Was den Raben gehört. Beate Vera

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Was den Raben gehört - Beate Vera


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Arbeitsmoral ausgezeichnet. Keine Wand innerhalb der quaderförmigen Häuser, die nach der Mittagspause errichtet wurde, haben sie gerade gezogen. Fliesen und Innenausstattungen einiger geplanter Küchen und Bäder sind auf wundersame Weise aus den ihnen bestimmten Häusern in andere gelangt, deren Eigentümer über gute Verbindungen zur Baufirma und deren Subunternehmen verfügen. Vermutlich werden die Arbeiter annehmen, dass ein anderer Trupp bereits tätig geworden ist, und im Nebenhaus weitermachen.

      Er benötigt etwas über eine Stunde, um die rund sechzig Ziegelsteine in der Eiseskälte zu setzen. Mehrfach muss er das Wasser, das er braucht, um den Mörtel anzurühren, auf einem kleinen Gasbrenner erwärmen. Konzentriert setzt er Stein um Stein. Als die Mauer fertiggestellt ist, schiebt er den Mörteleimer in die Ecke zurück, aus der er ihn geholt hat. Er wirft einen letzten Blick auf die neue Wand. Dann nimmt er das kleine Kind an die Hand, das seiner Arbeit regungslos beigewohnt hat, steigt mit ihm die Kellertreppe hinauf und verlässt das Haus am Ende der Straße. Er zieht das Kind auf einem Schlitten hinter sich her, den Dürener Weg hinunter, und summt dabei leise den neuen Hit dieser Band aus Liverpool. Seine Stiefel knirschen im Schnee.

       2

       Advent 2012

      Rolf Prinz’ Mangel an Empathie wurde nur noch von seiner Inkompetenz übertroffen. Der gering geschätzte Ermittlungsleiter der vierten Berliner Mordkommission, die an jenem Tag Rufbereitschaft hatte, war clever genug, sich smarte Assistenten an Land zu ziehen, die die Arbeit für ihn erledigten und ihn gut dastehen ließen. Auch riss er sich gerne Fälle unter den Nagel, bei denen keine unmittelbaren Ergebnisse erwartet wurden. Dabei störte es ihn nicht, wenn die gar nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fielen. Auch die anstehenden Ermittlungen wären eigentlich Sache des LKA-Dezernats 12 gewesen, dessen Aufgabe neben den sogenannten Vermisstensachen Identifizierungsmaßnahmen zur Namhaftmachung von unbekannten Toten war, doch Prinz hatte ohne großen Widerstand seinen Willen durchsetzen können und die Ermittlungsleitung übernommen.

      Nachdem er sich den Tatort kurz und lustlos angeschaut hatte, stand er nun vor dem Reihenmittelhaus, in dessen Keller zwei skelettierte Leichen gefunden worden waren. Geräuschvoll putzte er sich die Nase, hustete lautstark und stöhnte beim Betrachten des Inhalts seines Taschentuchs erbarmungswürdig, sodass niemand den geringsten Zweifel daran haben konnte, wie schlecht es um seine Gesundheit stand. Feingefühl gehörte wahrlich nicht zu seinen Stärken, und er vergaß keinen einzigen Affront gegen seine Person. Nach wie vor war er beleidigt, weil ihn seine Kollegin Merve Celik vor drei Monaten hatte sitzenlassen, um sich mit diesem Küstenheini Martin Glander selbstständig zu machen. Celik & Glander – Private Ermittlungen, dass er nicht lachte! Zähneknirschend erinnerte er sich an den letzten Fall, bei dem sich ihre Wege gekreuzt hatten: die Entführung einer Oberschülerin im September. Er selbst war auf einer falschen Fährte gewesen, und Glander und Celik hatten den Täter überführt. Und jetzt diese Geschichte hier, schon wieder in direkter Nachbarschaft zu Glanders neuer Flamme – wie hieß die noch gleich? – Lea Storm. Würde er den Mann denn nie loswerden?

      Prinz’ Laune hatte sich seitdem genauso wenig gebessert wie das Wetter. Der Berliner Advent war wie immer nass, kalt und einfach nur zum Abgewöhnen. Oder zum Auswandern. Prinz spielte regelmäßig mit dem Gedanken, eine Eigentumswohnung auf den Kanaren zu kaufen. Noch reichte das Geld nicht, aber jedes Jahr im November wurde sein Wunsch konkreter. Alt würde er jedenfalls nicht in diesem Moloch Berlin. Auf gar keinen Fall!

      Prinz fühlte eine Erkältung im Anmarsch. Vor dem Reihenhaus zog es wie Hechtsuppe. Und alte Fälle wie dieser interessierten ihn nicht die Bohne, schon gar nicht an einem Freitag, kurz vor dem Wochenende, und noch dazu jwd, janz weit draußen, am Stadtrand. Seinen Mangel an Enthusiasmus musste er aber verbergen. Die beiden Frauen neben ihm sahen ihn schon vorwurfsvoll genug an.

      Sigrun und Gudrun Lehmann, die eine Bankerin, die andere Maklerin von Beruf, wie sie ohne Umschweife preisgegeben hatten, als sie sich ihm vorgestellt hatten, wohnten direkt im Haus nebenan und piesackten ihn mit ihren Fragen und Informationen. Wenn er ihr Geschnatter richtig verstanden hatte, waren sie direkt um die Ecke, im Monschauer Weg, aufgewachsen und hielten sich für Expertinnen in allen Kiezbelangen. Hatten diese beiden Schrapnells denn nichts Besseres zu tun? Jetzt quasselten sie schon fünf Minuten unablässig auf ihn ein, und er hatte ihnen nicht wirklich zugehört. Sein Assistent Fellner würde später alles zu Protokoll nehmen, das würde vollkommen ausreichen. Prinz ging sowieso nicht davon aus, dass sie einen Täter finden würden. Dieser Fall war kälter als seine Füße – aber es half ja alles nichts.

      Lutz Harnack, Professor der Pathologie und rechtsmedizinischer Leiter des forensischen Teams, das Prinz für diesen Fall zugeteilt war, trat aus dem Haus und kam zu ihm herüber. Harnack schien das schlechte Wetter gar nicht zu bemerken, oder vielleicht trug er auch etwas sehr Warmes unter dem weißen Overall des Kompetenzzentrums Kriminaltechnik des LKA Berlin, kurz KT. Er hatte an diesem Freitag den Dienst eines Kollegen übernommen, der den Hochzeitstag mit seiner Gattin in Paris verbrachte, und würde nun die Untersuchungen des Tatorterkennungsdienstes koordinieren.

      »Auf den ersten Blick handelt es sich bei den Skeletten um einen Mann und eine Frau, die Beckenknochen weisen eindeutig darauf hin. Beide waren zum Zeitpunkt des Todes erwachsen, die Handwurzelknochen sind erkennbar zusammengewachsen. Der Mann starb vermutlich an einem Schlag auf den Schädel mit einem stumpfen Gegenstand, zumindest klafft ein großes Loch in seinem Pericranium, und sein Kiefer ist zertrümmert. Ein Ziegelstein oder ein großer Hammer, so etwas in der Art kämen dafür in Frage. Die Frau wurde erwürgt, ihr Zungenbein ist gebrochen, das konnte ich deutlich sehen. Weitere Fremdeinwirkung konnte ich bei einer groben Betrachtung der Knochen zunächst nicht ausmachen. Ich denke, ich werde neben den Kollegen vom Personenerkennungsdienst, die die üblichen DNA-Spuren – falls wir noch welche finden – und die Zahnprofile auswerten werden, noch die 45 zurate ziehen und die Überreste der Textilien genau prüfen lassen. Ich hoffe, dass sie uns Aufschluss über die Herkunft der beiden Toten geben können. Die beiden Skelette werden eine Reihe von Kollegen beschäftigen, das ist bereits abzusehen.«

      Die KT 45 war die für Textilkunde zuständige Unterabteilung der Abteilung KT 4 des Landeskriminalamtes. Dort arbeiteten die Naturwissenschaftler unter den Kriminaltechnikern.

      Prinz zog einen Flunsch. Was das wieder alles kosten würde!

      Harnack hielt Prinz einen der kleinen Folienbeutel entgegen, die die KT zur Beweissicherung verwendete. »Diesen Ring habe ich bei der weiblichen Leiche sicherstellen können.« Erst jetzt schien er die zwei Frauen neben Prinz zu bemerken und räusperte sich mit einem Seitenblick auf die beiden. Harnacks Beruf erforderte eine vielen seiner Mitmenschen unangenehme Faszination für den Tod in all seinen grauenvollen Facetten. Harnack war beseelt von seinem Fachgebiet und ein weltweit gefragter Dozent und Sachverständiger. Den Tod zu entschlüsseln war sein Lebensinhalt, und er schien keinen Kripobeamten darum zu beneiden, sich mit lebendigen Menschen auseinandersetzen zu müssen.

      Die beiden Damen neben dem Kriminalhauptkommissar starrten kreidebleich auf das durchsichtige Plastiktütchen, das Harnack Prinz immer noch vor die Nase hielt. Die Frau in Türkis griff die Hand der Frau in Zyklam neben sich und flüsterte entsetzt: »O mein Gott, Siggi, das ist Mamas Ring! Sieh doch nur! Das ist der Ring mit dem Diamantsplitter, den sie als Ehering trug. O Gott, Siggi, das ist Mama da unten im Keller!«

      Danach brach das blanke Chaos um Rolf Prinz aus.

      *

      Während das Drama in und vor dem Reihenhaus in ihrer Zeile im Dürener Weg in den nächsten Akt ging, fror Lea Storm auf ihrer Hunderunde erbärmlich. Dem Winterbeginn in Berlin hatte sie noch nie viel abgewinnen können. Er war ihrem Empfinden nach immer grau, nasskalt und trostlos. Schnee fiel, wenn überhaupt, erst im Januar – dann, wenn man ihn nicht mehr brauchte. Und dem black dog, dem schwarzen Hund, den einem diese Jahreszeit aufzwingen wollte, musste man aktiv entgegentreten. Warum der frühere britische Premierminister Winston Churchill gerade einen Hund als Sinnbild für Depressionen gewählt hatte, hatte Lea nie begriffen. Wenn sie selbst dieses Krankheitsbild mit einem Tier in Verbindung bringen müsste, würde sie eher an einen hässlichen Kraken denken. Viel passender fand Lea


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