Lebendige Seelsorge 1/2019. Verlag Echter

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Lebendige Seelsorge 1/2019 - Verlag Echter


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Erfolgsaussichten. Wer wagt, wer sich selbst aufs Spiel setzt, wer seine Haut zu Markte trägt, ist der Demütige. Warum? Weil er seine Angst um sich überwindet. Wer sich zurückzieht, sich selbst nicht aufs Spiel setzt, wer immer schon weiß, dass alles scheitert, wer sich von seiner Selbstangst überwältigen lässt, ist der Hochmütige, der seine Talente vergräbt und nicht in Umlauf bringen will. Ein Mittel gegen diese lähmende Selbstangst ist die Dankbarkeit.

      Gibt es einen Weg zwischen Hybris und Fatalismus? In den besten Stunden meines Lebens erfahre ich mein Leben als unverfügbares und überfließendes Geschenk, das selbst durch meine Irrtümer, meine Fehler, meine Schuld und selbst durch Krankheit und Tod nicht entstellt werden kann. In diesen Erfahrungen ist die Hoffnung geborgen, mein Leben werde ganz und vollendet sein. Aber eine Hoffnung, die ich nur für mich hätte und die nur in den besten Stunden gilt, wäre keine Hoffnung, sie wäre Betrug.

      In der Bibel wird Babylon als die Stadt der Hybris beschrieben – ein sinnloser Turmbau, der Menschenopfer fordert, die menschliche Sprache verwirrt und die Begegnung zwischen Menschen zerstört. Das neue Jerusalem ist das Bild einer Stadt, in der keine Menschen mehr geopfert werden müssen. Alle Völker leben gleichberechtigt in Frieden und Wohlstand. Die Lebensbäume an den Gewässern der Stadt sind Zeichen einer geheilten Schöpfung. Diese Bilder aus dem Buch der Offenbarung halten die Hoffnung wach, dass unser Einsatz Früchte tragen wird und wir in dieser Stadt leben werden. Aber wir wissen auch, dass nicht wir es sind, die die Bäume pflanzen, und nicht wir es sind, die diese Stadt entwerfen. Wir sind nur die Gärtner und Arbeiter. Das mag fromm klingen, aber ich finde keine anderen, ich finde keine besseren Worte, den Grund meiner Hoffnung zu bezeugen.

       Die grüne Ersatzreligion

      Die Enzyklika Laudato si‘, in der sich Papst Franziskus nicht nur an die Katholiken, sondern an die ganze Menschheit zu wenden behauptet, liest sich wie eine Theologie der Grünen. Der eigentliche Adressat ist aber der Wohlstandsbürger der westlichen Welt – und das weckt den Verdacht, die katholische Kirche reite hier auf der höchsten Welle des Zeitgeistes („Klimakatastrophe“), um verlorenen Boden wiedergutzumachen. Denn in der Tat haben sich die religiösen Bedürfnisse der westlichen Welt so sehr in Richtung Umweltschutz verschoben, dass sie von den grünen Parteien und NGOs überzeugender befriedigt werden können als von den christlichen Kirchen. Deshalb suchen diese nun ihr Heil eben auch im Umweltschutz, unter dem Titel „Schöpfungsbewahrung“. Wie konnte es dazu kommen? Norbert Bolz

      Als Max Weber den Gesinnungsethikern seiner Zeit eine Verantwortungsethik entgegenstellte, war dieser Begriff der Verantwortung ein Ausdruck des politischen Augenmaßes und einer gereiften Männlichkeit, die weiß, dass man mit jeder wertorientierten Lebensentscheidung in Teufels Küche gerät. Seither hat sich die Bedeutung des Begriffs Verantwortung geradezu in ihr Gegenteil verkehrt. Terroristen übernehmen weltöffentlich „Verantwortung“ für ihre wahnsinnigen Mordtaten, und große Unternehmen blähen sich mit Konzepten wie „Corporate Responsibility“ als große Bürger der Weltgesellschaft auf. Dem entspricht auf der Ebene intellektueller Empfindsamkeit der Anspruch der Gutmenschen, von den Ereignissen der ganzen Welt „betroffen“ zu sein.

      WIR SOLLEN UNS FÜRCHTEN VOR DEM, WAS WIR KÖNNEN

      Die Ethik der Weltverantwortung entspringt dem rein religiösen Bedürfnis, inmitten der entzauberten Welt das Mysterium des Humanen wieder zu Geltung zu bringen. Es steht und fällt mit dem Phantasma, der Mensch sei Mandatar eines Wollens der Natur. Diese Formulierung stammt von Hans Jonas, dessen Ethik die religiöse Grundstruktur des Humanitarismus besonders deutlich macht. Das „Prinzip Verantwortung“ von Jonas ist zentriert um die Begriffe von Furcht und Tabu, um das Humanum und das Heilige. Sein Ausgangspunkt ist das Tabu über den Menschen als Geschöpf Gottes, das heute von der Gentechnik angetastet wird. Von hier startet Jonas einen Generalangriff gegen die wissenschaftliche Entzauberung der Welt. Und dieser Humanitarismus ist stets bereit, in Fundamentalismus umzukippen – so fordert Jonas ausdrücklich: Unsere so völlig enttabuisierte Welt muss angesichts ihrer neuen Machtarten freiwillig neue Tabus aufrichten. Mit der paradoxen Formel von den freiwilligen Tabus meint Hans Jonas Praktiken, die uns das Fürchten lehren. Wir sollen uns fürchten vor dem, was wir können. Der Mensch ist sich hier selbst zum bösen Demiurgen geworden, gegen den er Sicherheitsvorkehrungen treffen muss. Technik ist des Teufels, der uns einem Absolutismus des Machbaren unterworfen hat. Mit anderen Worten: Der faustische Mensch mit seinen technischen Möglichkeiten wird zum letzten und eigentlichen Feind der Menschheit stilisiert.

       Norbert Bolz

      geb. 1953 in Ludwigshafen; von 1992-2002 Universitätsprofessor für Kommunikationstheorie am Institut für Kunst- und Designwissenschaften der Universität GH Essen; seit 2002 Professor für Medienwissenschaft an der TU Berlin.

      FURCHT WIRD ZUR ERSTEN BÜRGERPFLICHT

      Das „Prinzip Verantwortung“ ist also im Kern eine Ethik der Furcht vor unserer eigenen Macht. Eine Angstkultur soll das naturwissenschaftlich-technische Wissen der Gegenwart vermenschlichen. Damit wird Furcht zur ersten Bürgerpflicht – nicht mehr die „Furcht des Herrn“, sondern die Furcht des Menschen vor sich selbst. Die Angst des Menschen vor den eigenen Techniken tritt hier die Erbschaft der archaischen Weltangst und der mittelalterlichen Angst vor Gottes Allmacht an. Es ist das große Verdienst von Hans Jonas, diese Denkstruktur so klar herausgearbeitet zu haben, dass sie als religiöses Fundament der fundamentalistischen Grünen erkennbar wird.

      Die moderne Technik hat unsere Gesellschaft radikal von sich abhängig gemacht und konfrontiert sie ständig mit den Risiken ihrer Nebenfolgen. Darauf antwortet Technikangst. Sie ist aber weniger eine Angst vor bestimmten Techniken wie Atomkraft und Gentechnologie als vielmehr eine Angst vor jener radikalen Abhängigkeit. Denn bei Themen wie Umweltverschmutzung, Global Warming, Energieversorgung und Überbevölkerung spürt jeder, dass die Zukunft von Techniken abhängt, die derzeit noch nicht zur Verfügung stehen.

      Unsere Gesellschaft ist deshalb durch einen latenten Bürgerkrieg zwischen Machern und Mahnern gekennzeichnet. Die Identität von Risiko und Chance wird nämlich vor allem an der Technik deutlich. Die Macher können darauf verweisen, dass man die Risiken moderner Technologien nur abschätzen kann, wenn man sich auf sie einlässt. Die Mahner dagegen proklamieren das Precautionary Principle, das die Installation technischer Innovationen davon abhängig machen möchte, dass deren Beherrschbarkeit im Vorhinein nachgewiesen werden kann. Diese Position, die einfach die Beweislast umkehrt, macht sich auch Papst Franziskus zu eigen (vgl. Laudato si‘ Nr. 186). Gefahr ist ein ontologischer Begriff, Risiko ist eine Beobachtungsform. Jede Gefahr kann man als Risiko kalkulieren, und jedes Risiko kann man als Gefährdung erleben. Die Unterscheidung von Risiko und Gefahr ist also die Unterscheidung zwischen Entscheidern und Betroffenen. Die einen pflanzen genmanipulierten Mais an, die anderen haben Angst vor „Mutationen“. Jede Entscheidung verwandelt eine Unsicherheit in ein Risiko – aber eben nur für den Entscheider. Die Betroffenen haben eine völlig andere Perspektive auf denselben Sachverhalt, die viel plausibler scheint: Wir haben Angst!

      Nun ist aber die Rationalität der modernen Gesellschaft ans Risiko geknüpft. Deshalb erregt sie ein permanentes Unbehagen. Denn das Kalkül mit dem Risiko ist komplex, die Angst vor der Gefahr und die entsprechende Forderung nach Sicherheit dagegen sind einfach. Es kann deshalb nicht überraschen, dass die ökologischen Folgen der Technik im öffentlichen Diskurs ihre zweckrationalen Perspektiven verdunkeln.

      Das Reaktorunglück in Fukushima hat eindrucksvoll gezeigt, welche Folgen das hat. Die Faszination durch die Katastrophen verstellt den Blick auf die Technikabhängigkeit der Gesellschaft. Wer Angst hat, kennt kein akzeptables Risiko. „Katastrophe“ heißt nämlich: Ich will nicht rechnen. Deshalb haben die Propagandisten des Precautionary Principle leichtes Spiel. Man muss nur ein dramatisches Bild des möglichen Schadens zeichnen, um jedes Risiko-Kalkül zu blockieren. Die Angst vor der Katastrophe lässt sich nichts vorrechnen. Wir sind abhängig von technischen Systemen, die so komplex sind, dass wir ihre zukünftige Entwicklung nicht berechnen können. Und das macht Angst. Alles, was undurchschaubar ist, verunsichert. Wir haben die Technik nicht in der Hand, aber wir können auch nicht aus ihr „aussteigen“. Risiko, das ist die Welt der Wahrscheinlichkeitsstatistik, der Unsicherheit, des Zufalls


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