Essentielle Schriften. Gregor der Große

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Essentielle Schriften - Gregor der Große


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Beziehung. Der genannte Nonnosus lebte in seinem Kloster unter einem äußerst strengen Abte, ertrug aber dessen Charakter stets mit einem wunderbaren Gleichmut; er selbst war den Brüdern ein milder Oberer und besänftigte oft in Demut des Abtes Jähzorn. Da aber das Kloster zu oberst auf dem Gipfel des Berges lag, blieb den Brüdern kein ebener Platz mehr, auch nicht für den kleinsten Garten. Ein kleines Plätzchen wäre an der Seite des Berges noch vorhanden gewesen, aber dieses nahm ein sehr großer, aus dem Boden herausragender Stein ein. Einmal dachte der ehrwürdige Nonnosus darüber nach, daß diese Stelle sich dazu eignen würde, wenigstens das Gewürz für das Gemüse zu bauen, wenn der Fels nicht da wäre; er sah aber sogleich ein, daß wohl fünfzig Paar Ochsen den Felsen nicht von der Stelle bringen könnten. Da also menschliche Bemühung hier nichts vermochte, suchte er himmlische Hilfe und begab sich dort in der Stille der Nacht ins Gebet. Und als die Brüder am Morgen herauskamen, sahen sie, daß der große Felsblock weiter weg gerückt war und den Brüdern einen schönen, freien Platz gelassen hatte.

      Wieder ein anderes Mal war es, daß der ehrwürdige Mann in der Kirche die gläsernen Ampeln reinigte; eine fiel ihm dabei aus den Händen und zersprang in tausend Stücke. Aus Furcht vor dem heftigen Zorn des Klosterabtes las er alle Scherben zusammen, legte sie vor dem Altar nieder und begann unter schwerem Seufzen zu beten. Als er darnach das Haupt vom Gebete erhob, fand er die Ampel, deren Stücke er unter Ängsten zusammengelesen hatte, wieder ganz. So ahmte er also in zwei Wundern zweier Väter Wunderwerke nach: beim Felsblock das Wunder Gregors, der einen Berg versetzte, bei der Wiederherstellung der Ampel ein Wunder des Donatus,22 der einen zerbrochenen Kelch wieder unversehrt herstellte.

      Petrus. Wir haben, wie ich sehe, neue Wunder nach alten Beispielen.

      Gregorius. Willst du nun davon etwas hören, wie Nonnosus in seinem Wirken auch den Elisäus nachahmte?

      Petrus. Ja freilich, ich bin vor Neugier ganz gespannt.

      Gregorius. Einmal ging im Kloster das alte Öl aus; es war zwar die Zeit der Olivenernte nahe, aber auf den Ölbäumen sah man keine Früchte. Deshalb beschloß der Klosterabt, daß die Brüder sich in der Umgegend bei der Olivenernte verdingen sollten, damit sie so als Lohn für ihre Arbeit ein wenig Öl ins Kloster brächten. Der Ausführung dieses Auftrages widersetzte sich aber der Mann Gottes Nonnosus in aller Demut, damit nicht die Brüder durch ihre Abwesenheit vom Kloster an ihrer Seele Schaden litten, während sie Öl verdienen sollten. Da man aber nun doch auf den Bäumen des Klosters einige wenige Oliven fand, befahl er sie abzunehmen und in die Presse zu tun, das Öl aber sollten sie, wie wenig es auch sein mochte, zu ihm bringen. So geschah es; die Brüder fingen das Öl in einem kleinen Schüsselchen auf und brachten es dem Diener Gottes Nonnosus. Dieser stellte es vor dem Altar nieder, ließ alle aus der Kirche sich entfernen und betete. Hierauf ließ er die Brüder wieder hereinkommen und befahl ihnen, das Öl, das sie gebracht hatten, fortzunehmen und davon ein klein wenig in alle Gefäße des Klosters zu gießen, nur damit der Segen des Öls hineingegossen erscheine. Darnach ließ er alle diese leeren Gefäße verschließen. Als man sie aber am andern Tag wieder öffnete, waren alle voll Öl.

      Petrus. Wir erfahren wirklich täglich, wie sich das Wort der ewigen Wahrheit erfüllt, die da sagt: „Mein Vater wirket bis jetzt, und ich wirke auch.”23

       VIII. Kapitel: Von Anastasius,24 Abt des Klosters Suppentonia25

      Gregorius. Zu derselben Zeit war der vorher erwähnte ehrwürdige Anastasius Notar der heiligen römischen Kirche, der ich nach Gottes Ratschluß diene. Da er sich Gott allein widmen wollte, verließ er den Aktenschrank, wählte sich ein Kloster und verlebte an dem schon genannten Ort, der Suppentonia hieß, viele Jahre unter heiligen Werken und stand dem Kloster in emsiger Wachsamkeit vor. Diesen Ort überragt ein mächtiger Fels, während nach unten sich ein gewaltiger Abgrund auftut. In einer Nacht nun, da Gott der Allmächtige bereits beschlossen hatte, den ehrwürdigen Anastasius für seine Mühen zu belohnen, ertönte hoch vom Felsen herab eine Stimme, welche in langgezogenem Tone rief: „Anastasius, komm!” Nach ihm wurden noch sieben andere Brüder mit Namen genannt. Während einer kleinen Pause schwieg die Stimme und nannte darauf einen achten Bruder. Dem Konvent, der die Stimme deutlich vernahm, stand es unbezweifelbar fest, daß für die Genannten das Ende herangekommen sei. Wirklich starb der ehrwürdige Anastasius innerhalb weniger Tage; die übrigen wurden in der Reihenfolge, in der ihre Namen von dem Gipfel des Felsens herab gerufen worden waren, aus dem Leben hinweggenommen. Der Bruder aber, bei dessen Namen die Stimme zuerst etwas innehielt und ihn erst dann nannte, überlebte die Sterbenden um einige Tage und segnete dann das Zeitliche; damit wurde deutlich erwiesen, daß das Schweigen der Stimme eine kurze Lebensfrist bedeutet hatte. Aber noch etwas Wunderbares trug sich zu. Als nämlich der ehrwürdige Anastasius verschied, befand sich im Kloster ein Bruder, der ohne ihn nicht länger leben wollte. Er warf sich zu seinen Füßen nieder und flehte ihn unter Tränen an: „Ich beschwöre dich bei demjenigen, zu dem du gehst, laß mich nicht länger als sieben Tage nach dir auf dieser Welt zurück!” Auch dieser starb noch vor Ablauf des siebenten Tages, obwohl er in jener Nacht nicht mit den übrigen genannt worden war. Daraus erhellt klar, daß sein Tod nur durch die Fürbitte des ehrwürdigen Anastasius erlangt wurde.

      Petrus. Da dieser Bruder nicht mit den anderen genannt wurde, sondern auf die Fürbitte des Heiligen aus diesem Lichte hinweggenommen wurde, was anders bleibt da noch übrig als anzunehmen, daß verdienstvolle Heilige bei Gott manchmal etwas erlangen können, was nicht vorher bestimmt ist?

      Gregorius. Nein, sie können keineswegs etwas erlangen, was nicht vorausbestimmt ist, sondern das, was die heiligen Männer durch ihr Gebet erreichen, ist eben in der Weise vorausbestimmt, daß es erst durch Gebete erlangt werden soll. Denn auch selbst die Vorherbestimmung des ewigen Lebens ist von Gott so getroffen, daß die Auserwählten durch ihre Anstrengung zu demselben gelangen sollen, insofern sie so durch ihr Gebet verdienen, was der allmächtige Gott ihnen von Ewigkeit her zu schenken beschlossen hat.

      Petrus. Ich bitte, lege mir noch deutlicher dar, wie die Vorherbestimmung durch Gebet unterstützt werden kann.

      Gregorius. Was ich sagte, Petrus, läßt sich schnell beweisen. Du weißt nämlich sicherlich, daß der Herr zu Abraham sprach: „Nach Isaak wird dein Same genannt werden.”26 Er sagte auch zu ihm: „Ich habe dich zum Vater vieler Völker gemacht.”27 Und wiederum gab er ihm die Verheißung: „Ich will dich segnen und deinen Samen mehren wie die Sterne des Himmels und wie den Sand, der am Ufer des Meeres ist.”28 Daraus erhellt offenbar, daß Gott der Allmächtige beschlossen hatte, den Samen Abrahams durch Isaak zu vermehren, und dennoch steht geschrieben: „Und Isaak flehte zu dem Herrn für sein Weib, weil es unfruchtbar war: und er erhörte ihn und ließ Rebekka empfangen.”29 Wenn nun aber die Vermehrung von Abrahams Geschlecht durch Isaak vorherbestimmt war, warum bekam er eine Unfruchtbare zur Frau? Es geht doch daraus klar hervor, daß die Vorherbestimmung durch Gebet zur Wirklichkeit wird, wenn derjenige, in dem Gott den Samen Abrahams vermehren wollte, durch Gebet Nachkommen erlangt.

      Petrus. Da die Begründung das Dunkel aufhellte, bleibt mir kein Zweifel mehr übrig,

      Gregorius. Soll ich dir nun etwas aus dem Gebiet von Tuscien erzählen, damit du siehst, welche Männer dort gelebt haben und wie nahe sie der Erkenntnis Gottes waren?

      Petrus. Ja, ich wünsche es und bitte sehr darum.

       IX. Kapitel: Von Bonifatius, 30 Bischof der Stadt Ferentino.

      Gregorius. Es lebte ein ehrwürdiger Mann namens Bonifatius, der in der Stadt Ferentino das bischöfliche Amt inne hatte und dasselbe ganz mit seinen Tugenden umgab. Viele Wunder erzählt von ihm der Presbyter Gaudentius, der noch lebt. Er wuchs unter seiner Leitung heran und kann um so getreuer alles von ihm erzählen, als er alles miterleben durfte. Auf seiner Kirche lastete eine große Armut, welche für gute Seelen eine Wächterin der Demut zu sein pflegt. Er besaß als ganzes Einkommen nichts anderes als einen einzigen Weinberg, und dieser wurde einmal durch einen Hagel derart verwüstet, daß nur an wenigen Stöcken einige kleine und ärmliche Trauben zurückblieben. Als hierauf der genannte


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