Mordgelüste in der Schlossklinik Buchenhain. Herbert Seibold

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Mordgelüste in der Schlossklinik Buchenhain - Herbert Seibold


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Du lähmst ja ihre Motivation durch deine gnadenlose Strenge – schau doch mal in den Spiegel!“, warf ihm seine Frau manchmal vor.

      Wenn man ihn bei seinen Gängen über die langen Flure ansprach, verlangsamte er nur unmerklich sein Schritttempo und neigte dazu, den ihn Ansprechenden grundsätzlich nicht anzuschauen. Eine Augenbraue zog dabei nach oben, die andere blieb unbeweglich: Eine pantomimische Meisterleistung! Der linke Arm schwang kräftig mit, der rechte bewegte sich nicht. Fast so wie bei Putin, durchzuckte es Frau von Hess. Ein psychiatrischer Konsiliarius hatte sich mal verplaudert: „Euer Verwaltungschef hat, glaub ich, ein Asperger Syndrom und eine Erwachsenenform des ARDS!“

      Auch die Sekretärin hatte eine Weile gebraucht, um zu begreifen, dass eine seltene, fast unmerkliche Veränderung von Kurt Muniels Gesichtsmuskeln als Lächeln zu deuten war. Tatsächlich wirkte diese von ihm als Freundlichkeit angelegte Mimik auf seine Mitarbeiter eher wie Eisregen. Unterhaltungen waren zeitlich nur sehr begrenzt möglich. Er selbst hielt sein Lächeln für gewinnend.

      Amalie, seine Frau, hatte seit einem halben Jahr Bemerkungen über seine kalte Überheblichkeit eingestellt. Jeder Kritik enthielt sie sich, seit er einmal handgreiflich geworden war. Voller Wut hatte sie ihn einen pathologischen Narziss und Soziopathen genannt. Nein, das hätte sie nicht sagen sollen. Seitdem zeigte sie keine Wut mehr. Im Spiegel versuchte sie ihr von leichten Furchen verändertes Gesicht mit einem geheimnisvollen Lächeln zu verschönern.

      Ihrer einzigen Freundin Christine im Tennisclub war dieses sybillinische wie einstudierte Lächeln aufgefallen. Sie erzählte Amalie aber nicht, dass sie dieses Lächeln wie eingefroren erlebte, ein Dauerlächeln, wie von manchen bekannten Politikergattinnen gezeigt. Stattdessen schmeichelte sie Amalie mit Lob für ihren entspannten Gesichtsausdruck. „Amalie, wunderbar – du wirkst ja so entspannt. Ich merke es auch an deinem Spiel. Nicht mehr so verkrampft hältst du den Schläger in der Hand.“

      Amalie legte ihr nur ihre Hand auf die Schulter und sagte: „Du bist eine verdammte Schmeichlerin!“

      Die Chefsekretärin Veronika von Hess-Prinz und Amalie Muniel waren nie befreundet gewesen. Allerdings trafen sie sich bei offiziellen Feiern der Klinik und schwätzten nach dem zweiten Glas Wein gelegentlich auch mal persönliche Dinge. Veronika hielt sich dabei immer zurück. Amalie begann seit einigen Jahren an den Hüften ein wenig in die Breite zu gehen und aus Frust und Stress sich schon mal über ihren Mann zu beklagen. Es kam ihr nach dem zweiten Glas Sekt gewissermaßen aus den Poren. Als Veronika sie zum ersten Mal erlebt hatte, dachte sie: Ach! Auch so eine frustrierte Ehefrau! Vorher ein sonderbares Lächeln und jetzt ein Gesicht, das wohl einiges zum Verbergen hat.

      Amalie hatte sich einmal nach dem dritten Glas Sekt bei der Sekretärin Veronika über ihn beklagt, ohne zu berücksichtigen, wen sie vor sich hatte. Themen wie Frust in der Ehe ganz allgemein wurden schon vorher eher abstrakt als Allgemeinthema angeschnitten. Nach all den Jahren, in denen die Karriere des Mannes Vorrang hatte, Jahre, in denen Schlucken- und Duldenmüssen zum Alltag gehörten, traute sie sich jetzt, Tabuthemen anzusprechen.

      Mordgedanken kamen in den Gesprächen natürlich auch im Scherz nicht vor. Dabei hatte Frau Muniel schon einmal geträumt, statt Salz, Pfeffer und Zucker weniger Bekömmliches – nämlich für die Leber und Nerven giftiges Pulver – in den Salat oder die Brombeermarmelade zu streuen – sie hatte ja immerhin Pharmazie studiert. Sie wusste, dass N-Nitrosodimethylamin ein schwer nachweisbares Lebergift ist, das Mutationen im Erbgut verursacht, so Leberkrebs erzeugt und nach Monaten und Jahren zum Tode führen kann. Von einem Mordfall mit diesem Gift an der Uniklinik Ulm vor dreiunddreißig Jahren hatte sie immerhin bei Google gelesen und hatte sich die Originalarbeit über den Fall besorgt, die der Oberarzt der Abteilung Gastroenterologie und sein Chef verfasst hatten. Mit der Sekretärin hatte sie diese Träume natürlich nicht erörtert. Glücklicherweise hakte sie solche Gedanken spätestens nach dem ersten morgendlichen Espresso als reine Fantasiegebilde ab – vorerst? Über eines war sie sich ganz sicher, dass sie nicht zur Mörderin taugte. Ihre Erziehung, ihre anerzogene Religiosität, ihre Ängstlichkeit und vor allem ihre Passivität würden sie Zeit ihres Lebens vor solchen Schritten bewahren. Sie bekam schon Herzklopfen, wenn sie daran dachte.

      „Wie können denn die forensischen Psychologen und Psychiater behaupten, dass jeder Mensch in extremen Situationen oder im Kollektiv zum Mörder werden könne? Blödsinn!“

      Natürlich hatte sie auch das Interview mit dem Psychiater Andreas Marneros über das Böse, das in uns allen steckt, und über die Liebe, die zum Tode führen kann, im Spiegel gelesen. Intimizid – die Tötung des Intimpartners – war seine werbewirksame Wortneuschöpfung. Blödes Geschwätz eines Psychiaters, dachte sie dabei! Das kommt doch nur in der islamischen Welt vor, war ihre Privatmeinung. Ihr Mann in seiner eiskalten Arroganz war ja der Meinung, dass sie nur Modehefte und nie das Ärzteblatt lese.

      Diese Ignoranz von Kurt regt mich gar nicht mehr auf. Das weiß doch jeder, dass jedes Jahr Ehe jeweils Lichtjahre von der ursprünglichen romantischen Nähe entfernt. Statt Wut kommt dann nur noch Langeweile auf. Die Folge davon: manchmal ein strahlender jüngerer Liebhaber – ist das nicht die logische und zugleich befreiende Lösung? Insgeheim war sie richtig stolz über ihre Einfälle, die sie natürlich nie äußern würde!

       Ein verhängnisvoller Vormittag

      Der Geschäftsführer konnte den beginnenden Wonnemonat Mai nicht genießen. Doktor Muniel hatte anstrengende Tage hinter sich gebracht. Ein Treffen mit dem Krankenkassenvertreter war fast ein Desaster gewesen. Der Vorstand hatte ihn von einer angetretenen Dienstfahrt zurückbeordert und ihn wegen seines angeblich harschen Führungsstils noch am selben Abend gemaßregelt. Als er am späten Abend nach Hause gekommen war, hatte im Schlafzimmer das Fenster an der Feuerleiter offen gestanden. Ein Schatten war weggerannt, von dem er nicht wusste, ob er einem Liebhaber oder einem wilden Tier gehörte. Seine Frau hatte ihn mit unschuldigem Gesicht angelächelt und amüsiert geflüstert: „Das war doch nur ein Wildschwein Kurt.“

      „Ich wusste nicht, dass du neuerdings mit Wildschweinen schläfst“, hatte er aggressiv geantwortet und ihr den Rücken zugedreht. Kein Wunder, dass er katastrophal geschlafen hatte, als am nächsten Morgen um sieben Uhr wie gewöhnlich der Wecker klingelte. Er nahm nur einen Espresso zu sich, weil er keinen Appetit hatte und Amalie noch fest schlief. Sie kam aber doch kurz darauf in die Küche und machte ihm einen Tee. Als sie jedoch anfing, ihm wegen der falschen Farbe der Krawatte Vorwürfe zu machen, ergriff er die Flucht, während sie sich am Kühlschrank zu schaffen machte.

      Er wusste wirklich nicht, was heute mit ihm los war. Die Last der zu erwartenden Aufgaben ließen seine Beine schwer werden. Sein Gang war schleppend – als wenn Bleigewichte an seinen Beinen hingen. Gewöhnlich hüpfte er elastisch die Treppen zu seinem Büro hoch – er wusste ja schließlich, dass ihn viele Augen beobachteten.

      Frau von Hess-Prinz, seine Sekretärin, blickte erstaunt auf und war zugleich erschrocken, als sie sein finsteres, übernächtigtes Gesicht sah. „Herr Doktor Muniel, da sind Sie ja. Sie haben mir so leidgetan, als ich Ihnen in Fritschles Auftrag die SMS zuschicken musste. Waren Sie schon in Rostock?“

      „Leider erst in Lübeck. Ich war wie vom Schlag getroffen, als mich diese verdammte SMS erreichte.“

      „Ich bringe Ihnen gleich einen Espresso“, versuchte sie ihn zu trösten und drehte sich zur Espressomaschine um.

      „Ich brauche eher einen Grappa oder zwei“, seufzte er und verschwand in seinem Büro. Kurz darauf klopfte die Sekretärin an und setzte ihr Sonntagsgesicht auf, um ihn aufzuheitern, was aber diesmal nicht gelang, obwohl der Espresso in ihrer Hand sehr verführerisch duftete.

      Er warf einen verstohlenen Blick auf sie. Frau von Hess-Prinz konnte ihn schließlich doch tatsächlich etwas von seiner trüben Stimmung befreien. Sie strahlte Ruhe und Würde aus. Eine gepflegte Erscheinung mit blond-roten glatten Haaren, die nicht gefärbt waren, sie hatte ein leicht rundes freundliches Gesicht ohne Falten – mit ihren vierzig Jahren jung geblieben. Ihre Hüften waren bemerkenswert einladend und weiblich. Ihr Gang war jugendlich und etwas kokett – jeder dachte, dass sie wahrscheinlich eine gute Tänzerin


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