Noch ein Mord, Mylord. Ralf Kramp

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Noch ein Mord, Mylord - Ralf Kramp


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Suez-Krise und der Besuch der berühmtesten Schauspielerin der Welt.

      Premierminister Eden hatte sich vorgenommen, den ägyptischen Präsidenten Abdel Nasser zu stürzen, und es schien durchaus möglich, dass zu diesem Zweck schon bald Bomben auf Alexandria fallen würden. Eine Bombe der ganz anderen Art hingegen war Marilyn Monroe, die im Juli über den großen Teich gekommen war und nun schon seit zwei Monaten zu Gast in unserem Land war. Der Grund ihres Aufenthalts waren Dreharbeiten zu einem Film in den Pinewood Studios. An der Seite unseres berühmten englischen Shakespearedarstellers Sir Laurence Olivier spielte sie in einer romantischen Komödie ein Revuegirl, und seit sie ihren Fuß auf englischen Boden gesetzt hatte, war ganz England verliebt in sie.

      Der Sommer war so regnerisch gewesen wie schon lange nicht mehr, aber der September schien nachholen zu wollen, was nachzuholen ging. Es war heiß. Und in der Tube war es schier unerträglich. Ich war froh, an der Station Baker Street endlich wieder aussteigen und mich von der Rolltreppe ans Tageslicht hinaufbefördern lassen zu können.

      Ich hatte eine Verabredung mit meinem Freund Reginald Lord Merridew, der mich ohne Angabe von Gründen mit einer knappen Notiz hierher beordert hatte, wie das so seine Art war. Auf der anderen Seite der mehrspurigen Marylebone Road sah ich ihn bereits stehen und mir mit seinem Gehstock zuwinken. Ich schlängelte mich mutig durch den unablässig fließenden Verkehr und begrüßte ihn schon wenige Minuten später. Mein helles Sommerjackett hatte ich mir über die Schulter gehängt. Merridew steckte in einem sandfarbenen Anzug mit maisgelber Weste und weinroter Fliege.

      »Mein lieber Junge«, rief er fröhlich. »Was für ein wunderbarer Tag, da werden Sie mir doch zustimmen, oder?«

      Ich wackelte vage mit dem Kopf. »Für September ist es ziemlich heiß. Aber Sie blühen doch sonst erst im Nieselregen so richtig auf. Was macht Sie so fröhlich, Merridew? Die Freude quillt Ihnen ja aus allen Knopflöchern.«

      »Hatten Sie nicht vorgestern Geburtstag?«

      »Ja, allerdings. Ein paar Freunde haben mich zum Dinner ins Bianchi’s in der Frith Street entführt, und hinterher sind wir im Gargoyle Club gelandet, einem Tanzschuppen in Soho.«

      »Haben Sie sich davon erholt?«

      »Gerade so. Wo gehen wir hin?«

      Er fasste mich am Arm und lenkte mich mit sanfter Gewalt in die Richtung eines großen Gebäudes, das wohl jeder nur allzu gut kennen dürfte, und vor dessen Eingangstür eine große Menschenschlange geduldig darauf wartete, hineingelassen zu werden.

      »Jetzt kommt mein Geburtstagsgeschenk für Sie, mein alter Knabe.«

      »Madame Tussauds?«, fragte ich ungläubig. »Sie haben doch nicht etwa vor, mich in dieses Wachsfigurenkabinett zu schleppen?«

      Er lachte kollernd. »Das überrascht Sie, was? Nein, nein, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Es soll ja ein Vergnügen für Sie werden.«

      »Ich kann mir wirklich etwas Unterhaltsameres vorstellen, als mir all diese versteinerten Gesichter mit den starren Augen und dem gequälten Lächeln anzugucken.«

      »Ich weiß, ich weiß. Und ich teile Ihre Aversion durchaus, aber heute gibt es für Sie etwas ganz Besonderes!« Er ließ mich nicht los und streckte die Hand mit dem Gehstock nach vorne, den er hin und her schwingen ließ als sei er eine Machete, der Bürgersteig der afrikanische Dschungel und die Passanten gefährliche Schlingpflanzen.

      Zu meiner Überraschung ließen wir die Warteschlange rechts liegen, und er dirigierte mich links in den Allsop Place. Dann ging es rechter Hand in die York Terrace, und nach ein paar Metern passierten wir eine Toreinfahrt und fanden uns in einem großen Hinterhof wieder, auf dem ein paar Autos und Lieferfahrzeuge parkten. Wir befanden uns auf der Rückseite des weltberühmten Wachsfigurenkabinetts.

      »Kein roter Teppich, kein Empfangschef in Livrée, aber dennoch ist es nicht immer ein Abstieg, wenn man den Hintereingang nimmt«, plauderte Merridew fröhlich, während er sich von den zahlreichen Nebeneingängen und Türen eine auswählte, die ihm die richtige zu sein schien. Er öffnete sie, und vor uns führte eine Treppe hinauf.

      »Lord Merridew!«, rief eine junge Frau im weißen Kittel erfreut. »Wie schön, dass Sie es heute einrichten konnten!« Sie hatte ihr malzbraunes Haar zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, der keck auf und ab tanzte, als sie uns auf der Treppe entgegenkam.

      Sie musterte mich und schenkte mir ein strahlendes Lächeln.

      »Mein Freund Nigel Bates hatte jüngst Geburtstag, und er wünschte sich nichts sehnlicher, als bei unserer kleinen Unternehmung Mäuschen spielen zu dürfen.«

      »Dann gratuliere ich noch nachträglich.« Sie reichte mir ihre Hand. »Mein Name ist Cathy Markham. Selbstverständlich darf er zuschauen. Wir wollen ihm doch seinen sehnlichsten Wunsch nicht abschlagen.« Ihr Lachen war bezaubernd wie überhaupt ihre ganze Erscheinung, und ich konnte nicht umhin, mir ihre schlanke Figur unter dem unförmigen Kittel vorzustellen, als sie vor uns die Treppenstufen hinaufstieg. Ich wurde immer begieriger, herauszufinden, welches denn wohl mein großer Geburtstagswunsch war. Eine Ahnung, worum es sich dabei handeln konnte, hatte ich immer noch nicht.

      Wir folgten einigen Gängen, bogen ein paar Mal rechts und links ab, bis wir schließlich in einen Raum eintraten, in dem es chemisch roch. In zahlreichen Regalen stapelten sich Kisten, Körbe, Pakete aus braunem Packpapier, Dosen und Kartons unterschiedlicher Größe. Es gab künstliche Hände, Schachteln voller Glasaugen, Perücken, und auf zwei von mehreren großen Tischen lagen künstliche Körper ohne Köpfe. Wir waren augenscheinlich in der Werkstatt des Wachsfigurenkabinetts gelandet.

      »Mr Anselm kommt gleich«, sagte Cathy und bot uns Sitzplätze an. Zwei ziemlich alte, zerschlissene Sofas waren mit Überwürfen aus geblümtem Vorhangstoff halbwegs einladend hergerichtet worden.

      »Möchten Sie einen Tee?«

      Oh ja, den mochten wir. Und als sie entschwand, um uns diesen Wunsch zu erfüllen, wäre sie in der Tür beinahe mit einem bärtigen Mann im schlabbrigen, gestreiften Pullover zusammengestoßen. Seine Brille hatte er hinaufgeschoben, sodass sie beinahe in seinem lockigen, grau melierten Haar verschwand.

      »Frederick Anselm«, stellte er sich uns mit Handschlag vor. »Schön, dass Sie herkommen konnten. Ich verspreche Ihnen, dass es auch gar nicht wehtut.« Er machte den Eindruck eines zerstreuten Professors. Mit ausgestrecktem Arm dirigierte er Merridew auf einen drehbaren Hocker ohne Lehne. »Es ist wichtig, dass Sie aufrecht sitzen. Das kommt der späteren stehenden Position am nächsten. Hat Cathy Ihnen die Skizzen gezeigt?«

      Merridew verneinte, und Anselm holte einen flachen Karton aus einem der Regale, dem er mehrere Fotografien und ein paar Zeichnungen entnahm, die er auf dem Tisch vor Merridew ausbreitete. »Nun, was sagen Sie?«

      Die Fotos zeigten allesamt meinen Freund in unterschiedlichen Posen. Es waren Pressefotos, die bei verschiedenen Anlässen aufgenommen worden waren. An einige der Ereignisse konnte ich mich sogar erinnern.

      »Hm, man könnte denken, Sie hätten mit Absicht die unvorteilhaftesten Bilder ausgewählt«, sagte Merridew mit einem angedeuteten Naserümpfen. Er sah mich an. »Was meinen Sie, Nigel?«

      Nun, da ich endlich begriffen hatte, worum es bei unserem Besuch ging, lachte ich ihn frech an. Er tat so, als sei es das größte nur denkbare Vergnügen, anwesend zu sein, wenn eine Wachspuppe dieses aufgeblasenen Aristokraten angefertigt wurde. Ich deutete auf eine Bleistiftzeichnung, die den großen, massigen Körper meines Freundes darstellte. Es waren nur die Gliedmaßen und der grob skizzierte Kopf. Er sah aus wie eine aufgeblähte, unbekleidete Schaufensterpuppe. »Das sind Sie, wie Sie leiben und leben. Vor allen Dingen, wie Sie leiben. Dieser Bauch, das Doppelkinn … Das sind Sie, Merridew.«

      Cathy kam mit dem Tee.

      »Für mich zwei Stück Zucker«, sagte ich.

      Merridew wehrte ab. »Ich muss ein bisschen auf mein Gewicht achten.« Das konnte nur ein soeben spontan gefasster Vorsatz sein. Dergleichen hatte ich noch nie von ihm gehört.

      »Kürzlich saß noch Marlon Brando auf diesem Platz«,


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