ich nicht stehenbleiben.

      Ich suche nach Gründen, warum ich plötzlich so viele Feinde habe. Vielleicht liegt es daran, dass man im realen Leben eine Auslese trifft: Man hat eine Familie, Freunde, Bekannte, die ähnliche Interessen und eine ähnliche Lebenseinstellung haben. Natürlich begegnet man auch Fremden, im Urlaub, bei öffentlichen Veranstaltungen, auf Reisen, aber diese Kontakte sind meist zeitbegrenzt. Gab es denn nicht schon früher böse Überraschungen, Betrug oder Diebstahl?

      Ja, da fällt mir eine Begegnung in einer indischen Bank ein, Ich kannte Herrn A. Seine Tochter wollte gerade heiraten, und oft verschulden sich die Brauteltern bis zum Ende ihres Lebens. Herr A. bat mich um ein Darlehen. Irgendwie tat er mir leid. Das Geld, 3000 DM, sah ich nie wieder, denn kurz darauf verschwand die Familie aus der kleinen Stadt und ging in dem riesigen Ameisenstaat Indien unter.

      Aber solche negativen Erfahrungen waren doch recht selten.

      ***

      Seniorbook, ein auf eine Altersgruppe eingeschränktes soziales Netzwerk, war Neuland für mich. Zwar hatte ich schon ein paar Erfahrungen in speziellen Foren, aber meine Beteiligung dort löste nie Verleumdungen, Hasstiraden, Stalking oder bissigen Spott aus.

      Dabei hatte ich mir bei Seniorbook eigentlich nur Anregungen, Inspirationen, interessante, durchaus kontrovers geführte Diskussionen und Erweiterung des eigenen Horizonts gewünscht.

      Nach einer kurzen Eingewöhnungszeit fand ich meinen ganz speziellen Platz in der Themenwelt und schrieb viele Beiträge in der Rubrik ‘Philosophie und Religion’.

      Hier glaubte ich, Erfahrungen und Erkenntnisse eines langen Lebens weitergeben zu können, und genau das war schon ein großes Ärgernis.

      Jeder,


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