Tödlicher Spätsommer. Ursula Dettlaff
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Ursula Dettlaff
Tödlicher Spätsommer
Kriminalroman
MÖNNIG-VERLAG ISERLOHN
© Mönnig-Verlag, Iserlohn, 3. Auflage 2013
Alle Rechte an Bild und Text, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotografischen Wiedergabe und der Vervielfältigung bleiben dem Verlag vorbehalten.
Buchgestaltung, Textbearbeitung und Produktion: Mönnig-Verlag, Iserlohn
Cover: Klaud Design - Marie-Katharina Wölk
© pure-life-pictures - Fotolia.com, © sjhuls - Fotolia.com, © burak çakmak - Fotolia.com
Gedruckte Ausführung unter www.moennig.de
Print: ISBN 978-3-933519-63-4
E-Book: ISBN 978-3-933519-64-1 EPUB
E-Book: ISBN 978-3-933519-65-8 MOBI
Teil I
Die Sicherheit des alltäglichen Lebens
„Haben Sie das Richtige gefunden“, erkundigte sich Helene freundlich. Drei Minuten vor Ladenschluss hatte die Kundin das Geschäft betreten und an der Kasse nach einem Reiseführer über Westjütland gefragt. Mit wenigen Schritten ging Helene hinüber zum entsprechenden Regal und reichte der Frau verschiedene Ausgaben. „Griechenland ist uns im Sommer zu heiß. Auf der Insel Patmos mieten wir regelmäßig im Frühjahr einen Bungalow. Im Herbst ist das Licht in der Toskana einfach unvorstellbar schön. Da fanden wir auch schon ein ganz süßes Urlaubsdomizil. Und weil die Wetterprognose für den gesamten Juni so gut ist, buchte ich für die kommenden beiden Wochen ganz spontan ein Ferienhaus in Dänemark. Machen Sie auch bald Urlaub? Ach, nein, Sie nehmen sicher jetzt gerade Schulbuchbestellungen entgegen, was?“
Annette schaltete bereits mehrere Lampen aus.
Die Kundin schien das nicht zu bemerken. „Dieser hier ist ganz aktuell. In welche Region von Westjütland geht denn Ihre Reise?“, versuchte Helene den Verkauf zu beschleunigen. „Ach“, entgegnete die Frau, „so genau weiß ich das gar nicht. Ich kann ja zuhause mal nachsehen und dann wiederkommen.“
Das Kaufinteresse der Frau schien blitzschnell verschwunden zu sein.
Annette hatte mittlerweile die Ladentür verschlossen und wartete. „Die sind im Moment sehr gefragt“, wandte Helene ein. „Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass morgen Abend noch einer da ist.“
Macht nix, gibt ja Internet. Helene las die Antwort in den Augen ihrer Gesprächspartnerin voraus. „Nutzen Sie das World Wide Web eigentlich auch privat?“, wollte die jetzt wissen. „Ehrlich gesagt kann ich mir das nicht vorstellen.“
Helene outete sich als geizig, was ihr wegen ihres Aussehens – streng frisierte Steckfrisur, sportlicher dunkelblauer Rock, weiße Bluse, Schuhe, die zeitloser Chic auszeichnete, spontan jeder abnahm.
„Ich kaufe lieber im Laden, statt zusätzlich Versandkosten zu zahlen“, bekannte die Verkäuferin, schaute auf ihre Armbanduhr und wollte eben die lästige Kundin hinauskomplimentieren, als diese seufzte „Na, dann geben Sie schon her. Was macht das noch mal?“ Helene druckte den Kassenbon, nahm das Geld und verabschiedete sich.
„Mensch, ich dachte, die will gar nix kaufen“, ereiferte sich Annette, ihre junge Kollegin, kurz darauf. „Bloß gut, dass diese schreckliche Angeberin raus ist.“
Heiner kam aus seinem Büro. „Musste das sein, dass du wieder so ewig herumpalaverst?“, grantelte er und öffnete die Kasse. Die Abrechnung erledigte er in der Regel persönlich.
Ihm war natürlich klar, dass die kompetente Beratung das einzige war, das kleine Läden der Konkurrenz des Internethandels entgegen zu setzen hatten. Aber seine Verkäuferin präsentierte sich heute nicht gerade in bester Stimmung.
„Wenn ich da meinen Vater von den 70er Jahren reden höre. Damals kauften die Leute Bücher wie verrückt. Keine Ahnung, ob sie die alle gelesen haben“, erzählte er.
An diese Zeit konnte Helene sich gut erinnern. Als „Lehrmädchen“ schickte man sie damals täglich zum Einkauf für alle Mitarbeiter. Heiner besuchte damals das Mannesmann-Gymnasium.
Helene machte noch ein wenig Ordnung. Erst im Laden, dann im Aufenthaltsraum, aus alter Gewohnheit. Sie kannte die Leier zur Genüge.
„Lenchen, Süße, kannst Du meine Tasse in die Spülmaschine stellen. Timo und ich wollen gleich ins Kino. Da läuft der neue Film mit Jonny Depp. Lässt du mich eben raus.“, Annettes Bitte war eher eine Feststellung. Helene tat, worum sie gebeten wurde. Spaß zu haben ist etwas für junge Leute.
Die Tüte mit dem Puddingteilchen und der Nussecke faltete sie zu und legte sie in ihren Schrank. Das Gebäck schmeckte sicher morgen noch genauso gut. Ceylontee und Filter reichten ebenso bis zur kommenden Woche, wie der Zucker. „Bis morgen“, verabschiedete sie sich und ging heim.
Eine gute halbe Stunde später zappte sie sich durch das Abendprogramm. Auf dem Tisch hatte sie sich ein Glas Rotwein, Joghurt, Nudeln aus der Mikrowelle und Besteck bereitgelegt. Bevor sie sich müde auf die Couch fallen ließ, vergewisserte sie sich, dass ihre Wolldecke in Reichweite lag.
Ein Film nach einem Roman von Rosamunde Pilcher. Schöne Landschaft, vorhersehbare Handlung. Leichte Kost. Ideal zum Entspannen. Chillen, wie ihr Patenkind Julia sagen würde.
Vom Klingeln des Telefons erwachte Helene. Seufzend erhob sie sich. „Hier ist Ihre T-Netbox. Sie haben zwei neue Sprachnachrichten. Zur sofortigen Abfrage drücken Sie die eins.“
Petra wollte wissen, ob Helene mal wieder Lust zum Shopping hätte. Am besten Donnerstag. Um 10 vor dem Haupteingang von Karstadt. Wie immer. Helene war verärgert.
Den freien Tag musste sie schließlich zum Einkaufen und Putzen nutzen.
Am liebsten hätte sie Petra auf der Stelle zurückgerufen. Heiner konnte es ohnehin nicht leiden, wenn sie während der Arbeit telefonierte. Andererseits wäre es vielleicht ganz gut, der ewig gleichen Tretmühle für ein paar Stunden zu entrinnen.
Nachricht zwei stammte von Kommissar Schumann. „Ja, Schumann hier, hallo Frau Schneider. Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass wir die Ermittlungen einstellen. Tut mir leid. Kommen Sie doch Donnerstag um 9 bei mir vorbei. Die Akte wird geschlossen. Wir konnten kein Motiv für die Tat finden.“
Helene war mit einem Schlag hellwach. Das war die Nachricht, die sie schon so lange befürchtet hatte.
Der Alltag gab ihr Halt, diesen sinnlosen Tod ein wenig zu vergessen. „Du wirst darüber hinwegkommen“, versuchte Petra sie immer zu trösten, wenn Helene dieses Thema ansprach. „Die Zeit heilt alle Wunden“.
Wie oft musste sie sich diese Floskel schon anhören. Zugleich konnte sie Petra nicht böse sein. Was hätte sie sagen sollen?
Nach der langen Zeit ohne irgendeinen Fortschritt fehlten der Freundin einfach die Worte. Helene schaltete den Fernseher aus, legte die Decke zusammen und räumte den Tisch ab.
Sie hasste es, am Morgen, direkt nach dem Aufstehen, auf Unordnung blicken zu müssen.
Sie konnte lange nicht einschlafen, wälzte sich von einer Seite auf die andere. Später trank sie ein Glas warme Honigmilch.
Doch es half nichts. Zu stark war die Erinnerung an die Ereignisse des vergangenen Sommers. Entsprechend müde blickte ihr am Morgen ihr Spiegelbild entgegen.
„Mensch Helene, mit deiner finsteren Miene vergraulst du mir noch die Kunden“, begrüßte Heiner am nächsten Morgen seine Angestellte.
„Die Polizei hat angerufen. Die Ermittlungen werden eingestellt“, sagte sie leise. „Ja, da kann man nichts machen. Na, wenigstens hast du jetzt wieder Zeit, dich ganz