Die besten 12 Strand Krimis Juni 2021. A. F. Morland
Читать онлайн книгу.dem rechten Auge. Die Braue war völlig abgeschürft und bestand nur aus einem schmalen, rötlichen Strich. Der erste zeichnete die Lage des Toten mit weißer Kreide nach, während sein Kollege ihn dabei beobachtete. All die vielen kleinen Handgriffe wurden getan, die in so einem Fall nötig waren. Katharina hatte jedoch den Eindruck, dass sie ihre Arbeit ziemlich locker nahmen. Der untersetzte Beamte klemmte sich eine Zigarette zwischen die Lippen, zündete sie an, und ließ Rauchringe in die Luft steigen.
Cariddi sorgte dafür, dass sämtliche Schusswaffen sichergestellt wurden. Dabei kam heraus, dass eines der Gewehre fehlte. Man fand die Waffe schließlich in einem Gebüsch hinter der Häuserfassade. Katharina bezweifelte allerdings, dass irgendwelche Spuren darauf zu finden sein würden. Der Mörder hatte mit Sicherheit Handschuhe getragen.
18
Die anschließende Vernehmung der Augenzeugen gestaltete sich etwas schwierig, denn außer Joswig sprach kein Mitglied des deutschen Filmteams italienisch. Bereitwillig bot er sich als Dolmetscher an, doch Commissario Cariddi lehnte ab und bestand darauf, seinen eigenen Übersetzer herzuholen. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis der Mann eintraf. Währenddessen packten die Assistenten des Arztes Jannick Wolfes Leiche in einen Plastiksack, verfrachteten ihn in den Fond des Wagens und verließen das Studiogelände.
Die Vernehmung der deutschen Filmcrew fand in einem der Räume des Verwaltungsgebäudes statt. Katharina kam als Vorletzte an die Reihe. Commissario Cariddi hob erstaunt die Augenbrauen, als sie ihm erklärte, das sie Privatdetektivin sei. Er sagte etwas zu dem Dolmetscher, worauf dieser fragte: „Gibt es einen besonderen Grund für Ihre Anwesenheit?“
Katharina erzählte ihm, was sich in Berlin ereignet hatte, und der Dolmetscher übersetzte. Abermals machte der Commissario ein erstauntes Gesicht.
„Glauben Sie, dass zwischen der Erpressung und dem Mord ein Zusammenhang besteht?“, wollte er wissen.
„Möglich“, erwiderte Katharina schulterzuckend.
„Könnte die Ermordung dieses Schauspielers vielleicht ein Racheakt gewesen sein?“
„Sie meinen, wegen der misslungenen Erpressung?“
„Ja.“
„Auch die Möglichkeit besteht natürlich“, gab die Detektivin zu. „Aber welchen Nutzen hätten die Erpresser davon? Das Geld würden sie trotzdem nicht bekommen.“
„Das nicht. Durch den Tod des Hauptdarstellers wird der Film allerdings nie vollendet werden. Das könnte ebenfalls eine Form der Rache sein.“
„Natürlich.“
Commissario Cariddi lächelte. „Na, sehen Sie.“
„Aber wäre das nicht ein bisschen viel Aufwand für etwas, das den Erpressern keinen Vorteil eingebracht hat?“
„Ach, wissen Sie, Verbrecher handeln nicht immer logisch. In den meisten Fällen benehmen sie sich sogar ausgesprochen dumm. Und sie müssen nicht immer einen Grund zum Töten haben. Ich hatte da mal einen Fall, bei dem ein Mann vier Menschen ohne irgendein Motiv tötete. Davon war zumindest der Staatsanwalt überzeugt. Der Mann gab die Morde zu. Seine einzige Verteidigung war, dass er es tat, wenn er den Drang dazu verspürte. Jeder ist unter gewissen Umständen ein potenzieller Mörder.“
Katharina nickte.
„Sie waren doch die ganze Zeit am Drehort, nicht wahr?“, fragte der Commissario.
„Ja.“
„Ist Ihnen vor der Ermordung dieses Schauspielers etwas Verdächtiges aufgefallen?“
„Was meinen Sie?“
„Haben Sie zum Beispiel jemanden gesehen, der dort nicht hingehörte?“
Katharina schüttelte den Kopf. „Nein, und ehrlich gesagt, habe ich auch nicht darauf geachtet. Am Set liefen eine Menge Leute herum. Man konnte nicht auf den ersten Blick erkennen, wer dazugehörte und wer nicht.“
Cariddi nickte. „Ich verstehe“, sagte er gedehnt. „Und nach dem Mord? Ist Ihnen da etwas aufgefallen?“
„Nicht wirklich. Zuerst dachte ich, Wolfes Zusammenbruch sei ein Bestandteil der Szene, aber dann …“
„Ja?“
„Dann stellte sich heraus, dass er tot war.“
„Benahm sich einer der Anwesenden verdächtig?“
„Nein. Die Leute waren natürlich schockiert, aber ich habe nicht bemerkt, dass sich jemand verdächtig benahm.“
„Schade, das hätte vieles vereinfacht.“
„Glauben Sie denn, dass es ein Angehöriger des Filmteams war?“
„Ich schließe es zumindest nicht aus. Um auf das Studiogelände zu kommen, benötigt man eine Zugangsberechtigung. Das spricht gegen einen Außenstehenden.“
„Er könnte sie gestohlen oder gefälscht haben“, erwiderte Katharina.
„Ja, das wäre möglich.“
Commissario Cariddi musterte sie eine Zeitlang, dann erhob er sich und reichte ihr die Hand. „Das wäre vorläufig alles. Wenn ich noch weitere Fragen habe, werde ich Sie informieren.“
19
An diesem Abend wollte im Restaurant des Marsala-Hotels keine heitere Stimmung aufkommen. In kleinen Gruppen saßen die deutschen und italienischen Kollegen zusammen und diskutierten den Mord an Jannick Wolfe. Katharina Ledermacher hockte an der Bar. Hin und wieder sah sie zu Eckard Joswig hinüber, der finster in sein halbleeres Whiskyglas starrte.
Commissario Stefano Cariddi hatte alles getan, um dem geheimnisvollen Mörder auf die Spur zu kommen. Das gesamte Filmgelände war abgesucht worden. Jeder, der sich zur Tatzeit dort aufhielt, musste sich einer intensiven Befragung unterziehen. Jedes Alibi wurde genau überprüft. Doch vom Täter fehlte jede Spur. Trotzdem war Katharina davon überzeugt, dass der Mörder unter den Filmleuten zu finden war. Allerdings rätselte sie immer noch über das Motiv. Wollte jemand die Fertigstellung des Films verhindern?
Gegen diese Theorie sprachen jedoch der Diebstahl der Filmrollen und die darauffolgende Erpressung. Natürlich konnte es sich auch um einen Racheakt handeln. Vielleicht hatte der Kerl in dem blauen BMW die gesamte Beute behalten, und der Komplize versuchte nun auf diese Weise, an das Geld zu kommen. Doch Katharina bezweifelte diese Theorie. Vielleicht war die Lösung ganz simpel.
Sie wandte den Kopf, als sich Sophie Rosenbruck auf den Hocker neben ihr setzte. In ihrer Hand hielt sie ein Cocktailglas mit einer roten Flüssigkeit. Sie nippte daran und verzog das Gesicht.
„Wissen Sie, woher der Cocktail seinen Namen hat?“, fragte die junge Frau.
Katharina schüttelte den Kopf.
„Übersetzt bedeutet Cocktail Hahnenschwanz, vom englischen cock, Hahn, und tail, Schwanz“, erklärte Sophie. „Angeblich soll in einer amerikanischen Bar einst ein hohler Keramik-Hahn gestanden haben, in den der Barkeeper alle übriggebliebenen Drinks kippte. Die so entstandene Mixtur zapfte er in Gläser ab und verkaufte sie zum Sonderpreis. Die Drinks sollen sehr gefragt gewesen sein.“
„Aha“, meinte Katharina.
„Glücklicherweise sind die Drinks heutzutage immer frisch geschüttelt oder gerührt.“
Abermals trank Sophie einen Schluck aus dem Glas. „Tja, das war‘s dann wohl“, sagte sie nach einer Weile. „Ab morgen kann ich wieder zum Arbeitsamt gehen.“
„Haben Sie keine anderen Angebote?“, fragte Katharina.
„Ich hatte welche. Doch die habe ich alle für diesen Film sausen lassen. Es waren zwar nur Nebenrollen, aber besser als nichts.“
„Das tut mir leid.“
Sophie