Stress-Familie Robinson. Adrian Plass
Читать онлайн книгу.Punkt anzukommen, von dem ihr sowieso wusstet, dass ihr dort enden würdet. Ich glaube nicht, dass es je wirklich in Frage kam, dass du beim Packen hilfst - natürlich nicht, dass du nicht ernst gemeint hättest, was du gesagt hast, Mike, das nicht. Du hast offensichtlich sehr feste Ansichten über das Füllen von Koffern. Ich bin auf diesem Gebiet ganz unbeleckt - ich habe überhaupt keine Ansichten darüber.“
Mike schmunzelte. Er hatte seine fröhliche, unerschütterliche Gelassenheit wieder gefunden.
„Wir benehmen uns wohl manchmal ein bisschen albern. Kath macht sich Sorgen, dass wir keine von diesen perfekten christlichen Ehen führen, von denen man in Büchern liest, aber, nun ja … wir lieben uns trotzdem. Das ist doch ziemlich wichtig, oder?“ Plötzlich hüstelte er verlegen und legte den Teller hin, den er gerade polierte. „Es muss manchmal sehr schwer für dich sein, Dip - ich meine, dir muss es bis zum Hals stehen, wenn Leute sich über ihre Frauen und Männer auslassen und dergleichen, wo du doch …“
„Wo ich doch nie verheiratet war? Ja, das fällt mir wirklich hin und wieder ein bisschen schwer, aber ich bin gern mit Familien zusammen, und mir gefällt es eigentlich inzwischen gar nicht mehr so schlecht, allein stehend zu sein. Es ist keine Krankheit, nicht verheiratet zu sein, weißt du. Um ehrlich zu sein, Mike, ich weiß nicht, ob ich es nach all diesen Jahren überhaupt ertragen könnte, mein - du weißt schon - mein Innerstes mit jemand anderem zu teilen.“
Durchs Fenster konnte ich sehen, wie Felicity sich auf der gelben Plastikschaukel, die an einem der Apfelbäume hing, rasend schnell um sich selbst drehte. Plötzlich stiegen alte Kleinmädchenträume wieder in mir auf.
„Aber ich will dir etwas sagen, es kommt schon vor, dass ich mich danach sehne, dass jemand auf mich wartet, wenn ich nach Hause komme, jemand, der mich fragt, wie es auf der Arbeit war, der mir eine Tasse Tee macht - dergleichen Dinge. Und manchmal, wenn ich irgendwo bin, wo viele Menschen sind, dann wünsche ich mir … du wirst das jetzt total albern finden.“
„Nein“, sagte Mike, „erzähl weiter, es interessiert mich.“
Ich warf einen raschen Blick in sein Gesicht und fuhr fort.
„Na ja, dann wünsche ich mir, ich könnte quer durch den Raum den Blick von jemandem auffangen, über die Köpfe der anderen hinweg - nur für einen Moment -, einen jener kleinen, lächelnden Blicke, die einem sagen, dass da jemand genau versteht, was man gerade denkt. Und dann unterhält man sich weiter oder was immer man gerade getan hat, aber man weiß, dass man nicht allein ist. Etwas Besonderes für jemanden zu sein, die Nummer eins in seinem Leben - ich weiß, es ist albern, aber hin und wieder sehne ich mich immer noch schrecklich danach.“
Ein paar Augenblicke lang war in der Küche der Robinsons nichts zu hören außer dem Tropfen des Wasserhahns und dem Geklapper des Geschirrs, aber es war keine peinliche Stille.
„Immerhin“, sagte Mike endlich, „wenigstens musst du keine wirren Debatten durchexerzieren, bevor du zu etwas kommst, so wie wir es gerade getan haben.“
„Das nicht, aber …“ Ich hielt inne, weil ich mich plötzlich ein wenig fürchtete. Das war sehr harte Währung, die ich hier über den Tresen unserer immer noch im Entstehen begriffenen Freundschaft reichte. Nicht die Sorte, die man je wieder würde zurücknehmen können. „Nein, aber wir Singles spielen unsere eigenen albernen Spielchen, weißt du. Zumindest tue ich das.“
„Zum Beispiel?“
Ich schälte mir die Gummihandschuhe von den Händen und warf sie in das Spülbecken.
„Trockene Geschirrtücher?“
„In der Schublade unter den Stabschrecken. Hektarweise Geschirrtücher. Wir sind sehr reichlich ausgestattet mit trockenen Geschirrtüchern. Erzähl mir mehr von deinen Spielchen.“
„Manchmal“, sagte ich, während ich nach einer Hand voll nasser Besteckteile griff, „verliere ich das Zutrauen zu den Leuten.“ Ich berichtigte mich. „Das heißt, das ist nicht ganz fair. Ich schätze, was ich wirklich meine, ist, dass ich das Zutrauen zu mir selbst verliere. Da ist vielleicht eine Familie - wie eure - und ich bin schon oft zu Besuch gekommen, und alles scheint in bester Ordnung zu sein. Doch dann kriege ich ganz plötzlich so ein kaltes Gefühl im Bauch, und ich denke, was ist, wenn die mich die ganze Zeit nur mühsam erduldet haben? Was ist, wenn sie nur nett zu mir waren? Dann gerate ich in Panik. Und dann fangen die Spielchen an.“
Draußen hatte Felicity ihre Schaukel verlassen und hockte nun neben dem kleinen Blumenbeet, das ihr ganz allein gehörte, und stocherte mit einem Stöckchen in der Erde herum. Da sie zufällig in diesem Moment aufsah, fing sie meinen Blick auf und grinste. Warum rief Felicitys Lächeln in mir manchmal diese kleinen Krämpfe aufsteigender Tränen hervor?
„Dann tauche ich wieder wie ein verängstigtes Kaninchen in meinem kleinen Haus unter, mache die Tür hinter mir zu - verschließe sie, verriegele sie, verbarrikadiere sie mit einem Stuhl -, tue alles, um mir die Welt vom Leib zu halten, damit sie nicht sieht, wie peinlich es mir ist, eine lästige alte Langweilerin zu sein, die sich aufdrängt, wo sie nicht erwünscht ist. Und dann laufe ich vielleicht ein bisschen mit geballten Fäusten im Haus umher und überschütte mich selbst mit Flüchen und so.“
Der arme Mike musste natürlich etwas sagen. „Aber Dip, du glaubst doch nicht wirklich …“
„Ich rede nicht davon, was ich glaube, Mike. Ich rede davon, was ich fühle. An solchen Tagen fühle ich mich wie ein formloses Stück Abfall und bin sicher, dass niemand mich wirklich mag. Sie tun alle nur so, und ich will keinen von ihnen je wiedersehen.“
„Und das Spielchen …?“
„Das Spielchen - oh, ich komme mir vor wie ein Idiot, Mike! Das Spielchen - eines der Spielchen - besteht darin, dass ich tagelang oder sogar wochenlang mit niemandem Kontakt aufnehme, nur um zu sehen, wie lange es dauern wird, bevor ihnen endlich einfällt, dass ich existiere und sie mir schreiben oder mich anrufen oder irgendetwas. Ich weiß, es ist kindisch und albern, aber - ich schätze, manchmal bin ich eben ganz unten und verwandle mich in einen Jammerlappen.“
„Du hast dieses letzte Messer fünfmal abgetrocknet, Dip. Funktioniert das?“
„Funktioniert was? Die Kontaktsperre, meinst du? Nein, eigentlich nicht. Eine Weile lang drücke ich eine Ladung brennenden Groll an mich, aber dann fange ich an, die Leute zu vermissen; also gehe ich sie besuchen, und sie freuen sich meistens so sehr, mich zu sehen, und ich freue mich so sehr, sie zu sehen, dass ich ganz vergesse, tief verletzt zu sein, und alles wird wieder normal.“ Ich lachte. „Einmal ging der Schuss voll nach hinten los. Da war so ein Pärchen in meiner früheren Gemeinde, die meinten, sie hätten einen, Dienst unter Alleinstehenden‘ zu verrichten, und sie wurden ziemlich fuchtig, als ich eine Weile nicht zu ihnen kam. Eines Abends standen sie bei mir auf der Matte, mit Mündern, die aussahen wie ausgefranste Schnurstücke, und sagten mir, weil ich nicht an ihren Versammlungen teilgenommen hätte - ach Mike, lebendig begraben zu werden hätte mir mehr Spaß gemacht -, fühlten sie sich geführt, sich für eine Zeit von mir zurückzuziehen. Dann marschierten sie ab, und ich fühlte mich sehr erleichtert und ein bisschen schuldig - aber nur ein bisschen.“
Mike warf den Flaschenöffner an seinen Platz und schloss die Besteckschublade mit einem triumphierenden Knall.
„Der Abwasch ist erledigt. Jetzt nehmen wir uns den Fußboden vor. Gehen wir syst- … ich meine, du fegst, Dip, und ich stelle die Stühle hoch, weil ich weiß, wie man sie am besten anordnet, und dann kannst du mir vom Flur aus weiter erzählen, während ich feucht wische. Okay?“
Als ich ein paar Minuten später mit verschränkten Armen im Türrahmen lehnte und Mike beobachtete, wie er sich langsam und methodisch mit dem Schrubber rückwärts auf mich zuarbeitete, empfand ich ein leises Unbehagen. Eine Frage formte sich in dem konzentrierten Rhythmus seiner Bewegungen. Hätte ich nicht gewusst, dass durch den bevorstehenden Urlaub sowieso eine Lücke entstehen würde, so hätte ich vielleicht an Ort und Stelle meine Kaninchennummer abgezogen. Welchen Preis würde ich dafür bezahlen müssen, dass ich mich so entblößt hatte?
„Darf ich dich etwas