Lebendige Seelsorge 3/2017. Erich Garhammer
Читать онлайн книгу.– also dem Soziologen – auf, wenn er den Beitrag „Fest und Mahl“ liest? Man bekommt zum Beispiel eindrücklich dargelegt, wie ehemals religiös aufgeladene Feste in der Gegenwart zusehends säkularisiert werden. Fuchs zeigt, wie sich ein eifernder, aber ganz und gar weltlicher Tanz um das Kulinarische beobachten lässt. Das Zentrum dieses Tanzes ist dabei nicht mehr wie zu Moses Zeiten ein mehr oder weniger nutzloses goldenes Kalb, sondern vielmehr ein besonders schmackhaft zubereitetes Filet vom Kobe-Rindskalb oder ähnliches. Immerhin sättigend und wohlschmeckend, könnte man sagen. Freilich verweist auch das teure Stück Kobe-Rind als kulturelles Zeichen auf das goldene Kalb, welches selbst wiederum auf Reichtum, Macht und die Formen modernen Luxus und Distinktion hinzeigt.
Doch dass es nun nicht gerade neue Götter sind, die geschaffen und verehrt werden, sondern vielmehr einfach die alten Gottesbezüge entleert werden und die übriggebliebenen Reste als profane Heiligkeiten bleiben, ist interessant. Das Spirituelle der alten Tradition, das über die pure Gegenwart hinausweist und seine Manifestation in den alimentären Köstlichkeiten des Festmahls findet, wird verdrängt vom reinen Utilitarismus nutritiver Ornamente. Die rein Diesseitigen erhalten sich die religiösen Symboliken lediglich aus ästhetischen Gründen: „Das Auge isst schließlich mit“ und ein Hauch von Weihnachts-, Oster- oder sogar Aschermittwochszauber – sofern es nicht zu tiefgründig wird – veredelt jede Speis und jeden Trank. Denn das können auch die größten Kirchenkritiker nicht negieren: Festlichkeit und Feierlichkeit in Szene zu setzen, darin hat es die (katholische) Kirche und ihre Liturgie zu wahren Meisterleistungen gebracht, wenngleich nicht als Selbstzweck, sondern mit an Transzendenz orientierter Intention.
Fraglos, alles unterliegt dem Wandel, nur, dass alles dem Wandel unterliegt, eben nicht. Auch die christlichen Festmähler müssen sich insofern verändern, als dass sie von den Menschen der Zeit verstanden und für diese anschlussfähig bleiben. Wie sehr dies ein Balanceakt ist zwischen dem Bewahren der Tradition, des ursprünglichen Geistes einerseits und der Hinwendung zum Zeitgeist andererseits kennt man aus allerhand Debatten rund um Kirche und christlichen Glauben. Dies gelingt, wie Fuchs in seinem Text zeigt, sicher dort gut, wo sich die Kirche als Raum öffnet oder auch neue beziehungswiese vernachlässigte Gruppen anspricht und an die gemeinsame Tischgemeinschaft holt.
Im Gegenzug ist es dort wenig erbaulich, wo zu viele der alten Elemente ausgetauscht oder gestrichen werden, um Inklusion selbst dort zu realisieren, wo mit den Kernideen des Festes eigentlich gar kein Vergemeinschaftungswunsch besteht. Hier öffnet sich die Falltür der Beliebigkeit, welche der Moderne als ihr Charakteristikum nicht selten und auch nicht immer zu Unrecht attestiert wird. Feste, so lesen wir in dem Beitrag, sind Identitätsstifter. Identität ist nicht in Stein gemeißelt, das ist klar. Es muss nicht zwingend ein Lammbraten sein, mit dem das Osterfest gefeiert wird. Wer es lieber vegetarisch mag oder wem Lamm partout nicht schmeckt, der wird eine sinnstiftende Alternative finden. Doch in die kulinarisch-spirituelle Willkür muss man sich deswegen noch lange nicht aufmachen. Rein weltliche Koch- und Verkostungswettbewerbe gibt es zuhauf, oftmals gar nicht schlecht, aber sie sind nun mal von völlig anderem Charakter, sie bieten ganz andere Angebote zur Sinnstiftung.
Spannend wird es freilich dort, wo es, wie Guido Fuchs beschreibt, zur kulinarischen Ökumene kommt. Auch dort, wo es zu weiteren intrareligiösen Festen mit unterschiedlichen Festmählern kommen könnte. Die Ernährungskultur der (Welt-)Gesellschaft ist als Ernährungskultur der Ernährungskulturen und des Ernährungskulturkontakts zu verstehen. Dieser Ernährungskulturkontakt – das kann man bei aller Skepsis gegenüber einer globalen Standardisierung durch alimentäre Global Player doch zugestehen – hat bereits jetzt zu vielen neuen kulinarischen Entdeckungen geführt und auch zur Rückbesinnung auf längst vergessene Speisen. Damit einher ging oftmals auch ein verändertes und geschärftes Bewusstsein, differenzierte Kommunikationen und aktualisierter Sinn.
Das müsste doch im Bereich des religiösen Festes auch möglich sein. Die Offenheit der Tischkultur, die bereits durch Jesus von Anfang an in der christlichen Religion begründet wurde, lädt dazu ein, in den direkten und konkreten intrareligiösen Austausch zu gehen. Dass dieser Austausch sich zuvorderst um ernste Fragen des Religiösen und Spirituellen drehen wird, ist indes kein Hindernis, diesen Schritt mit köstlichen Speisen und Getränken als „Fest und Mahl“ zu feiern.
Die Freude am Fest
Die Replik von Guido Fuchs auf Daniel Kofahl
Es stellt sich die Frage, warum eigentlich „der christliche Glaube und die auf ihmerrichtete Kirche“ – möglicherweise auch andere Religionen – immer wieder im Verdacht stehen, besonders genussfeindlich zu sein. Genuss als Sünde – und das womöglich schon seit dem ersten Griff nach einem „Apfel“ im Paradies (heute würde man das als „gesund sündigen“ abtun…)?
Zumindest allen drei abrahamitischen Religionen ist der Genuss beim Essen durchaus bekannt, allen ist eine Liebe zum guten Essen gemeinsam – davon zeugen übrigens nicht zuletzt zahlreiche „religiöse“ Kochbücher, die Gerichte aus verschiedenen Regionen dieser Religionen vorstellen. Das Christentum kennt dabei, anders als die beiden anderen Religionen, nicht einmal eine Speiseneinschränkung, allenfalls eine Reduzierung an den vergleichsweise moderaten Fastentagen.
Natürlich gibt es biblisch die Warnung davor, sich dem Bauch hinzugeben; das Reich Gottes besteht eben nicht im Essen und Trinken. Außerdem mag die Mahnung zur Wachsamkeit und Nüchternheit dazu beigetragen haben, nicht zu sehr dem Genuss zu frönen. Den christlichen Gemeinden war es zudem in den ersten Jahrhunderten sehr wichtig, sich durch eine Lebensführung der Mäßigung positiv abzuheben; das galt gerade auch in Hinblick auf die Mahlfeiern. Immer wieder werden die Christen aufgerufen, sich vor allem beim Weingenuss zurückzuhalten, um sich dadurch von den damals üblichen Symposien abzuheben. „Man isst so viel, wie man für den Hunger braucht, und man trinkt so viel, wie Anständigen gut ist“, so ordnete es Tertullian im 3. Jahrhundert für die gemeinsamen Agapemähler an.
Aber haben Mäßigung und Nüchternheit tatsächlich auf den Genuss Einfluss? Letzterer ist ja nicht gleichzusetzen mit Völlerei und Überfluss. Selbst die sich kärglich ernährenden Wüstenväter hatten eine Leidenschaft für Salat, wie Hans Conrad Zander („Als die Religion noch nicht langweilig war“) augenzwinkernd beschreibt. Wer tatsächlich nur so viel isst, wie er für den Hunger braucht, und so viel trinkt, wie Anständigen guttut, der schränkt sich auch einer ganz wesentlichen Haltung des Glaubens ein: der Freude am Überfluss der Schöpfung. Der Genfer Reformator Johannes Calvin – ausgerechnet, so möchte man angesichts seines asketischen Äußeren sagen – rät zum Genuss, wenn er schreibt:
„Wenn wir bedenken, zu welchem Zweck Gott die Nahrungsmittel geschaffen hat, so werden wir finden, dass er damit nicht bloß für unsere Notdurft sorgen wollte, sondern auch für unser Ergötzen und unsere Freude! So hatte er bei unseren Kleidern außer der Notdurft auch anmutiges Aussehen und Anständigkeit als Zweck im Auge. Kräuter, Bäume und Früchte sollen uns nicht nur mancherlei Nutzen bringen, sondern sie sollen auch freundlich anzusehen sein und seinen Wohlgeruch haben. Wäre das nicht wahr, so könnte es der Prophet nicht zu den Wohltaten Gottes rechnen, dass ‚der Wein des Menschen Herz erfreut‘ und dass ‚seine Gestalt schön werde vom Öl‘ (Ps 104,15). Dann könnte uns die Schrift auch nicht immer wieder zum Lobpreis seiner Güte daran erinnern, dass er selbst solches alles den Menschen gegeben hat! Auch die natürlichen Gaben der Dinge selbst zeigen uns ausreichend, wozu und wieweit man sie genießen darf. Hat doch der Herr die Blumen mit solcher Lieblichkeit geziert, dass sie sich unseren Augen ganz von selber aufdrängt, hat er ihnen doch so süßen Duft verliehen, dass unser Geruchssinn davon erfasst wird – wie sollte es dann ein Verbrechen sein, wenn solche Schönheit unser Auge, solcher liebliche Duft unsere Nase berührte? Wie, hat er denn nicht die Farben so unterschieden, dass die eine anmutiger ist als die andere? Wie, hat er nicht Gold und Silber, Elfenbein und Marmorstein solche Schönheit geschenkt, dass sie dadurch vor anderen Metallen und Steinen kostbar werden? Hat er nicht überhaupt viele Dinge über den notwendigen Gebrauch hinaus kostbar für uns gemacht?“ (Institutio Christianae religionis 111,10,2).
Kostbar für uns – ja, im wahrsten Sinn des Wortes: „Kostet und seht, wie gut der Herr ist!“ Eben das ist ja auch der Grund für den Lobpreis Gottes und den Dank für seine Gaben, die wir bei den genannten Religionen im Zusammenhang des