Fass mich nicht an!. Reinhold Ruthe

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Fass mich nicht an! - Reinhold Ruthe


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rel="nofollow" href="#fb3_img_img_ead77f73-33bb-5801-9805-3a949c7896cd.jpg" alt=""/>er fühlt sich ermutigt,

      

er fühlt sich geliebt.

      Er muss nicht um Anerkennung buhlen. Er steht im Leben und kann Nein sagen.

      Er weiß sich zu wehren und ist nicht haltlos.

      Und wer kein Vertrauen getankt hat? Das Kind ist von Eltern und Angehörigen enttäuscht. Eltern hatten keine Zeit. Sie waren mit sich beschäftigt. Das Kind hat eine große Sehnsucht

      

nach Anerkennung,

      

nach Zuwendung,

      

nach Bestätigung,

      

nach Beachtung.

      Diese Lücke nutzen die Täter. Sie machen sich beliebt, schenken Zuwendung, schenken Zeit, schenken Aufmerksamkeit. Kinder, die sich auf diese Weise verführen lassen, erkennen nicht, dass diese Tat böse ist. Alle negativen Empfindungen richten sich dann gegen sich selbst:

      

Die kindlichen Opfer fühlen sich böse,

      

sie fühlen sich schmutzig,

      

sie gehören bestraft. Fachleute machen darauf aufmerksam, dass diese Empfindungen, wenn sie nicht später bearbeitet werden, sich im Erwachsenenalter einnisten.

       Vertrauensmissbrauch eines Lehrers

      In einer Zeitschrift fand ich einen Artikel, der das Schicksal eines 14-jährigen Mädchens schildert, das von einem Lehrer missbraucht wurde. Die Überschrift lautet: „Ich fand es toll, dass sich ein erwachsener Mann für mich interessierte, und hatte das Gefühl, dem kann man vertrauen.“

      Wie erschlich sich der Lehrer das Vertrauen des Mädchens?

      Auf einer Klassenfahrt saß das Mädchen neben ihm. Er sprach über ihre Schwester, die er unterrichtet hatte. Die 14-Jährige fand ihn sympathisch, lässig, cool. Beide schrieben sich im Chat nach der Klassenfahrt. Er bot ihr nach einiger Zeit das Du an. Der Lehrer war 18 Jahre älter.

      Entscheidend: Das Mädchen fühlte sich zu Hause in der Zeit vernachlässigt.

      Die Schwester stand im Mittelpunkt. Die 14-Jährige fand es toll, dass sich ein älterer Mann für sie interessierte. Der Lehrer lobte sie. Sie sei ein gut erzogenes Mädchen. Das Mädchen fühlte sich wie eine Frau. Dann wurden die Fragen im Chat intimer: „Hattest du schon mal Sex?“

      „Kannst du mir etwas andere Bilder von dir zeigen?“

      Erst wehrte sie sich, dann gab sie nach. Auch er schickte Bilder, auf denen er nackt mit erigiertem Glied zu sehen war.

      Im Lehrerzimmer nahm er das Mädchen in den Arm, und es kam zu körperlichen Berührungen. Das Mädchen wörtlich: „So eine Beziehung war für mich was Neues. Er war zärtlich, aber es ging letztlich immer um Sex. Wenn ich vorschlug, lass uns doch nur einen Film anschauen, sagte er, dass sie beide die Zeit nutzen sollten, sie sähen sich zu wenig. Es lief immer auf dasselbe hinaus.“

      Sie trafen sich heimlich: in der Schule, bei ihm zu Hause, wenn seine Frau unterwegs war, auf dem Parkplatz und im Wald. Sogar zum Geburtstag kam der Lehrer mit einem Blumenstrauß zu ihr nach Hause. Die Mutter ahnte nichts, obschon die Tochter am Rande erwähnt hatte, sie sei in den Lehrer verliebt. Die Klassenlehrerin weckte das Misstrauen der Eltern, und der Missbrauch flog auf. Vor allem die ältere Schwester, die sich auch mit dem Lehrer duzte, brachte den Missbrauch zur Sprache. Sie ließ durchblicken, dass der Lehrer auch sie mal unsittlich berührt hatte. Gesprochen hätte sie nicht darüber, weder mit der Schulleitung noch mit Freundinnen oder den Eltern.

      Was lehrt uns dieser Missbrauch? Schon hier ein paar Anmerkungen dazu (später wird noch einmal ausführlich über Prävention, über Aufklärung, über eine gute Eltern-Kind-Beziehung gesprochen, die Missbrauch verringern oder unterbinden):

      1. Die Eltern haben mit ihren Kindern nicht über Sex gesprochen.

      Heute ein Versäumnis vieler Eltern. Die Sexualität ist ein wunderbares Geschenk unseres Gottes. Sie gehört zu unserem Leben, kann aber missbraucht werden. Wer das Thema in der Erziehung tabuisiert, muss damit rechnen, dass Kinder das Thema auch tabuisieren. Sie schämen sich, kennen die Bedeutung, die Einordnung, den Stellenwert und die Gefahren nicht. Die 14-Jährige ist ein Beispiel dafür. Sie behält alles für sich.

      Die Äußerung, dass sie in den Lehrer verliebt ist, haben die Eltern nicht ernst genommen. Keine Rückfragen, kein lebendiger Austausch darüber. Die Schülerin hat Fragen und Unsicherheiten, macht sie aber mit sich selbst ab. Und das Unheil nimmt seinen Lauf.

      2. Kinder und Jugendliche können schwer zwischen sexuellem Begehren und Liebe unterscheiden

      Die 14-Jährige fühlte sich anerkannt, gemocht und geliebt. Vielleicht glaubte sie, dass der ältere Lehrer, also ein angesehener Mann, es einmal ernst mit ihr meinen würde. Sie bekam Zuwendung, Anerkennung und Bestätigung. Sie wurde ernst genommen, wenn auch unter zwielichtigen Motiven. Dinge, die sie leider zu Hause vermisste. Das Sexuelle wurde ihr zu viel. Aber sie wusste, dass es zur Liebe gehört. Sie kam nicht auf den Gedanken, konnte auch nicht darauf kommen, dass der Lehrer sie lediglich als Sexobjekt benutzte.

      3. Die Schülerin konnte dem Lehrer nicht widersprechen

      Sie machte sich ihre Abhängigkeit nicht klar. Denn ihre Noten und ihre Beurteilung hingen davon ab. Schon ihre ältere Schwester hatte ähnliche Erfahrungen gemacht. Alles blieb im Dunkeln, weil Eltern und Kinder über sexuelle Gefühle, über versteckte Wünsche und Sehnsüchte, über Verliebtheit und Liebe nicht offen gesprochen hatten. Kinder haben Respekt vor den Erwachsenen. Diese sind ihnen überlegen. Wer als Kind

      zur Artigkeit,

      zur Anpassung,

      zur Höflichkeit,

      zur Achtung gegenüber Erwachsenen erzogen wurde,

      kann leicht überfahren werden.

      4. Mangelnder Austausch über Sex und Liebe macht einsam.

      Je weniger über Sexualität, Liebe, Geborgenheit, Zärtlichkeit, Verliebtheit und viele unbegreifliche Sehnsüchte gesprochen wird, desto einsamer fühlt sich das Kind. Es fragt nicht, weil es sich schämt. Es leidet still vor sich hin und kann viele Zusammenhänge nicht deuten. Auch nach Offenlegung des Missbrauchs leidet das Mädchen, „saß nur noch zu Hause, hatte keine Freunde mehr“, heißt es in dem Bericht.2

       Die Opferrolle der Missbrauchten

      Wer systematisch vertuschen, betrügen, verführen und missbrauchen will, findet viele unerlaubte Wege. Kinder und Jugendliche sind in der Regel in einer unterlegenen Situation.

      Und wer verführen will, dem fallen ungeahnte Möglichkeiten ein, Opfer zu finden.

      Wer aber in der Familie, in Schulen, Heimen und anderen Einrichtungen sexuelle Gewalt und sexuellen Missbrauch verringern und verhindern will, findet hilfreiche Anregungen, konkrete Erziehungstipps und Einstellungen. Wer sich ernstlich hineindenkt, wird für seine Erziehungs- und Präventionspraxis Anregungen finden, die ihm weiterhelfen.

      Die Professoren Sabine Andresen und Wilhelm Heitmeyer schreiben: „Eine Erfahrung, die betroffene Kinder häufig machen, nämlich kein Gehör zu


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