Der Weg des Psychonauten – Band 2. Stanislav Grof
Читать онлайн книгу.Einzelnen davon überzeugen, dass er oder sie etwas Besonderes sei und für eine wichtige Rolle in der Welt auserwählt worden sei: ein Heiliger, Prophet, Retter, Führer oder spiritueller Lehrer. Diese Situation – eine gefährliche Aufblähung des Egos – kann irrationales Verhalten auslösen und zu einer Einweisung in die Psychiatrie führen. In anderen Fällen sind diese Koinzidenzen vom Inhalt her bedrohlich und scheinen eine Gefahr oder Katastrophe anzudeuten. Der Betroffene nimmt einen sich rasch schließenden Teufelskreis aus bedrohlichen Situationen wahr und wird ängstlich und paranoid.
Die traditionelle Psychiatrie erkennt das Konzept persönlich bedeutsamer Koinzidenzen nicht an und stempelt alle Patienten, die darüber sprechen, als Patienten ab, die unter »Beziehungswahn« leiden. Der materialistischen Wissenschaft zufolge gibt es keine dem Universum innewohnende Bedeutung, und in einer Welt, die zufällig und entzaubert ist, muss jeder Anschein einer tieferen persönlichen Bedeutung von Ereignissen eine Illusion sein, die durch menschliche Projektion in sie hineingetragen wird. Wie auch immer, jeder, der aufgeschlossen und bereit ist, zuzuhören und etwas über diese Ereignisse zu lernen, muss zugeben, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es sich dabei nur um Zufallsereignisse handelt, astronomisch gering ist.
Solche Verstöße gegen die lineare Kausalität können so häufig auftreten, dass sie ernsthafte Fragen über die Natur der Wirklichkeit und die Weltanschauung aufwerfen, in der wir alle aufgewachsen sind. Dies kann sehr beunruhigend für Menschen sein, die aus dem Glauben, in einer gesetzmäßigen und vorhersehbaren Welt zu leben, ein starkes Gefühl der Behaglichkeit und der Sicherheit schöpfen; jegliche Erfahrungen, die dies in Frage stellen, können die Angst vor Wahnsinn auslösen. Das Phänomen der bedeutungsvollen Koinzidenzen zu verstehen, ist daher für eine sichere Navigation durch außergewöhnliche Realitäten unerlässlich und ist eine unabdingbare Voraussetzung für Psychonauten, die mit psychedelischen Substanzen experimentieren oder sich in einer spirituellen Krise befinden. Wenn man solche Erfahrungen unüberlegt mit den falschen Personen teilt und unter ihrem Einfluss handelt, kann dies der Grund für psychiatrische Diagnosen und Klinikeinweisungen sein.
Carl Gustav Jung (1875–1961), Schweizer Psychiater und Pionier der Tiefenpsychologie.
Der Schweizer Psychiater C. G. Jung war derjenige Wissenschaftler, der das Problem der bedeutsamen Koinzidenzen, die sich einer rationalen Erklärung entziehen, in akademischen Kreisen zur Sprache brachte. Da er sich der Tatsache bewusst war, dass der feste und unerschütterliche Glaube an einen rigiden Determinismus den Eckpfeiler der westlichen wissenschaftlichen Weltsicht darstellt, zögerte er über zwanzig Jahre lang, bis er den Eindruck hatte, genügend unterstützende Beweise gesammelt zu haben, um seine Entdeckung zu veröffentlichen. Da er heftigen Unglauben und harsche Kritik von seinen Kollegen erwartete, wollte er sicher sein, dass er seine ketzerischen Behauptungen mit hunderten von Beispielen untermauern konnte.
Seine bahnbrechenden Beobachtungen beschrieb er schließlich in seinem berühmten Essay Synchronizität als ein Prinzip akausaler Zusammenhänge und präsentierte sie auf der Eranos-Tagung von 1951. Die Eranos-Tagungen waren Konferenzen herausragender europäischer und amerikanischer Denker, an denen Jung als einer der Hauptinitiatoren und als Mitwirkender teilnahm. Die intellektuelle Weltelite war vertreten, darunter Persönlichkeiten wie Joseph Campbell, Heinrich Zimmer, Karl Kerényi, Erich Neumann, Olga Fröbe-Kapteyn, Erwin Schrödinger, Wolfgang Pauli, Daisetz Teitaro Suzuki, Paul Johannes Tillich, Marie-Louise von Franz, Rudolf Otto, Richard Wilhelm, Mircea Eliade und Gershom Scholem.
Jung begann seinen Aufsatz mit Beispielen außergewöhnlicher Zufälle, die sich im Alltag ereignen (JUNG 1960). Er würdigte den österreichischen Lamarck’schen Biologen Paul Kammerer, dessen tragisches Leben durch Arthur Koestlers Buch Der Krötenküsser (KOESTLER 1971) bekannt wurde, als einen der ersten Menschen, der sich für dieses Phänomen und seine wissenschaftlichen Implikationen interessierte. Kammerer untersuchte und beschrieb eine Art auffälligen Zufallsprozess, den er Serialität nannte. Eines der bemerkenswerten Beispiele, von denen Kammerer berichtet hatte, war eine Abfolge von drei Erlebnissen mit der gleichen Nummer am selben Tag – seine Straßenbahnkarte trug die gleiche Nummer wie die Theaterkarte, die er unmittelbar danach kaufte. Später am Abend fragte er dann nach einer Telefonnummer und erhielt die gleiche Ziffernfolge.
Der österreichische Biologe Paul Kammerer (1880–1926), lehrte und vertrat den Lamarckismus, die Theorie, dass Organismen die zu Lebzeiten erworbenen Eigenschaften an ihre Nachkommen weitergeben können.
Kammerer war von diesem Phänomen fasziniert; er verbrachte viele Stunden in Parks und auf anderen öffentlichen Plätzen und beobachtete, wie viele Menschen vorbeikamen und wie viele davon Regenschirme, Hüte, Hunde und so weiter dabeihatten. In seinem Buch Das Gesetz der Serie beschrieb er hundert Anekdoten bemerkenswerter Zufälle (KAMMERER 1919). Sein Biograph Arthur Koestler berichtete, dass er, als er Kammerers Biographie Der Fall der Geburtshelferkröte schrieb, einen »Meteoritenschauer von Zufällen« erlebte, als würde Kammerers Geist zu ihm heruntergrinsen und sagen: »Ich habe es Ihnen ja gesagt!« (KOESTLER 1971).
Jung interessierte sich auch für das Phänomen der Serialität und beschrieb eigene Beispiele dafür. Eines Morgens sah er eine Inschrift mit einer Figur, die halb Mensch und halb Fisch war. Am selben Tag wurde ihm Fisch zum Mittagessen serviert, und jemand machte »einen Aprilfisch« mit einer anderen Person (in Frankreich das Äquivalent zum »Aprilscherz«). Am Nachmittag zeigte ihm ein ehemaliger Patient ein eindrückliches Bild von einem Fisch. Am Abend sah Jung eine Stickerei mit Meeresungeheuern und Fischen darauf. Am nächsten Morgen berichtete ein Patient über einen Traum von einem großen Fisch. Einige Monate später, als Jung über diese außergewöhnliche Serie von Ereignissen schrieb, ging er spazieren und sah einen großen Fisch an der Mauer am Ufer des Sees liegen. Er wies darauf hin, dass er früher an diesem Tag mehrmals an dieser Stelle vorbeigegangen war und den Fisch nicht gesehen hatte, und dass niemand in der Nähe gewesen sei. Jung war sich bewusst, dass dieses Phänomen durch die Verwendung von Statistiken erklärt werden könnte, betonte aber, dass die große Anzahl der Wiederholungen dies höchst unwahrscheinlich mache.
Im selben Essay über Synchronizität erwähnte Jung auch die amüsante Geschichte des berühmten Astronomen Camille Flammarion über den französischen Schriftsteller Émile Deschamps und eine besondere Art von Pflaumenpudding. Als Kind erhielt Deschamps von einem Monsieur de Fontgibu ein Stück dieses seltenen Puddings. Zehn Jahre lang hatte er keine Gelegenheit, diese Delikatesse zu kosten, bis er genau diesen Pudding auf der Speisekarte eines Pariser Restaurants sah. Er rief den Kellner und bestellte ihn, aber der Kellner kam mit der Nachricht zurück, dass sie die letzte Portion davon bereits einem anderen Gast serviert hätten. Er zeigte quer durch den Raum, und dort saß Monsieur de Fontgibu und genoss die letzten Bissen seines Desserts.
Arthur Koestler (1905–1983), ungarisch-britischer Journalist und Schriftsteller, Autor von Der Fall der Geburtshelferkröte.
Viele Jahre später wurde Monsieur Deschamps zu einer Party eingeladen, auf der dieser Pudding als besonderer Leckerbissen serviert wurde. Während er ihn aß, bemerkte er, dass das Einzige, was noch fehlte, Monsieur de Fontgibu war, der ihn mit dieser Delikatesse bekannt gemacht hatte und auch bei seiner zweiten Erfahrung damit im Pariser Restaurant dabei gewesen war. Im selben Moment klingelte es an der Tür, und ein alter Mann betrat den Raum, der sehr verwirrt aussah. Es war Monsieur de Fontgibu, der versehentlich in die Party hineingeplatzt war, weil man ihm eine falsche Adresse gegeben hatte.
Die Existenz solch außerordentlicher Koinzidenzen ist nur schwer mit dem von der materialistischen Wissenschaft entwickelten Verständnis des Universums zu vereinbaren, das die Welt in Form von Ursachen- und Wirkungsketten beschreibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas zufällig geschieht, ist so verschwindend gering, dass sie nicht ernsthaft als Erklärung in Betracht gezogen werden kann. Man kann sich sicherlich leichter vorstellen, dass diese Vorkommnisse