Der Peloponnesische Krieg. Thukydides

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Der Peloponnesische Krieg - Thukydides


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Wasser stürzte: viele, auf die man nicht Acht gab, warfen sich, von unlöschbarem Durste überwältigt, sogar in die Cisternen: man mochte viel oder wenig trinken, so war die Wirkung dieselbe. Ein allgemein drückendes Uebel war auch der Mangel an Ruhe und die Schlaflosigkeit. So lange die Krankheit im Zunehmen war, wurde der Körper nicht abgemagert, sondern widerstand dem Leiden über die Erwartung, so daß die Pieisten entweder am neunten oder auch am siebenten Tage, wo sie noch nicht ganz entkräftet waren, an innerlichem Brande hinstarben: oder wenn sie auch für jetzt davon kamen, so warf sich die Krankheit auf den Unterleib, worauf starke Geschwüre dort ausbrachen, und ein übermäßiger Durchfall erfolgte, durch Welchen die Kranken zuletzt ein Opfer der Entkräftung wurden: denn das Uebel fieng oben an, indem es sich zuerst im Kopfe festsetzte, und durchlief dann den ganzen Körper: und wenn man auch die größte Gefahr überstanden hatte, so zeigte sich die Macht der Krankheit noch in den äussersten Theilen: und ergriff die Geschlechtstheile und die Spitzen der Hände und Füße: und viele kamen mit dem Verluste derselben, einige auch mit Erblindung der Augen davon. Einige befiel auch, wenn sie genesen waren, plötzlich eine durch gängige Gedächtnißschwäche, so das sie sich selbst und ihre Angehörigen nicht mehr kaunten.

      50. Denn die Gewalt dieser Gattung von Krankheit ging nicht allein überhaupt über alle Beschreibung, indem sie Jeden heftiger ergriff, als es die menschliche Natur zu ertragen vermochte, sondern sie zeigte sich auch darin als eine ganz ungewöhnliche Erscheinung: die Vögel und vierfüßigen Thiere, welche sonst menschliche Leichname angreifen, rührten entweder die vielen unbegrabenen Körper gar nicht an, oder, wenn sie davon fraßen, starben sie. Zum Beweise dient das auffallende Verschwinden dieser Art von Vögeln, die sich weder sonst, noch bei irgend einem solchen Leichname mehr zeigten. An den Hunden aber, weil sie in menschlicher Umgebung lebten, bemerkte man häufig den Einfluß des Uebels.

      51. Dieß war im Ganzen die Beschaffenheit der Krankheit, mancher sonderbaren Zufälle im Einzelnen, die sich verschieden bei Diesem oder Jenem äusserten, nicht zu gedenken. Um diese Zeit herrschte keine von den gewöhnlichen Krankheiten, und wo etwa eine vorkam, so ging sie in jene über. Einige starben aus Mangel an Pflege, Andere auch bei der sorgsamsten Wartung. Es gab kein einzelnes bestimmtes Heilmittel, von welchem man hätte jagen können, daß sein Gebrauch entscheidende Hülfe gewähre. Denn was dem Einen zuträglich war, schadete dem Andern. Keine Liebesbeschaffenheit, sie mochte stärker oder schwächer sein, vermochte dieser Krankheit zu widerstehen; sie raffte Alle ohne Unterschied hin, nach welcher Heilart man sie auch behandelte. Das Schlimmste bei dem ganzen Uebel war: einerseits die Niedergeschlagenheit, die Jeden ergriff, sobald er sich krank fühlte. (denn dann überließ man sich sogleich, der Hoffnungslosigkeit, und vernachläßigte sich selbst viel zu sehr, und leistete der Krankheit keinen Widerstand), andererseits der Umstand, daß sie Einer durch die Pflege des Andern angesteckt wurden, und wie die Schaare hinstarben. Dieß verursachte den größten Menschenverlust. Denn wollte man aus Furcht sich einander nicht nähern, so starben die Franken ohne Beistand, und viele Häuser wurden aus Mangel an Pflege verödet. Kam man aber mit den Kranken in Berührung, so war man verloren, zumal solche, die einigen Diensteifer zeigen wollten: denn aus Ehrgefühl vergaßen sie die Schonung gegen sich selbst, und besuchten ihre Freunde: dein auch die nächsten Angehörigen wurden, betäubt von dem Uebermaaße des Unglücks, am Ende der Klage um die Sterbenden überdrüssig. Jedoch fühlten die Genesenen am meisten Mitleid gegen die Sterbenden und Leidenden, weil sie das Uebel aus Erfahrung kannten, und sich selbst nunmehr gerettet fühlten: denn ein tödtlicher Rückfall trat nicht ein. Solche wurden nicht allein von Andern glücklich gepriesen, sondern auch sie selbst hegten bei ihrer augenblicklichen Freude für die Zukunft die leise Hoffnung, daß nicht leicht eine andere Krankheit sie hinraffen werde.

      52. Es bedrängte aber die Athener ausser dem vorhandenen Leiden noch mehr das Zusammenströmen der Leute vom Lande in die Stadt, besonders die später Hereingekommenen. Denn da nicht Wohnungen genug vorhanden waren, sondern da sie zur Sommerszeit in dumpfigen Hütten sich aufhielten, so starb Alles durcheinander weg. Sterbende lagen übereinander, und so blieben die Leichname liegen. Andere wälzten sich halbtodt auf den Straßen und bei allen Brunnen herum, um ihren Durst zu löschen. Die Tempel, in welchen sie ihre Hütten aufgeschlagen hatten, waren voll von Todten, welche dort verschieden waren. Denn da die Menschen nicht wußten, was aus ihnen werden sollte, so überließen sie sich, überwältigt von dem Unglücke, der Geringschätzung alles Göttlichen und Menschlichen ohne Unterschied. Alle Gebräuche, die man sonst bei Begräbnissen Beobachtet hatte, geriethen in Unordnung. Man begrub, so gut man eben konnte. Manche nahmen ihre Zuflucht ohne Scheu zu fremden, verbotenen Begräbnißplätzen, da die eigenen nicht zureichten, weil von den Ihrigen schon so viele zuvor gestorben waren. Denn sie suchten fremde Scheiterhaufen, und Einige legten, indem sie denen, welche jene errichtet hatten, zuvorkamen, ihre Todten darauf, und zündeten den Holzstoß an: Andere warfen, während eine andere Leiche verbrannt wurde, die, welche sie trugen, hinauf, und eilten davon.

      53. Diese Seuche gab auch sonst noch zu weiterer Gesetzlosigkeit in der Stadt die erste Veranlassung. Denn ungescheuter wagte man nun, was man sonst, ohne rein Gelüste offen zu befriedigen, verheimlicht hatte, da man den raschen Wechsel des Schicksals sah, wie die Reichen plötzlich hinstarben, und solche, die zuvor Nichts hatten, schnell in den Besitz ihrer Güter kamen. Daher wollten sie sich einen schnellen und angenehmen Genuß derselben verschaffen, da Leben und Vermögen, das Eine wie das Andere, ihnen als so kurzdauernd erschienen. Niemand hatte Lust, für das, was als gut und edel galt, ein Opfer zu bringen, da es ihm ungewiß dünkte, ob er nicht vor Erreichung seines Zwecks weggerafft würde. Was aber augenblicklichen Genuß und der Lust irgend welchen Gewinn gewährte, das wurde als gut und nützlich erklärt. Keine Furcht vor den Göttern, kein menschliches Gesetz gab eine Schranke. Denn jene zu ehren oder nicht, achteten sie für gleichgültig, weil sie doch Alles ohne Unterschied eine Beute des Todes werden sahen: was aber die Verbrechen betraf, so dachte Keiner so lange zu leben, bis die Sache vor Gericht entschieden wäre, und er sie Strafe zu entrichten hätte: da ein schon bestimmtes, viel ärgeres Strafgericht bereits über seinem Haupt schwebte, vor dessen Ausbruch man billig das Leben noch einigermaßen genießen dürfe.

      54. Solche Noth kam jetzt über die bedrängten Athener, da die Menschen in der Stadt hinstarben, und draußen das Land verwüstet wurde. In diesem Jammer gedachten die ältern Personen, wie leicht zu erachten, auch jenes Wortes, das vorlängst geweissagt worden: "Kommen wird Dorischer Krieg, und die Pest in seinem Gefolge." Es erhob sich nun ein Streit unter den Leuten, es sei in jenem Spruche von den Alten nicht die Pest (Loimos), sondern der Hunger (Limos) benannt gewesen. Doch behielt unter den damaligen Umständen, wie natürlich, die Erklärung die Oberhand, daß die Pest gemeint sei; denn die Erinnerungen der Menschen gestalteten sich nach ihren Begegnissen. Sollte aber später wieder einmal ein Dorischer Krieg7 ausbrechen, und Hungersnoth eintreten, so würde van wahrscheinlich die Weissagung darnach umdeuten. Auch erinnerten sich die, welchen die Sache bekannt war, jener Weissagung8, wo der Gott den Lacedämoniern auf die Frage, ob sie Krieg beginnen sollten, die Antwort ertheilte: wenn sie mit Nachdruck kämpften, werde ihnen der Sieg zu Theil werden: und er selbst werde ihnen Beistehen. So fanden sie nun den Erfolg dem Orakel ganz entsprechend, indem die Pest gleich mit dem Einfalle der Peloponnesier ausbrach. In den Peloponnes aber drang die Krankheit nicht ein, was merkwürdig ist, sondern verheerte Hauptsächlich Athen, und sodann auch andere sehr volkreiche Gegenden. Dieß war der Verlauf jener Krankheit.

      55. Nachdem nun die Peloponnesier das platte Land verheert, zogen sie seitwärts nach dem sogenannten Paralischen (Küsten-) Lande bis Laurium, wo die Athener ihre Silberbergwerke haben: und zuerst verwüsteten sie den Bezirk, der gegen den Peloponnes hin liegt, sodann, was Euböa und Andros gegenüber gelegen ist. Perikles aber, der noch immer Feldherr war, hatte noch dieselbe Ansicht, wie bei dem ersten Einfalle, daß die Athener nicht gegen die Feinde ausrücken sollten.

      56. Während aber diese noch im Blachfelde standen, ehe sie in’s Küstenland, rückten, rüstete er eine Flotte von hundert Segeln zu einem Einfalle in den Peloponnes aus, und als Alles bereit war, erfolgte die Abfahrt. Er führte auf diesen Schiffen viertausend schwerbewaffnete Athener und dreihundert Reiter auf Lastschiffen, die man zu diesem Zwecke jetzt zum erstenmale aus alten Schiffen eingerichtet hatte. Auch die Chier und Lesbier nahmen mit fünfzig Schiffen an diesem Kriegszuge Theil. Als nun dieses Heer der Athener auslief, ließen sie die Peloponnesier in den Küstenländern von Attika


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