Dialektik der Ordnung. Zygmunt Bauman

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Dialektik der Ordnung - Zygmunt Bauman


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allmählich und nahm in jedem Stadium Richtungswechsel vor, dabei auf Krisen reagierend und vorangetrieben von der »Entschlossenheit, jedes sich bietende Hindernis zu überwinden«. Schleuners Konzept faßt anschaulich die Erkenntnisse der »Funktionalisten« unter den Historikern des Holocaust zusammen, die sich in den letzten Jahren zunehmend gegen die »Intentionalisten« durchsetzten, deren Kausalerklärung des Holocaust, das heißt die Vorstellung einer dem Genozid an den Juden eigenen Motivationslogik oder Konsistenz, kaum noch haltbar ist.

      Das ist die erschütterndste Lehre aus der Analyse des »komplexen Phänomens Auschwitz«, die Tatsache, daß die Wahl physischer Vernichtung als des richtigen Mittels zur Entfernung* der Juden das Ergebnis eines bürokratischen Entscheidungsprozesses war, bei dem Kosten-Nutzen-Überlegungen, Finanzfragen und einheitliche Regelauslegung eine Rolle spielten. Um es noch deutlicher zu formulieren: Die Entscheidung wurde im ernsthaften Bemühen um möglichst rationelle Lösungen für sich verändernde Problemstellungen getroffen. Auch die vielzitierte Tendenz der Bürokratie zur Erweiterung von Zielsetzungen – so normal wie bürokratische Routine – hatte daran wesentlichen Anteil. Allein die Tatsache, daß es Funktionäre mit speziellen Aufgaben gab, hatte zur Folge, daß immer neue Initiativen ergriffen und die ursprünglichen Ziele ständig höher gesteckt wurden. Das Expertenwissen – das eigentlich nur instrumentellen Charakter hatte – bewies wieder einmal seine Eigendynamik und eine ausgeprägte Neigung, die ursprünglich gesetzten Ziele zu übertreffen und umzudefinieren.

      Allein die Tatsache, daß es eine Gruppe von Fachleuten für Judenfragen gab, verlieh der nazistischen Judenpolitik eine bürokratische Eigendynamik. Noch 1942, als Deportationen und Massenmord bereits begonnen hatten, wurde es den Juden gesetzlich untersagt, Haustiere zu halten, arische Friseure aufzusuchen oder das Reichssportabzeichen zu erwerben. Es bedurfte keiner besonderen Weisungen von oben – das Aufgabengebiet eines »Fachmannes« für Judenfragen bot die Gewähr, daß die Kontinuität der diskriminierenden Gesetzgebung nicht abriß.23

      Zu keinem Zeitpunkt ihrer langen, qualvollen Vollstreckung geriet die Endlösung in Widerspruch zu den Grundsätzen der Rationalität. In keiner Phase kollidierte die »Endlösung« mit dem rationalistischen Credo effizienter, optimaler Zielverwirklichung. Im Gegenteil, der Holocaust entsprang genuin rationalistischen Überlegungen und wurde von einer Bürokratie in Reinkultur produziert. Die Menschheit hat Massaker, Pogrome und Massenmorde in der Nähe des Genozids erlebt, die ohne moderne bürokratische Unterstützung, ohne deren administrativ-technische Möglichkeiten und rational begründete Organisationsstrukturen vollzogen wurden. Der Holocaust war ohne eine solche Bürokratie jedoch undenkbar. Er ist keineswegs das irrationale Hervorbrechen nicht überwundener Relikte prämoderner Barbarei. Der Holocaust ist ein legitimer Bewohner im Haus der Moderne, er könnte in der Tat in keinem anderen je zu Hause sein.

      Das soll nicht heißen, der Holocaust sei durch die moderne Bürokratie oder die in ihr verkörperte Kultur des instrumentellen Rationalismus determiniert gewesen; die moderne Bürokatie bringt nicht notwendig holocaustartige Phänomene hervor. Dennoch, so lautet meine These, sind die Grundsätze eines instrumentellen Rationalismus eindeutig ungeeignet, derartige Phänomene zu verhindern; auf der Ebene dieser Grundsätze lassen sich die Methoden des Holocaust nicht von »sauberem Social Engineering« trennen, weil nämlich deren irrationaler Charakter unerkannt bleibt. Ich gehe noch weiter: Gerade die bürokratische Kultur, die Gesellschaft ja als administratives Objekt und Konglomerat von »Problemen« begreift, die einer Lösung harren, schuf die Atmosphäre, in welcher der Gedanke des Holocaust langsam, aber kontinuierlich reifen und zur Vollstreckung gebracht werden konnte. Die Problemstellungen, deren Lösung das »Social Engineering« in Angriff nimmt, entsprechen einer »Natur«, die »beherrscht«, »gebändigt«, und »gebessert« oder »umgestaltet« werden muß wie ein Garten, dessen Planung notfalls gewaltsam durchzusetzen und zu sichern ist (in der Terminologie des Gärtners besteht eine strenge Trennung zwischen »Kulturpflanzen« und »Unkraut», das ausgemerzt werden muß). Ich behaupte schließlich, daß der Geist des instrumentellen Rationalismus und seine moderne bürokratisch-institutionalisierte Ausprägung die Lösungmöglichkeiten in der Art des Holocaust nicht nur ermöglichte, sondern »rational« begründbar machte – und damit die Wahrscheinlichkeit erhöhte, daß man sich für sie entschied. Unterstützt wurde diese Tendenz nicht zuletzt durch die Fähigkeit moderner bürokratischer Systeme, das Handeln vieler, an sich ethisch eingestellter Individuen derart zu koordinieren, daß am Ende jedes noch so unethische Ziel zu verwirklichen ist.

      


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