Dieses viel zu laute Schweigen. Petra Bunte

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Dieses viel zu laute Schweigen - Petra Bunte


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und müsstest dich jetzt nicht mit deinem schlechten Gewissen rumschlagen. Mal ganz abgesehen davon, dass du überhaupt nicht weißt, ob es wirklich einen Zusammenhang gibt.“

      „Hmmm“, murmelte ich unschlüssig. Einerseits klang das logisch, andererseits viel zu einfach. Außerdem war es dafür jetzt sowieso zu spät.

      „Hey“, sagte Nele sanft. „Beruhig dich, Anna-Maus. Manchmal passieren halt mehrere blöde Sachen zufällig auf einmal. Jede Wette, dass dein Lukas sich gerade irgendwo vergnügt und keinen Schimmer von dem Überfall hat.“

      „Ich möchte dir so gerne glauben.“

      „Dann tu es! Und wenn es anders sein sollte, kannst du dir später immer noch den Kopf darüber zerbrechen. Sieh es mal so: Vielleicht musste das alles passieren, damit du endlich deinen süßen Hintern hochkriegst, um den nächsten Schritt bei deinem Traumprinz zu machen.“

      „Na toll. Dann verzichte ich lieber, als so einen Scheiß zu erleben.“

      „Grummel, grummel, grummel“, machte sie. „Ich kann verstehen, dass dich das alles ziemlich fertigmacht. Aber dieses ganze Was-wäre-wenn bringt doch nichts.“

      Ich wusste, dass sie recht hatte, und trotzdem konnte ich nicht damit aufhören. Meine Freundin schien das zu spüren, denn als ihr mein Schweigen zu lange dauerte, sagte sie: „Soll ich zu dir kommen? Ich hab zwar eigentlich gleich ein Telefon-Date mit Timm, aber wenn du willst …“

      „Nein“, unterbrach ich sie schnell. „Ist schon okay, ich komme klar. Ich warte bloß auf eine Nachricht von Olli, und dann versuche ich ein bisschen abzuschalten.“

      Bei diesen Worten kugelte sich tief in mir ein kleines Teufelchen vor Lachen am Boden. Wem wollte ich eigentlich etwas vormachen?

      Nele dagegen kaufte mir mein haltloses Versprechen scheinbar ab, sagte: „Braves Mädchen“, und verabschiedete sich.

      Eine halbe Stunde später war es so weit, dass mir mein Handy die erlösende Nachricht anzeigte. Nur, dass sie nicht wirklich erlösend war, denn Olli schrieb: Alles erledigt, aber mehr kann ich dir leider nicht sagen. Die bei der Polizei haben sich alles angehört, sich bei mir bedankt und werden sich drum kümmern. Bin nicht sicher, ob ich jemals was von denen hören werde.

      Ich schluckte meine Enttäuschung runter und antwortete: Na toll! Also sind wir genauso schlau wie vorher. Hast du nach dem Schlüsselanhänger gefragt?

      Ja. Aber der Typ, mit dem ich zu tun hatte, hatte entweder ein gutes Pokerface oder echt keine Ahnung. Er wird das überprüfen …

      Das sind ja tolle Aussichten. Im schlimmsten Fall liegt Lukas also halb tot im Krankenhaus, und wir kriegen es nicht mal mit? Er hat hier doch niemanden sonst. Soweit ich weiß, ist er von weiter weg hierhergezogen.

      Ja, schrieb Olli. Aber ich werde morgen mal eine Kollegin aus der Personalverwaltung anstiften, dass sie sich bei mir meldet, wenn sie etwas hört. Irgendwer muss die Firma ja benachrichtigen, falls Lukas länger ausfallen sollte.

      Gute Idee, erwiderte ich. Gibst du mir Bescheid, sobald du etwas Neues weißt?

      Natürlich. Du auch? Kann ja sein, dass die Polizei oder ein Verwandter an seiner Wohnung auftaucht. Wenn er es denn überhaupt ist …

      Ja klar, antwortete ich mit einem traurigen Lächeln. Dieser Olli gefiel mir. Er nahm die Sache wirklich ernst, hatte dabei aber so eine praktische Art, statt wie ich kopflos in Panik zu verfallen.

      Nachdem wir uns voneinander verabschiedet hatten, blieb ich einen Moment reglos auf dem Sofa sitzen und beschloss dann, ins Bett zu gehen, auch wenn ich sowieso kein Auge zubekommen würde.

      Ich kannte Lukas kaum. Zwischen uns war bisher nichts gewesen außer diesem unglaublich schönen gemeinsamen Frühstück nach dem Feueralarm und ein bisschen Treppenhausflirterei. Und trotzdem könnte ich es nicht ertragen, wenn ihm etwas zugestoßen wäre. Vielleicht auch deshalb, weil tief in mir ein hauchzartes Zipfelchen meines Unterbewusstseins darauf beharrte, dass ich es hätte verhindern können.

      Die Nacht wurde wie erwartet furchtbar. Statt zu schlafen, lauschte ich auf jedes kleine Geräusch im Treppenhaus, doch nie blieben die Schritte an der Tür nebenan stehen, sondern polterten jedes Mal weiter rauf ins Dachgeschoss.

      Als ich am Dienstagmorgen zur Arbeit kam, war ich wie gerädert. Und ausgerechnet heute hatten wir nach Feierabend eine weitere Schulung für die neue Buchungssoftware. Das perfekte Timing, denn meine Konzentration ging mit jeder Stunde mehr Richtung null. Aber auf wundersame Weise schaffte ich es, auch diesen Tag zu überstehen.

      Zwischendurch schaute ich ständig auf mein Handy und hoffte, dass Olli sich mit Neuigkeiten gemeldet hatte. Doch alles, was er am frühen Nachmittag schrieb, war, dass er bisher nichts gehört hatte.

      Abends um halb zehn hatte ich endlich Feierabend. Auf dem Weg nach Hause versuchte ich vergeblich, meine hoffnungsvolle Erwartung, dass Lukas wiederaufgetaucht sein könnte, zu bremsen und mich gegen die Enttäuschung zu wappnen, wenn es eben nicht so sein sollte. Alles in mir kribbelte vor Nervosität, und sobald unser Wohnblock in Sichtweite kam, suchte ich mit den Augen die Fassade nach den Fenstern von Lukas‘ Wohnung ab. Die zwei außen rechts waren meine und daneben …

      Ich schnappte überrascht nach Luft. Da war Licht hinter einem der Fenster! Vorsichtshalber zählte ich noch einmal nach, aber es war definitiv das vierte Fenster von rechts im zweiten Stock, also die Wohnung von Lukas!

      Schlagartig schoss mein Puls in die Höhe. Am liebsten wäre ich sofort losgerannt, um bei ihm zu klingeln und mich erleichtert in seine Arme zu stürzen. Stattdessen blieb ich wie erstarrt stehen und blickte mit wild klopfendem Herzen weiter nach oben. So ganz traute ich der Sache nicht über den Weg. War das wirklich Lukas da in der Wohnung? Sollte tatsächlich auf einmal alles wieder gut sein? Oder war es vielleicht doch bloß ein Angehöriger, der gekommen war, um ihm ein paar Sachen fürs Krankenhaus zu holen?

      Während ich noch zögerte, tauchte eine Silhouette am Fenster auf, und ich keuchte vor Erleichterung auf. Größe, Statur, Haare – alles, was ich von hier unten erkennen konnte, passte. Das war Lukas! Er war wieder da! Ihm war nichts passiert!

      In Rekordzeit legte ich das letzte Stück bis zur Haustür zurück und schaffte es nur mit Mühe, sie aufzuschließen, weil meine Finger vor Aufregung so stark zitterten. Ich hätte heulen können vor Freude, zwang mich aber, es nicht zu tun. Was sollte Lukas denn denken, wenn ich plötzlich tränenüberströmt vor seiner Tür stand? Es würde schon schwer genug sein, ihm nicht sofort um den Hals zu fallen.

      Ohmeingottohmeingottohmeingott! Er war wirklich wieder da. Die ganze Angst war umsonst gewesen. Völlig überwältigt taumelte ich die Treppe rauf, während auf jeder einzelnen Stufe ein Lukas-ist-da in meinem Kopf herumtanzte.

      Als ich schließlich vor seiner Wohnungstür stand, flatterten unzählige Schmetterlinge in aufgeregter Vorfreude in meinem Bauch herum. Ich freute mich so wahnsinnig darauf, ihn zu sehen. Nur dass das in diesem Fall wenig mit Verliebtheit zu tun hatte, sondern mit der unfassbaren Erleichterung, dass ihm nichts passiert war. Dass die Szene an der Haltestelle kein Nachspiel gehabt hatte und ich deshalb dieses furchtbare Was-wäre-wenn-Karussell in meinem Kopf endlich abstellen konnte.

      Ich atmete tief durch und drückte mit zitternden Fingern auf die Klingel.

      Hinter der Tür hörte ich Schritte näher kommen, dann ein „Hallo?“ und ein leises Fluchen: „Wie funktioniert denn dieses Mistding?“

      Im selben Moment rutschte mir das Herz in die Hose. Das war nicht Lukas. Es war nicht seine Stimme. Außerdem hätte er im Gegensatz zu dem Mann in seiner Wohnung gewusst, wie man die Gegensprechanlage im Flur bediente. Aber wer war es dann? Und wo war Lukas?

      Für einen Augenblick stand ich wie gelähmt vor der Tür und fragte mich, ob es das zu bedeuten hatte, was ich glaubte. Dann hob ich wie in Zeitlupe die Hand und klopfte sacht an die Wohnungstür, um dem Fremden zu verstehen zu geben, dass ich hier oben direkt davor stand. Die Tür öffnete sich, und dahinter kam ein Mann zum Vorschein, der einerseits unglaubliche Ähnlichkeit mit Lukas hatte und andererseits überhaupt


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