Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. Johann Gottfried Herder

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Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit - Johann Gottfried Herder


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müsste zeigen, dass meine Analogie, von menschlichen Lebensaltern hergenommen, nicht Spiel sei. Offenbar war allem, was beide Alter auch gemeinschaftlich hatten, der himmlische Anstrich genommen, und es mit Erdehaltung und Ackerleim versetzt: Ägyptens Kenntnisse waren nicht mehr väterliche Orakelsprüche der Gottheit, sondern schon Gesetze, politische Regeln der Sicherheit, und der Rest von jenen ward bloß als heiliges Bild an die Tafel gemalt, dass es nicht unterginge, dass der Knabe davor stehen, entwickeln und Weisheit lernen sollte. Ägyptens Neigungen nicht mehr so kindeszart als die in Orient: das Familiengefühl schwächte sich, und ward dafür Sorge für dieselbe, Stand, Künstlertalent, das sich mit dem Stande wie Haus und [20]Acker forterbte. Aus dem müßigen Zelte, wo der Mann herrschte, war eine Hütte der Arbeit geworden, wo auch das Weib schon Person war, wo der Patriarch jetzt als Künstler saß und sein Leben fristete. Die freie Aue Gottes voll Herden, ein Acker voll Dörfer und Städte: das Kind, was Milch und Honig aß, ein Knabe, der über seine Pflichten mit Kuchen belohnt wurde – – es webte neue Tugend durch alles, die wir ägyptischen Fleiß, Bürgertreue nennen wollen, die aber nicht orientalisches Gefühl war. Dem Morgenländer, wie ekelt ihm noch jetzt Ackerbau, Städteleben, Sklaverei in Kunstwerkstätten! wie wenig Anfänge hat er noch nach Jahrtausenden in alledem gemacht: er lebt und webt als ein freies Tier des Feldes. Der Ägypter im Gegenteil, wie hasste und ekelte er den Viehhirten, mit allem, was ihm anklebte! eben wie sich nachher der feinere Grieche wieder über den lastbaren Ägypter erhob – es hieß nichts, als dem Knaben ekelte das Kind in seinen Windeln, der Jüngling hasste den Schulkerker des Knaben; im Ganzen aber gehörten alle drei auf- und nacheinander. Der Ägypter ohne morgenländischen Kindesunterricht wäre nicht Ägypter, der Grieche ohne ägyptischen Schulfleiß nicht Grieche – eben ihr Hass zeigt Entwickelung, Fortgang, Stufen der Leiter!

      Zum Erstaunen sind sie, die leichten Wege der Vorsehung: sie, die das Kind durch Religion lockte und erzog, entwickelte den Knaben durch nichts als Bedürfnisse und das liebe Muss der Schule. Ägypten hatte keine Weiden – der Einwohner musste also Ackerbau wohl lernen, wie sehr erleichterte sie ihm dies schwere Lernen durch den fruchtbringenden Nil. Ägypten hatte kein [21]Holz: man musste mit Stein bauen lernen: Steingruben gnug da: der Nil bequem da, sie fortzubringen – wie hoch ist die Kunst gestiegen! wie viel entwickelte sie andre Künste! Der Nil überschwemmte: man brauchte Ausmessungen, Ableitungen, Dämme, Kanäle, Städte, Dörfer – auf wie mancherlei Weise ward man am Erdkloß angeheftet! aber wie viel Einrichtung entwickelte auch der Erdkloß! Er ist mir auf der Karte nichts als Tafel voll Figuren, wo jeder Sinn entwickelt hat: so original dies Land und seine Produkte, so eine eigne Menschengattung! Der menschliche Verstand hat viel in ihm gelernt, und vielleicht ist keine Gegend der Erde, wo dies Lernen so offenbar Kultur des Bodens gewesen als hier. Sina ist noch sein Nachbild: man urteile und errate.

      Auch hier wieder Torheit, eine einzige ägyptische Tugend aus dem Lande, der Zeit und dem Knabenalter des menschlichen Geistes herauszureißen und mit dem Maßstabe einer andern Zeit zu messen! Konnte, wie gezeigt, sich schon der Grieche so sehr am Ägypter irren und der Morgenländer den Ägypter hassen: so dünkt mich, sollt’s doch erster Gedanke sein, ihn bloß auf seiner Stelle zu sehen, oder man sieht, zumal aus Europa her, die verzogenste Fratze. Die Entwicklung geschah aus Orient und der Kindheit herüber – natürlich musste also noch immer Religion, Furcht, Autorität, Despotismus das Vehikulum der Bildung werden: denn auch mit dem Knaben von sieben Jahren lässt sich noch nicht, wie mit Greis und Manne, vernünfteln. Natürlich musste also auch, nach unserm Geschmack, dies Vehikulum der Bildung harte Schlaube, oft solche Ungemächlichkeiten, so viel Krankheiten verursachen, die man [22]Knabenstreitigkeiten und Kantonskriege nennt. Du kannst so viel Galle du willt über den ägyptischen Aberglauben und das Pfaffentum ausschütten, als z. B. jener liebenswürdige Plato Europens,f der nur alles zu sehr nach griechischem Urbilde modeln will, getan hat – alles wahr! alles gut, wenn das Ägyptentum für dein Land und deine Zeit sein sollte. Der Rock des Knaben ist allerdings für den Riesen zu kurz! und dem Jünglinge bei der Braut der Schulkerker anekelnd: aber siehe! dein Talar ist für jenen wieder zu lang, und siehst du nicht, wenn du etwas ägyptischen Geist kennest, wie deine bürgerliche Klugheit, philosophischer Deismus, leichte Tändelei, Umlauf in alle Welt, Toleranz, Artigkeit, Völkerrecht und wie der Kram weiter heiße, den Knaben wieder zum elenden Greisknaben würde gemacht haben. Er musste eingeschlossen sein; eine gewisse Privation von Kenntnissen, Neigungen und Tugenden musste da sein, um das zu entwickeln, was in ihm lag und jetzt in der Reihe der Weltbegebenheiten nur das Land, die Stelle entwickeln konnte! Also waren ihm diese Nachteile Vorteile oder unvermeidliche Übel, wie die Pflege mit fremden Ideen dem Kinde, Streifereien und Schulzucht dem Knaben – warum willt du ihn von seiner Stelle, aus seinem Lebensalter rücken – den armen Knaben töten? – – Welch eine große Bibliothek von solchen Büchern! bald die Ägypter zu alt gemacht, und aus ihren Hieroglyphen, Kunstanfängen, Polizeiverfassungen, welche Weisheit geklaubt!g bald sie wieder gegen die [23]Griechen, so tief verachteth – bloß weil sie Ägypter und nicht Griechen waren, wie meist die Liebhaber der Griechen, wenn sie aus ihrem Lieblingslande kamen. Offenbares Unrecht!

      Der beste Geschichtschreiber der Kunst des Altertums, Winckelmann, hat über die Kunstwerke der Ägypter offenbar nur nach griechischem Maßstabe geurteilt, sie also verneinend sehr gut, aber nach eigner Natur und Art so wenig geschildert, dass fast bei jedem seiner Sätze in diesem Hauptstück das offenbar Einseitige und Schielende vorleuchtet. So Webb, wenn er ihre Literatur der griechischen entgegensetzt: so manche andre, die über ägyptische Sitten und Regierungsform gar mit europäischem Geist geschrieben haben. – Und da es den Ägyptern meistens so geht, dass man zu ihnen aus Griechenland und also mit bloß griechischem Auge kommt – wie kann’s ihnen schlechter gehen? Aber teurer Grieche! diese Bildsäulen sollten nun nichts weniger (wie du aus allem wahrnehmen könntest) als Muster der schönen Kunst nach deinem Ideal sein! voll Reiz, Handlung, Bewegung, wo von allem der Ägypter nichts wusste, oder was sein Zweck ihm gerade wegschnitt. Mumien sollten sie sein! Erinnerungen an verstorbne Ältern oder Vorfahren nach aller Genauigkeit ihrer Gesichtszüge, Größe nach hundert festgesetzten Regeln, an die der Knabe gebunden war also natürlich eben ohne Reiz, ohne Handlung, ohne Bewegung, eben in dieser Grabesstellung mit Händ und Füßen voll Ruhe und Tod – ewige Marmormumien! siehe, das sollten sie sein und sind’s auch! sind’s im höchsten [24]Mechanischen der Kunst! im Ideal ihrer Absicht! – wie geht nun dein schöner Tadeltraum verloren! Wenn du auf zehnfache Weise den Knaben durch ein Vergrößerungsglas zum Riesen erhöbest und ihn belichtetest, du kannst nichts mehr in ihm erklären; alle Knabenhaltung ist weg, und ist doch nichts minder, als Riese!

      *

      Die Phönizier waren, oder wurden, so verwandt sie den Ägyptern waren, gewissermaßen ihre Gegenseite von Bildung. Jene, wenigstens in den spätern Zeiten, Hasser des Meers und der Fremden, um einheimisch nur »alle Anlagen und Künste ihres Landes zu entwickeln«; diese zogen sich hinter Berg und Wüste an eine Küste, um eine neue Welt auf dem Meere zu stiften – und auf welchem Meere? auf einem Inselnsunde, einem Busen zwischen Ländern, das recht dahin geleitet, mit Küsten, Inseln und Landspitzen gebildet zu sein schien, um einer Nation die Mühe des Schwimmens und Landsuchens zu erleichtern – wie berühmt bist du, Archipelag und Mittelmeer, in der Geschichte des menschlichen Geistes! Ein erster handelnder Staat, ganz auf Handel gegründet, der die Welt zuerst über Asien hinaus recht ausbreitete, Völker pflanzte und Völker band – welch ein großer neuer Schritt zur Entwicklung! Nun musste freilich das morgenländische Hirtenleben mit diesem werdenden Staat fast schon unvergleichbar werden: Familiengefühl, Religion und stiller Landgenuss des Lebens schwand: die Regimentsform tat einen gewaltigen Schritt zur Freiheit der Republik, [25]von der weder Morgenländer noch Ägypter eigentlich Begriff gehabt. Auf einer handelnden Küste mussten bald wider Wissen und Willen gleichsam Aristokratien von Städten, Häusern und Familien werden – mit allem welch eine Veränderung in Form menschlicher Gesellschaft! Als also Hass gegen die Fremden und Verschlossenheit von andern Völkern schwand, ob der Phönizier gleich nicht aus Menschenliebe Nationen besuchte, es ward eine Art von Völkerliebe, Völkerbekanntschaft, Völkerrecht sichtbar, von dem denn nun wohl ganz natürlich ein eingeschlossner Stamm oder ein kolchisches Völkchen nichts wissen konnte. Die Welt wurde weiter: Menschengeschlechter verbundner und enger: mit dem Handel eine Menge Künste entwickelt, ein ganz neuer Kunsttrieb in Sonderheit, für Vorteil, Bequemlichkeit, Üppigkeit und Pracht! Auf einmal stieg der Fleiß der Menschen von der schweren


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