Existenzielle Psychotherapie. Irvin D. Yalom

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Existenzielle Psychotherapie - Irvin D. Yalom


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hatte, und durch ihre Geschwister, die tote Tiere auf sie warfen, erschreckt, sie sah ihre Tante im Sarg (im Alter von neun), sie fand ihre Mutter bewusstlos von einem Schlaganfall (im Alter von fünfzehn), und dann (im Alter von neunzehn) fand sie sie tot auf, sie pflegte einen Bruder, der an Tuberkulose starb, sie betrauerte (im Alter von neunzehn) den Tod ihres Bruders, sie war Zeugin des plötzlichen Todes ihres Ehemannes. Auf den ersten acht Seiten des klinischen Fallberichts gibt es nicht weniger als elf explizite Bezugnahmen auf den Tod, auf Sterben oder auf Leichen. In der gesamten klinischen Beschreibung spricht Frau Emmy von N. ausführlich über ihre tief greifende Todesangst.

      Die Krankheit der dritten Patientin, Fräulein Elisabeth von R., begann während der achtzehn Monate, in denen sie ihren sterbenden Vater versorgt und den unerbittlichen Verfall ihrer Familie beobachtet hatte: Eine Schwester zog weit weg, ihre Mutter litt an einer schweren Krankheit, ihr Vater starb. Schließlich brach Fräulein Elisabeths Krankheit in voller Stärke nach dem Tod einer sehr geliebten älteren Schwester aus. Im Verlauf der Therapie gab ihr Freud (in ganz ähnlicher Weise, wie Breuer sein Beratungszimmer umgeräumt hatte, damit es dem Zimmer ähnelte, in dem Anna O.s Vater gestorben war) die Aufgabe, das Grab ihrer Schwester zu besuchen, um das Auftauchen alter Erinnerungen und Affekte zu beschleunigen.

      Freud glaubte, dass Angst durch eine Situation hervorgerufen wird, die eine frühere, lange vergessene Situation des Schreckens und der Hilflosigkeit wachruft. Sicherlich lösten die mit dem Tod in Zusammenhang stehenden Traumata dieser Patientinnen tiefe Gefühle des Schreckens und der Hilflosigkeit in ihnen aus. Aber in der Lösung jedes Falles vernachlässigt Freud das Todesthema entweder gänzlich oder lenkt die Aufmerksamkeit auf den generellen Stress, der durch die Verluste, die jede Patientin erlitten hatte, verursacht wurde. Seine Formulierungen konzentrieren sich auf die erotischen Komponenten der Traumata jeder Patientin.

      Robert Jay Lifton macht in The Broken Connection (New York, 1979) fast genau die gleiche Beobachtung über einen anderen von Freuds wichtigen Fällen, Klein Hans, und er schlussfolgert, dass die Libidotheorie den Tod aufhebt. Da Liftons Buch unglück licherweise erschien, nachdem mein Buch fertig war, war ich nicht in der Lage, seine reichen Einsichten in einer sinnvollen Weise aufzugreifen. Es ist ein gedankenreiches, wichtiges Werk, das sorgfältiges Lesen erfordert.

      Freud verhalf Fräulein Elisabeth, als ihre Schwester starb, zu der Erkenntnis dass sie sich in der Tiefe ihrer Seele freute (und infolgedessen von Schuld überwältigt wurde), weil der Ehemann ihrer Schwester, den sie begehrte, jetzt frei war, um sie zu heiraten. Eine wichtige Entdeckung: Das Unbewusste, ein Überrest primitiver Wünsche, die im Keller unserer Seele vergraben liegen, weil sie für das Sonnenlicht ungeeignet sind, tauchte kurz im Bewusstsein auf und verursachte große Angst, die schließlich durch Konversionssymptomatologie gebunden wurde.

      Es besteht kein Zweifel, dass Freud in jedem seiner Patienten wichtige Konflikte aufdeckte. Aber das, was er ausließ, bedarf der genauen Untersuchung. Der Tod eines Elternteils, eines Partners oder eines anderen Nahestehenden ist mehr als ein generalisierter Stress; es ist mehr als der Verlust eines wichtigen Objektes. Es ist ein Klopfen an der Tür der Verleugnung. Wenn, wie Freud spekulierte, Fräulein Elisabeth auch nur für einen flüchtigen Moment, als ihre Schwester starb, dachte: »Jetzt ist ihr Ehemann wieder frei, und ich kann seine Frau sein«, dann erschauerte sie höchstwahrscheinlich auch bei dem Gedanken: »Wenn meine geliebte Schwester stirbt, dann werde ich auch sterben.« Wie Fräulein Elisabeth beim Tod ihrer Schwester, so Anna O. beim Tod ihres Vaters oder Frau Emmy von N. beim Tod ihres Ehemannes: Jede von ihnen muss auf einer tiefen Ebene und nur für einen Augenblick einen Blick auf ihren eigenen Tod geworfen haben.

      In den nachfolgenden Formulierungen, die die Quellen der Angst betreffen, übersah Freud den Tod weiterhin auf höchst seltsame Weise. Er fixierte sich auf den Verlust: Kastration und Verlassenheit – der Verlust des Penis und der Verlust der Liebe. Seine Haltung ist an dieser Stelle untypisch. Wo ist der furchtlose archäologische Gräber? Freud bohrte immer nach dem Fels – nach den frühesten Ursprüngen – der Dämmerung des Lebens – der Lebensweise des primitiven Menschen – der vorsintflutlichen Horde – den grundlegenden Trieben und Instinkten. Aber vor dem Tod hielt er plötzlich inne. Warum tat er nicht einen weiteren, nahe liegenden Schritt, hin zu dem gemeinsamen Nenner von Verlassenheit und Kastration? Beide Begriffe stützen sich auf ontologische Felsen. Verlassenheit ist unentwirrbar mit dem Tod verknüpft: Der verlassene Primat geht immer unter; das Schicksal des Aussätzigen ist unvermeidlicherweise der soziale Tod, dem der physische Tod schnell folgt. Kastration ist, wenn sie im bildlichen Sinn verstanden wird, synonym mit Vernichtung; wenn sie wörtlich genommen wird (und Freud meinte sie leider wörtlich), dann führt sie auch zum Tod, da der kastrierte Mensch seinen Samen nicht in die Zukunft werfen kann, er nicht der Auslöschung entfliehen kann.

      In Hemmung, Symptom und Angst betrachtete Freud kurz die Rolle des Todes in der Ätiologie der Neurosen, aber schob sie wieder als oberflächlich beiseite (ich werde später auf die auf den Kopf gestellte analytische Sichtweise von dem, was »Tiefe« und »Oberflächlichkeit« ausmacht, eingehen). In einer Passage, die unzählige Male von Theoretikern zitiert wurde, beschreibt Freud, warum er die Todesfurcht aus seinen Überlegungen über die ursprüngliche Quelle der Angst weglässt.

      Es ist nach allem, was wir von der Struktur der simpleren Neurosen des täglichen Lebens wissen, sehr unwahrscheinlich, dass eine Neurose nur durch die objektive Tatsache der Gefährdung ohne Beteiligung der tieferen unbewussten Schichten des seelischen Apparats zustande kommen sollte. Im Unbewussten ist aber nichts vorhanden, was unserem Begriff der Lebensvernichtung Inhalt geben kann. Die Kastration wird sozusagen vorstellbar durch die tägliche Erfahrung der Trennung vom Darminhalt und durch den bei der Entwöhnung erlebten Verlust der mütterlichen Brust; etwas dem Tod Ähnliches ist aber nie erlebt worden oder hat wie die Ohnmacht keine nachweisbare Spur hinterlassen. Ich halte darum an der Vermutung fest, dass die Todesangst als Analogon der Kastrationsangst aufzufassen ist, und dass die Situation, auf welche das Ich reagiert, das Verlassensein vom schützenden Über-Ich – den Schicksalsmächten – ist, womit die Sicherung gegen alle Gefahren ein Ende hat.98

      Die Logik kommt hier schlimm ins Schleudern. Zuerst besteht Freud darauf, dass die Erfahrung des Todes im Unbewussten nicht repräsentiert sein kann, weil wir keine Erfahrung davon haben. Hatten wir eine Erfahrung mit der Kastration? Keine direkte Erfahrung, gibt Freud zu; aber er stellt fest, dass wir die Erfahrung von anderen Verlusten haben, die erfahrungsmäßig gleichwertig sind: die tägliche Trennung von den Fäkalien oder die Erfahrung des Abstillens. Sicher ist die Fäkalien-Abstillen-Kastrationskette nicht logisch zwingender als der Begriff von einer angeborenen intuitiven Bewusstheit des Todes. Das Argument, wodurch Tod durch Kastration als ursprüngliche Quelle der Angst ersetzt wird, ist in der Tat so unhaltbar, dass ich mich nicht wohlfühle, wenn ich es angreife, ganz so als würde ich einen offensichtlich verkrüppelten Gegner bekämpfen. Betrachten Sie beispielsweise die offensichtliche Tatsache, dass auch Frauen Angst haben – die Verrenkungen, die notwendig sind, um die Kastrationstheorie auf Frauen anzuwenden, sind wirklich Spitzenleistungen analytischer Metapsychologie.

      Melanie Klein war ausgesprochen kritisch gegenüber Freuds seltsamer Inversion des Primats. »Die Todesangst verstärkt die Kastrationsangst und ist nicht ihr analog … da die Reproduktion eine wesentliche Möglichkeit ist, gegen den Tod zu arbeiten, würde der Verlust der Genitalien das Ende der kreativen Kraft bedeuten, die das Leben erhält und weiterführt.« Klein stimmte auch mit Freuds Ansicht nicht überein, dass es keine Todesfurcht im Unbewussten gäbe. Sie akzeptierte später Freuds Forderung, dass es in der tiefsten Schicht des Unbewussten einen Todesinstinkt (Thanatos) gibt und argumentierte, dass »eine Todesfurcht, die auch im Unbewussten sitzt, in Opposition zu diesem Instinkt aktiv ist.«99 Trotz des Widerspruchs von Klein ebenso wie von Rank und Adler u.a., die in eine Guerilla-Opposition gingen, bestand Freud auf seinen Ansichten und begründete einen Kult der Todesverleugnung für viele Generationen von Therapeuten. Die wichtigsten analytischen Handbücher reflektieren und zementieren diesen Trend. Otto Fenichel stellt fest, dass, »weil die Idee des Todes subjektiv unbegreiflich ist, jede Todesfurcht andere unbewusste Ideen verdeckt.«100 Robert Waelder lässt alle Betrachtungen über den Tod aus;101 während Ralph Greenson den Tod kurz aus der Perspektive von Thanatos, Freuds Todesinstinkt, diskutiert und ihn dann als eine Kuriosität verwirft – eine


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