Die Salbenmacherin und der Fluch des Teufels. Silvia Stolzenburg
Читать онлайн книгу.treten, zusammen mit einigen anderen Mitgliedern des Größeren Rates.
Er winkte ihr zu, löste sich von der Gruppe und kam zu ihr. »Was ist los?«, fragte er nach einem Blick in ihr Gesicht.
»Ein krankes Mädchen«, erklärte sie. »Kennst du Martin Groß?«
Götz’ Augen weiteten sich. »Jeder kennt Martin Groß. Wieso?«
»Seiner Tochter geht es sehr schlecht.«
»Du bist auf dem Weg zu seiner Tochter?«
Olivera nickte.
»Wie schlimm ist es?«
»Schlimm.«
»Was fehlt ihr?«
Olivera zuckte mit den Schultern. »Ich bin mir nicht sicher. Vermutlich leidet sie an der Fallsucht.«
»Fallsucht?«
Olivera erklärte ihm, worum es sich bei dieser Krankheit handelte.
Götz stöhnte. »Der arme Kerl! Erst seine Frau, jetzt seine Tochter …«
»Was ist mit seiner Frau?«
»Sie ist letzten Winter an einem Fieber gestorben«, erwiderte Götz. »Nach ihrem Tod hat er den Posten als Bürgermeister aufgegeben und sich fast vollständig aus dem Rat zurückgezogen. Er ist bei Sitzungen kaum mehr zu sehen. Manche sagen, er ist mehr in der Kirche als in seinem Kontor.«
»Ich hoffe, Matthäus und ich können dem Kind helfen«, sagte Olivera, verabschiedete sich von Götz und setzte ihren Weg fort. Vor dem Haus des Patriziers zögerte sie einen Augenblick und überlegte, ob sie auf den Medicus warten sollte, entschied sich jedoch dagegen. Je schneller das Mädchen die Arznei bekam, desto besser waren die Aussichten.
Es dauerte nicht lange, bis auf ihr Klopfen hin die Tür geöffnet wurde. Nachdem sie dem Bediensteten erklärt hatte, wer sie war, führte er sie durch die Eingangshalle in einen Raum, in dem sich ein großes Kruzifix und ein Altar befanden.
Martin Groß kniete vor dem Altar und betete.
»Herr?«
Der Patrizier schien ihn nicht zu hören.
»Herr? Die Salbenmacherin ist hier.«
Martin Groß hob den Kopf, bekreuzigte sich und kam mühsam auf die Beine. Sein Gesicht war bleich, die Hände zitterten.
»Wie geht es Eurer Tochter?«, fragte Olivera.
»Der Herr straft die Sündigen«, erwiderte Groß. »Warum muss Clara so furchtbar leiden? Sie ist doch nur ein unschuldiges Kind!«
»Wie geht es ihr?«, wiederholte Olivera ihre Frage.
»Ich habe ihr von Eurer Arznei gegeben«, war die Antwort. »Seitdem schläft sie.« Sein Blick wanderte zu ihrem Korb. »Habt Ihr mehr davon mitgebracht?«
»Ich glaube, Eure Tochter leidet an der Fallsucht«, erklärte Olivera.
Martin Groß sah sie verständnislos an.
»Man nennt sie auch die Heilige Krankheit.«
»Wollt Ihr damit sagen, es sei keine Strafe Gottes?«
»Es ist eine Krankheit, die durch das Stocken des Blutes verursacht wird«, gab sie zurück. »Ich habe im Auftrag des Medicus einen Trank zubereitet, der Linderung bringen sollte. Matthäus wird auch bald hier sein, um Eure Tochter zu schröpfen.«
»Warum hat er das nicht längst getan, wenn es ihr hilft?«, erboste sich Groß.
Olivera schwieg. Sie wusste, wie schwer es war, zu erklären, warum nicht jedes Heilmittel anschlug. Da sie Matthäus nicht in den Rücken fallen wollte, hielt sie es für klüger, nichts zu sagen, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen.
»Der Priester meinte, Clara könnte von einem bösen Geist besessen sein«, murmelte der Patrizier.
»Von einem Geist?« Olivera verkniff sich ein Stöhnen. Das hatte gerade noch gefehlt.
»Er sagt, ihr Schreien und diese furchtbaren Krämpfe wären ein untrügliches Zeichen dafür, dass ein Dämon ihr die Seele rauben will.« Er umklammerte ein großes juwelenbesetztes Kreuz, das an seinem Hals hing.
»Ich glaube nicht, dass ein Dämon etwas mit ihrem Zustand zu tun hat«, versuchte Olivera ihn zu beschwichtigen. Allerdings war in seinen Augen zu lesen, dass die Worte des Gottesmannes auf fruchtbaren Boden gefallen waren.
»Und wenn Ihr Euch irrt?«
Darauf wusste Olivera keine Antwort. Zu oft war sie Zeugin geworden, wie abergläubisch die Nürnberger waren. Sobald ein solches Gerücht anfing, die Runde zu machen, war mit gesundem Menschenverstand kaum mehr etwas auszurichten. War es nicht auch damals so gewesen, als alle davon überzeugt waren, ein Werwolf würde sein Unwesen in der Stadt treiben? Ganz zu schweigen von dem angeblichen Stein der Weisen, den der Adept Alphonsius zu besitzen behauptet hatte. Es blieb nur zu hoffen, dass Matthäus’ Behandlung anschlug und das Mädchen schnell wieder genas. Ansonsten stand das Schlimmste zu befürchten, da Angst ein Einfallstor für Eiferer und Scharlatane war.
»Ich lasse nach dem Priester schicken«, beschied Groß. »Er soll dabei sein, wenn Ihr Clara behandelt.«
Olivera verkniff sich die Antwort, die ihr auf der Zunge lag, und folgte den Männern ins Obergeschoss zum Zimmer des kranken Mädchens.
Es schlief, warf sich jedoch unruhig in den Kissen hin und her. Claras Gesicht war grau, das Haar klebte nass in der Stirn. Immer wieder zuckten ihre Beine, aber die furchtbaren Krämpfe hatten sich allem Anschein nach gelegt.
Die Magd, die schon bei Oliveras letztem Besuch in der Kammer gewesen war, saß neben dem Bett und tupfte der Kranken die Stirn ab. »Heiliger Antonius, ich bitte dich, erbarme dich der armen Seele«, hörte Olivera sie murmeln. Offensichtlich war sie immer noch der Meinung, dass es sich bei Claras Leiden um das Antoniusfeuer handelte.
»Wie lange schläft sie schon?«, erkundigte sich Olivera.
»Seit einer Stunde«, erwiderte die Magd.
Olivera beugte sich über die Kranke, um ihr die Hand auf die Stirn zu legen. Sie war immer noch viel zu heiß. Während Martin Groß sich mit vor der Brust verschränkten Armen neben der Tür aufbaute, füllte Olivera etwas von dem Helleborus und der Wolfsmilch in einen Becher ab, mischte alles mit Wein und Honig und hob den Kopf des Mädchens an, dessen Augenlider flatterten. Vorsichtig setzte sie ihm den Becher an die Lippen und flößte ihm den Trank ein.
Clara stöhnte.
Mühsam gelang es Olivera, sie zum Schlucken zu bewegen, da sie nur halb bei Bewusstsein war.
Plötzlich, Olivera hatte den Becher gerade erneut an ihre Lippen gesetzt, öffnete sie den Mund zu einem Schrei und machte eine Bewegung, mit der sie Olivera den Becher aus der Hand schlug. Auch ihre Beine fingen an, sich stärker unter der Decke zu bewegen, die zu Boden glitt.
»Tut doch etwas!« Martin Groß trat neben das Bett und sah hilflos auf seine Tochter hinab.
In diesem Moment erschien eine Magd in der Tür, gefolgt von zwei Männern: dem Medicus Matthäus und einem Mann in Priestertracht.
»Dem Herrn sei Dank! Da seid Ihr, Pater!«, begrüßte Groß den Gottesmann. Matthäus schenkte er kaum Aufmerksamkeit.
»Zieht Ihr immer noch weltliche Hilfe vor?«, fragte der Priester mit einem Blick auf Olivera und den Medicus.
»Sie sagen, sie wüssten, woran Clara erkrankt ist«, gab der Patrizier zurück.
»Das kann nur der Herr sicher wissen«, antwortete der Geistliche.
Matthäus blickte von einem zum anderen. »Soll ich Eurer Tochter helfen oder nicht?«
Der Hausherr zögerte, ehe er nickte. »Ein letztes Mal. Wenn Ihr sie wieder nicht heilen könnt, liegt ihr Schicksal in Gottes Hand.«
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