Von der Erde zum Mond. Jules Verne

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Von der Erde zum Mond - Jules Verne


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Personen kam und nur zwei Beine auf sechs.

      Aber diese wackeren Artilleristen machten sich nicht so viel daraus, und sie waren mit Recht stolz darauf, wenn die Kriegsberichterstattung über eine Schlacht zehnmal mehr Opfer anführte als Geschosse abgefeuert worden waren.

      Eines Tages jedoch – an einem traurigen, bedauerlichen Tag – unterzeichneten die Überlebenden den Frieden. Der Geschützdonner hörte allmählich auf, die Mörser verstummten. Die Haubitzen wurden für lange Zeit unschädlich gemacht und die Kanonen kehrten gesenkten Hauptes in die Arsenale zurück. Die Kugeln wurden in den Zeughäusern aufgeschichtet, die blutigen Erinnerungen versiegten, die Baumwollstauden sprossen üppig auf den reich gedüngten Feldern. Mit den Trauerkleidern wurde auch der Schmerz abgelegt und der Gun-Club versank in vollständige Untätigkeit.

      »Trostlos«, sagte eines Abends der tapfere Tom Hunter, während seine hölzernen Beine am Kamin verkohlten: »Nichts mehr zu tun. Nichts mehr zu hoffen! Welch langweiliges Leben! O goldene Zeit, da uns einst jeden Morgen lustiger Kanonendonner weckte!«

      »Die Zeit ist dahin«, pflichtete der muntere Bilsby bei. »Das war eine Lust! Man erfand seinen Mörser, und war er gegossen, so probierte man ihn am Feind aus. Dann begab man sich wieder ins Lager mit einer Belobigung Shermans oder einem Handschlag Mac-Clellans! Aber nun sind die Generale wieder in ihren Comptoirs und versenden harmlose Baumwollballen! Ja, wahrhaftig, die Artillerie hat in Amerika keine Zukunft mehr!«

      »Ja, Bilsby«, verkündete Obrist Blomsberry. »Das sind grausame Täuschungen! Eines Tages kehrt man seinen friedlichen Gewohnheiten den Rücken zu, übt sich in den Waffen, zieht von Baltimore aus ins Feld, tritt da als Held auf, und zwei, drei Jahre später muss man die Früchte seiner Strapazen wieder abgeben und in leidiger Untätigkeit einschlafen.«

      »Und kein Krieg in Aussicht«, sagte darauf der berühmte J. T. Maston und kratzte dabei mit seinem eisernen Haken seinen Guttapercha-Schädel. »Kein Wölkchen am Himmel, und das zu einer Zeit, da in der Artilleriewissenschaft noch so viel zu tun wäre! Da habe ich diesen Morgen einen Musterriss fertig gemacht, samt Plan, Durchschnitt und Aufriss, für einen Mörser, der die Gesetze des Krieges verändern könnte!«

      »Wirklich?«, fragte Tom Hunter, und dabei fiel ihm unwillkürlich der letzte Versuch des ehrenwerten J. T. Maston ein.

      »Ja, wirklich«, entgegnete dieser. »Aber wozu nun so viele Studien und das Überwinden so vieler Schwierigkeiten? Ist das nicht verlorene Mühe? Die Bevölkerung der Neuen Welt scheint entschlossen zu sein, nun in Frieden zu leben und unsere Kriegstribüne hat bereits Katastrophen als Folge des Bevölkerungswachstums vorausgesagt!«

      »Indessen, Maston«, fuhr Obrist Blomsberry fort, »gibt es in Europa immer noch Kriege um das Prinzip der Nationalitäten!«

      »Na und?«

      »Na und? Da könnte man vielleicht einen Versuch machen. Und wenn man unsere Dienste annähme?«

      »Was meinen Sie? Ballistik zugunsten von Ausländern?«

      »Besser, als gar nichts damit treiben«, entgegnete der Obrist.

      »Allerdings!«, sagte J. T. Maston. »Es wäre wohl besser, aber an so einen Ausweg darf man nicht einmal denken.«

      »Und weshalb nicht?«, fragte der Obrist.

      »Weil man in der Alten Welt in Fragen der Soldatenlaufbahn Vorstellungen hat, die unseren amerikanischen Gewohnheiten schnurstracks zuwiderlaufen. Die Leute dort meinen, man könne nicht kommandierender General werden, wenn man nicht zuvor Unterlieutenant gewesen ist, was dasselbe wäre, als wenn man nicht verstehe, eine Kanone auszurichten, wenn man sie nicht selbst gegossen hat! Nun ist aber selbstverständlich ...«

      »Lächerlich!«, erklärte Tom Hunter, während er mit einem Bowie-Messer Kerben in die Arme seines Lehnsessels schnitt. »Und weil dem so ist, so bleibt uns nichts übrig, als Tabak anzupflanzen oder Tran zu sieden!«

      »Wie?«, rief J. T Maston mit laut hallender Stimme. »Wir sollen unsere letzten Lebensjahre nicht auf die Vervollkommnung der Feuerwaffen verwenden? Es sollte sich keine Gelegenheit mehr ergeben, unsere Geschosse auszuprobieren? Der Blitz von unseren Kanonen sollte nicht mehr die Luft erhellen? Es sollte sich keine internationale Streitfrage ergeben, die Anlass dazu gäbe, einer überseeischen Macht den Krieg zu erklären? Sollten nicht die Franzosen eins unserer Dampfboote im Meer versenken und die Engländer sollten nicht entgegen den Grundsätzen des Völkerrechts etliche unserer Landsleute hängen?«

      »Nein, Maston«, entgegnete Obrist Blomsberry, »dieses Glück wird uns nicht werden! Nein! Kein einziger dieser Fälle wird eintreten, und geschähe es, so würden wir ihn nicht ausnutzen! Das amerikanische Selbstgefühl schwindet von Tag zu Tag und wir werden zu Weibern!«

      »Ja, wir versinken!«, erwiderte Bilsby.

      »Und man zwingt uns in die Knie!«, entgegnete Tom Hunter.

      »Dies alles ist nur allzu wahr«, erwiderte J. T Maston mit erneuter Heftigkeit. »Es lassen sich tausende von Gründen finden, um sich zu schlagen, aber man schlägt sich nicht! Man will Arme und Beine schonen, und das zugunsten von Leuten, die nichts damit anzufangen wissen! Und denken Sie, man braucht einen Grund zum Krieg nicht so weit herzuholen: Hat nicht Nord-Amerika einst den Engländern gehört?«

      »Allerdings!«, bestätigte Tom Hunter, während er mit seiner Krücke das Feuer schürte.

      »Also dann!«, fuhr J. T Maston fort. »Warum sollte nicht England einmal an die Reihe kommen den Amerikanern zu gehören?«

      »Das wäre nur recht und billig«, erwiderte Obrist Blomsberry lebhaft.

      »Machen Sie diesen Vorschlag einmal dem Präsidenten der Vereinigten Staaten«, rief J. T Maston, »und Sie werden sehen, wie er Sie empfangen wird!«

      »Gewiss wohl schlecht«, brummte Bilsby zwischen den Zähnen, die er noch hatte.

      »Meiner Treu!«, rief J. T Maston. »Mit meiner Stimme kann er nicht mehr rechnen!«

      »Auch mit unseren nicht«, stimmten die Kriegsinvaliden unisono mit ein.

      »Unterdessen«, äußerte J. T Maston zum Schluss, »gibt man mir nicht die Gelegenheit, meinen neuen Mörser auf einem wirklichen Schlachtfeld auszuprobieren, so trete ich aus dem Gun-Club aus und vergrabe mich in den Savannen von Arkansas!«

      »Da kommen wir mit«, erklärten die Genossen des tapferen J. T Maston.

      So standen die Dinge, die Geister erhitzten sich und der Club war von naher Auflösung bedroht als ein unerwartetes Ereignis dazwischenkam. Am Tag nach dieser Unterredung erhielt jedes Mitglied der Gesellschaft ein wie folgt abgefasstes Rundschreiben:

       Baltimore, 3. Oktober.

      »Der Präsident des Gun-Clubs beehrt sich, seine Kollegen davon zu unterrichten, dass er in der Sitzung am 5. d. Monats eine Mitteilung zu machen hat, welche sie lebhaft interessieren wird. Demnach bittet er sie, ungesäumt der im gegenwärtigen Schreiben enthaltenen Einladung zu folgen.

       Mit herzlichem Gruß

       Impey Barbicane, Präsident.«

      ZWEITES KAPITEL

      Mitteilung des Präsidenten Barbicane

      A

      m 5. Oktober um acht Uhr abends drängte sich eine dichte Menge in den Sälen des Gun-Clubs, 21. Unionsquare. Alle in Baltimore einheimischen Mitglieder der Gesellschaft hatten sich auf die Einladung ihres Präsidenten dort hinbegeben. Die Korrespondenten gelangten per Express zu hunderten in der Stadt an, und so groß auch die Sitzungshalle war, so konnte die Menge der Gelehrten darin keinen Platz mehr finden. Sie strömte über in die anstoßenden Säle, die Gänge bis mitten in die äußeren Höfe, wo sie mit dem gewöhnlichen Volk zusammentraf, das sich an den Eingängen drängte. Indem


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