Architektur einer Gemeinschaft. Vitus Seibel

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Architektur einer Gemeinschaft - Vitus Seibel


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großem Respekt und Dank verpflichtet. Dank gilt auch vielen anderen Mitbrüdern. Ihre Erfahrungen sind in das Büchlein mit eingegangen, ohne dass dies im Einzelnen noch genauer angegeben werden könnte. In einer Gemeinschaft »profitiert« man ja voneinander, ohne dass dies immer genau registriert werden müsste.

      Die Satzungen sind so etwas wie das Haus der Jesuiten. Es hat einen Bauplan, der dem geistigen Gebäude zugrunde liegt. Es hat Funktionsräume und Einzelzimmer, Gebetsorte und Erholungsmöglichkeiten. Es gibt ein solides Fundament, Energieversorgung, feste Wände und ein schützendes Dach. Es hat Fenster, durch die man bis in fernste Fernen blicken kann. Und es hat Türen, weniger, um sie hinter sich abzuschließen, sondern vielmehr, um hinauszugehen in alle Welt. Die Satzungen stellen tatsächlich die Architektur der Gemeinschaft dar.

      Zunächst führe ich in einem ersten Teil ein in die Eigenart und in die verborgene Dynamik der Satzungen. In einem zweiten Teil weise ich auf einige durchgehende Perspektiven hin und darauf, was sich daraus für heute ergeben könnte. In einem dritten Teil lege ich dasselbe an einigen Einzelthemen dar.

      Benützt habe ich außer den üblichen Quellen vor allem die 1997 erschienene deutsche Übersetzung des spanischen Urtextes: Satzungen der Gesellschaft Jesu und Ergänzende Normen. Der deutsche Text der Satzungen wurde übersetzt durch Peter Knauer, die Ergänzenden Normen, d.h. die Fortschreibung der Satzungen ins Heute durch ein Team von Mitbrüdern. Die Satzungen sind durchgezählt (1–827), ebenso die Ergänzenden Normen (1–416). So zitiere ich sie auch. Die Satzungen werden auch Konstitutionen genannt. Unter diesem Ausdruck sind sie den Ordensmitgliedern vertraut. Ich verwende beide Bezeichnungen abwechselnd für ein und dieselbe Sache.

      »Ein Leib für den Geist«, so lautet der Titel eines Buches des französischen Jesuiten Dominique Bertrand über die Konstitutionen. Ein trefflicher Ausdruck, denn sie sind tatsächlich so etwas wie die Verleiblichung der Geistlichen Übungen. Das »innere Gesetz der Liebe« (134) findet im Bauplan der Satzungen seine Verwirklichung. Beide bedeutenden Werke des Ignatius von Loyola sind so in eine erhellende Beziehung gebracht.

      Schön wäre es, wenn der eine oder andere Gedanke, der in diesem Büchlein den Konstitutionen entspringt, bei der Leserin oder dem Leser Wurzeln schlagen würde, sich also gewissermaßen verleiblichen könnte durch den Geist Gottes.

      I. Die Eigenart der Satzungen

       1. Das Labyrinth des Ignatius

      »Ein Labyrinth«, so nannte Nicolas Bobadilla, einer der ersten Gefährten des Ignatius, nach dessen Tod die gerade vorliegenden Satzungen des jungen Ordens. Bobadilla fand, dass die Satzungen verwirrend seien, eben ein Labyrinth. Weder Obere noch Untergebene würden sie je verstehen können.

      Vielleicht war sein Urteil noch getrübt durch eine Verärgerung. Ignatius hatte nämlich 1550 den ersten Gesamtentwurf den in Rom anwesenden Jesuiten zur Kritik vorgelegt. Anscheinend fand Bobadilla seine damals geäußerten Bedenken nicht genügend berücksichtigt. Es könnte auch sein, dass er sich als einer der Gründerväter des Ordens bei der Abfassung der Satzungen zu wenig beteiligt sah. Er sorgte dafür, dass auch Papst Paul IV. seine Beurteilung der Satzungen erfuhr. Darüber hinaus nannte er Ignatius einen Tyrannen. Dies führte zu einer schweren Krise, da auch der Papst wegen eines früheren Konflikts keine gute Meinung über Ignatius hatte. Die Krise konnte erst nach der Wahl des Nachfolgers des Ignatius behoben werden.

      Zwei Jahre nach dem Tod des Ignatius fand die erste Generalkongregation der Jesuiten statt. Dabei wurden die Satzungen einmütig in Kraft gesetzt, und siehe da: auch mit der Stimme des inzwischen wieder besänftigten Bobadilla.

       2. Ergebnis der Werkstattarbeit: Ja, aber …

      Beim Verfassen der Konstitutionen wurden Vorlagen zu bestimmten Themenkreisen erarbeitet. Der wackere Sekretär Juan de Polanco hatte daran großen Anteil. Regeln der alten Orden wurden beigezogen. Teilentwürfe wurden in einzelnen Provinzen durch Vertraute, besonders durch Jeronimo Nadal und Pedro de Ribadeneira, vorgestellt. Die Erfahrungen vor Ort wurden rückgemeldet und eingearbeitet oder verworfen. Und immer wieder ging Ignatius betend die einzelnen Punkte der Satzungen durch. Ein erster Gesamtentwurf, der die Handschrift des Ignatius trägt, wurde den in Rom anwesenden Jesuiten 1550 vorgelegt. Ihre Anmerkungen wurden zum großen Teil berücksichtigt. Und das Ganze wurde immer wieder dem Urteil der Vernunft unterworfen. Denn Ignatius, der selber ein Mystiker war, misstraute bloßen Gefühlen und schwärmerischen Höhenflügen. Für ihn war ganz allgemein wichtiger, dass Leute, die von ihren eigenen, vermeintlich glanzvollen Ideen begeistert waren, nüchtern blieben, frei von ungeordneten Anhänglichkeiten. Denn sonst werden sie leicht zum Spielball ihrer Launen, die dann allerdings mit einem frommen Mäntelchen getarnt werden.

      Was die Satzungen ausmacht, ist nicht mit einem Wort zu bezeichnen. Regel? Ja, aber auch Inspiration. Lehrhaft? Ja, aber auch geistlich. Normativ? Ja, aber auch motivierend. Für alle? Ja, aber auch Raum lassend für die Unterschiede vor Ort. Ein einigendes Band? Ja, aber auch berücksichtigend, dass die Persönlichkeiten unterschiedlich sind. Schwungvoll? Ja, aber auch geordnetes und nachvollziehbares Handeln. Klar? Ja, aber auch ausladend und mit vielen Wiederholungen. Große Ziele? Ja, aber auch Abstieg bis in Banalitäten. Asketische Vorschriften? Ja, aber auch Atem der Freiheit. Missionarisch? Ja, aber auch trockene Texte. Hochfliegend? Ja, aber auch maßvoll. Geschrieben, damit sie gehalten werden? Ja, aber auch unterscheidend und den Kontext berücksichtigend.

      Candido de Dalmases, ein Ignatiuskenner, drückt es so aus: »Ein Gesetz, das kein Gesetz ist. Ein Recht, das kein Recht ist, weil die juridischen mit den geistlichen Elementen so weise verschmolzen sind.« Und André Ravier, ein anderer Experte, schreibt: »… wird man unausweichlich feststellen, dass sie (die Konstitutionen) mehr sind als ein Gesetzbuch, mehr als ein Plan für die apostolische Arbeit, mehr als eine Sammlung von Erfahrungen, mehr als ein Leitfaden für die Sendungen. Vielmehr sind sie die lebendige Frucht einer sehr hohen Gotteserfahrung; sie sind die in die menschliche Ebene übertragene Antwort auf ein ergreifendes Fragen nach den Plänen Gottes, des Schöpfers und Erlösers; sie sind das angestrengte Bemühen einer Gruppe von Gefährten, sich innerhalb der Kirche so zu organisieren, dass sie auf eine möglichst fruchtbare Weise am göttlichen Erlösungswerk für die Welt mitarbeiten kann.«

      Daraus ergeben sich Hinweise, die auch heute zu bedenken wären, wenn man zu Werke geht. Was wir zustande bringen wollen, soll Frucht des Gebetes sein, Frucht aber auch von gediegenen Überlegungen und von Erfahrungen, die ihrerseits einer unterscheidenden Liebe und dem Urteil reifer Menschen unterworfen werden müssen. Und das Ganze ist immer auch in den aktuellen Kontext zu stellen. Er erweitert auch gültig bleibende Erkenntnisse, versieht sie mit neuen Akzenten und führt zu neuen Handlungsanweisungen.

       3. Ein Fanfarenstoß – so beginnt es

      »Wer immer in unserer Gesellschaft, von der wir wünschen, dass sie mit dem Namen Jesu bezeichnet werde, unter dem Banner des Kreuzes für Gott Kriegsdienst leisten und allein dem Herrn und der Kirche, seiner Braut, unter dem Papst, dem Stellvertreter Christi auf Erden, dienen will, der soll sich nach dem feierlichen Gelübde immerwährender Keuschheit, Armut und Gehorsams dessen bewusst sein, dass er Teil einer Gesellschaft ist, die vornehmlich dazu errichtet worden ist, um besonders auf die Verteidigung und Verbreitung des Glaubens und den Fortschritt der Seelen … abzuzielen … und er soll sich bemühen, zuerst Gott, dann die Art und Weise dieses seines Instituts, die ja ein Weg zu ihm ist, vor Augen zu haben und dieses ihm von Gott gesetzte Ziel mit allen Kräften zu erreichen; ein jeder jedoch nach der ihm vom Heiligen Geist gewährten Gnade und der eigenen Stufe der Berufung« (Formula Instituti 1 von 1550).

      Wie ein Fanfarenstoß tönt dieser erste Satz der so genannten Formula Instituti, der Formel des Instituts, der Magna Charta des Ordens (auch wenn die äußere Gestalt des Satzes etwas schwerfällig scheinen mag). Dieses Grundgesetz, das durch die Satzungen erläutert und ausgelegt wird, wurde in einer ersten Fassung 1540 von Papst Paul III. genehmigt und in einer


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