Das Karpatenschloss. Jules Verne

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Das Karpatenschloss - Jules Verne


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vom Rundgange heimkehrt, mit ...

      – Wie ich‘s Euch sagte!« unterbrach ihn der Hausierer.

      »Ja ... richtig ... das ist Nic! fuhr der Schäfer fort. Und wer ist das Mädchen im roten Rocke und schwarzen Leibchen, die aus dem Hause des Meister Koltz tritt, wie um jenem entgegenzugehen?

      – Seht nur ordentlich hin, Schäfer, und Ihr werdet das Mädchen ebenso gut erkennen, wie den jungen Mann ...

      – Ja ... wirklich ... das ist Miriota ... die schöne Miriota! – Oh, diese verliebten Leute! Jetzt mögen sie aber auf ihrer Hut sein, denn ich habe sie hier deutlich am Ende des Fernrohres und es entgeht mir keine Zärtlichkeit.

      – Nun, was sagt Ihr jetzt von dem Instrumente?

      – Was soll ich sagen? – dass man damit weiter sehen kann als sonst.«

      Wenn Frik in seinem Leben noch niemals durch ein Fernrohr geblickt hatte, musste das Dorf Werst doch wohl zu den Ortschaften des Comitats Klausenburg gehören, die am weitesten hinter der Zeit zurückgeblieben waren. Und dass es an dem war, wird der Leser bald selbst erkennen.

      »Jetzt, Schäfer,« fuhr der Fremde fort, »schaut noch einmal hindurch, aber weiterhin als nach Werst. Das Dorf liegt viel zu nahe. Seht darüber hinaus, weit, weit hinaus!

      – Und das kostet auch nicht mehr?

      – Keinen Heller mehr.

      – Gut. Ich will mich einmal in der Gegend der ungarischen Sil umsehen. Aha ... da ist der Kirchturm von Livadzel! Den erkenn‘ ich an dem Kreuze, woran der eine Arm fehlt. Da ... und weiter draußen seh‘ ich den Turm von Petroseny, auch seinen Weißblech-Wetterhahn mit geöffnetem Schnabel, so als wollte er seine Glucken rufen! ... Und ganz unten ... das muss der Turm von Petrilla sein ... Doch, nicht wahr, Hausierer, Ihr sagtet, das kostete deshalb immer nicht mehr ...

      – Das Hindurchsehen kostet nichts, Schäfer.«

      Frik wendete sich jetzt nach dem Plateau von Orgall hin; dann folgte er mit dem Fernrohre den Waldmassen im Schatten der Abhänge des Plesa, und schließlich trat die Burg in das Gesichtsfeld des Glases.

      »Richtig!« rief er. Der vierte Ast liegt zu Boden ... ich hatte doch recht gesehen! Na, den wird auch Keiner aufheben, um ihn am Johannisfeste als hübsche Fackel zu gebrauchen ... Nein, Keiner ... nicht einmal ich selbst! Das hieße ja Leib und Seele der Hölle verschreiben! Doch keine Sorge; Einen gibt‘s doch, der ihn noch diese Nacht in seiner Höllenküche verbrennen wird ... das ist der Chort!«

      Der Chort – so heißt der Teufel, wenn er hier im Lande gesprächsweise erwähnt wird.

      Der Jude hätte vielleicht nach einer Erklärung dieser Worte gefragt, die für Jeden unverständlich sein mussten, der nicht aus Werst oder dessen Nachbarschaft herstammte, doch schon rief Frik wieder mit einer aus Schrecken und Erstaunen gemischten Stimme:

      »Da ... was ist denn das? ... Ein Dunst, der über dem alten dicken Turme schwebt? ... Ist‘s denn wirklich nur Dunst? ... Nein, das könnte man für Rauchwolken halten! ... Unmöglich! Seit langen, langen Jahren haben die Schornsteine der Burg nicht mehr geraucht!

      – Wenn Ihr da draußen Rauch seht, Schäfer, so wird‘s schon Rauch sein.

      – Nein, Hausierer ... nein! Wahrscheinlich ist nur das Glas Eures Instrumentes angelaufen.

      – So wischt es doch ab.

      – Und wenn ich das täte ...«

      Frik drehte das Fernrohr um und setzte es, nachdem er die Gläser mit dem Ärmel abgerieben hatte, wieder vor das Auge.

      Es war tatsächlich eine Rauchsäule, die dort aus dem Wartturme aufwirbelte. Bei der ganz stillen Luft stieg sie kerzengerade empor und verschwamm schließlich im Dunste der Höhe.

      Frik stand wie versteinert und sprach kein Wort. Seine ganze Aufmerksamkeit wandte er der Burg zu, nach der schon der Schatten der Täler unter dem Plateau von Orgall langsam empor schlich.

      Plötzlich ließ er das Fernrohr herabsinken, griff nach dem kleinen Quersack, der unter seiner Jacke hing und fragte:

      »Was soll Euer Rohr kosten?

      – Anderthalb Gulden,« antwortete der Händler.

      Er hätte das Fernrohr auch schon für einen Gulden weggegeben, wenn Frik sonst Lust zum Kaufe gezeigt hätte. Der Schäfer feilschte aber nicht. Offenbar unter dem Drucke einer ebenso plötzlichen wie unerklärlichen Verblüffung, senkte er die Hand in den Quersack und brachte das verlangte Geld hervor.

      »Kauft Ihr das Fernrohr für Euch selbst?« fragte der Hausierer.

      »Nein ... für meinen Herrn, den Ortsrichter Koltz.

      – Dann gibt er Euch zurück, was ...

      – Jawohl, die zwei Gulden, die es mich gekostet hat.

      – Wie ... die zwei Gulden, sagt Ihr?

      – Natürlich ... Nun übrigens Gute Nacht, Freundchen.

      – Gute Nacht, Schäfersmann!«

      Frik pfiff die Hunde heran, ließ diese die Herde zusammentreiben und zog rasch in der Richtung nach Werst davon.

      Der Jude, der ihm nachschaute, schüttelte leicht den Kopf, als ob er es mit einem halben Narren zu tun gehabt hätte.

      »Hätt‘ ich das gewusst,« murmelte er vor sich hin, »dann würd‘ ich ihm das Fernrohr etwas teurer verkauft haben!«

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      Nachdem er dann seine Waren am Gürtel und auf den Schultern wieder geordnet, schlug er, am rechten Ufer der Sil hinabwandernd, den Weg nach Karlsburg ein.

      Wohin er ging, hat für uns keine weitere Bedeutung. Er taucht nur dieses einzige Mal in unsrer Erzählung auf. Der Leser wird ihn nicht wieder zu sehen bekommen.

      ZWEITES KAPITEL

      M

      ag es sich um Felsenmassen handeln, die in grauer Vorzeit, als der Erdboden noch nicht zur Ruhe gekommen, von der starken Hand der Natur übereinander getürmt worden waren, oder um Bauwerke der schwachen Menschenhand, über die der Hauch von Jahrhunderten hinweg gestrichen ist – immer bleibt der Anblick nahezu derselbe, sobald man sie aus einigermaßen größerer Entfernung betrachtet. Was rohes und was künstlich bearbeitetes Gestein ist – beides verschmilzt sehr leicht ineinander. Von Weitem weisen beide dieselbe Färbung, dieselben Züge und denselben Verlauf der Linien nach der Perspektive auf und gleichmäßig deckt sie die grünliche Patina der Jahrhunderte.

      So verhielt es sich auch mit der Burg – gewöhnlich »das Karpatenschloss« genannt. Es wäre ganz unmöglich gewesen, seine unbestimmten Formen auf jener Hochfläche von Orgall, die es zur Linken des Vulkangipfels krönte, deutlich zu erkennen, vorzüglich, da sich das Bauwerk von den dahinter noch aufstrebenden Bergketten nicht besonders abhebt. Was man versucht ist, für einen hohen Wartturm zu halten, ist vielleicht nichts als ein steil aufsteigender schlanker Felsen. Wer darauf hinblickt, glaubt wohl den Zinnenrand einer Mauer da zu erkennen, wo sich nur ein ausgezackter steiniger Grat ausdehnt. Das ganze Bild ist schwach, unbestimmt, verschwommen. Nach der Ansicht verschiedener Touristen besteht das ganze Karpatenschloss überhaupt nur in der Einbildung der Bewohner des Comitats.

      Offenbar hätte man sich von dem wahren Sachverhalt sehr einfach überzeugen können, wenn Jemand mit Hilfe eines landeskundigen Führers aus Vulkan oder aus Werst den Talweg durchschritten, dann die Berghöhe erstiegen und die viel genannte Burg an Ort und Stelle in Augenschein genommen hätte. Leider wäre ein Führer nur noch weit schwieriger aufzutreiben, als der nach dem Schlosse leitende Weg aufzufinden gewesen. Hier, im Lande der beiden Sil, würde kein Mensch zu überreden gewesen sein, selbst gegen die reichlichste Belohnung einen Fremden nach dem Karpatenschlosse zu führen.

      Lassen wir das übrigens bei Seite, so wäre


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