666 Der Tod des Hexers. Micha Krämer
Читать онлайн книгу.Hippietussi verheiratet. Was nun so gar nicht passen wollte. Kurzum, sie wurde aus Kübler nicht schlau. So locker wie gerade hatte sie den Typen überhaupt noch nicht erlebt. Vielleicht war da doch etwas dran, dass Leute auf der Arbeit ganz anders waren als in ihrem privaten Umfeld. Andererseits hätte sie aber auch gedacht, dass es in diesen Fällen genau andersherum wäre. Zu Hause der lustige Familienpapa und im Dienst ein aalglatter Beamter. Bei Kübler schien das umgekehrt.
„Magst du einen Kaffee oder ein Wasser?“, fragte er nun sogar. Mit so einem Service hatte sie bei der Kripo nun gar nicht gerechnet.
„Ein Kaffee wäre toll … aber nur, wenn es keine Umstände macht.
„Nee, kein Problem. Mit Milch?“, erkundigte er sich.
Sie nickte und sah ihm hinterher, wie er den Raum verließ. Ihr Blick fiel auf die verspiegelte Wand rechts von ihr. Ob da jetzt jemand dahinterstand und sie beobachtete? War das mit dem Kaffee vielleicht nur ein Trick, um zu sehen, was sie tat, wenn sie alleine im Raum war? Vielleicht hockten da jetzt sogar mehrere Polizeibeamte und begafften sie. Bei dem Gedanken wurde ihr mulmig.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kam Kübler mit zwei Tassen in den Händen und einer Brotdose unter den Arm geklemmt zurück. Er schob Sarika eine der Tassen hin, öffnete den Deckel der Brotdose und bot ihr dann noch einen Keks an.
„Umsorgt ihr eure Gäste immer so?“, fragte sie erstaunt und bediente sich. So ein Keks würde schon nicht schaden.
„Nein, nur die netten“, erwiderte er und zeigte dann auf die Tüte neben ihrem Stuhl.
„Was ist denn in dem Müllbeutel?“
Sarika erklärte es ihm knapp, doch er unterbrach sie bereits nach den ersten Sätzen.
„Okay. Ich denke, darüber reden wir dann offiziell, wenn es so weit ist. Ich starte jetzt erst einmal die Aufnahme und dann legen wir los“, meinte er und wollte bereits auf eine Taste neben dem Mikro drücken.
„Ähm, Thomas, muss ich dich, wenn du das aufnimmst jetzt siezen oder …?“, wollte sie auf Nummer sicher gehen.
Er lächelte.
„Nee, wir sind hier ja nicht in der Politik oder auf der Schauspielschule“, antwortete er und startete dann die Aufnahme.
„Befragung der Zeugin Sarika Zielner. Anwesend KOK Kübler. Sarika, du weißt, dass du hier derzeit lediglich als eine Zeugin vernommen wirst und dass du die Wahrheit sagen musst?“, belehrte er sie.
Sarika schluckte und nickte. Thomas lächelte und deutete auf das Mikro.
„Es wäre hilfreich, wenn du mit Ja oder Nein antwortest, da das Mikrofon dein Nicken nicht hört“, meinte er.
Sie beugte sich vor und sprach langsam und deutlich in das Mikrofon.
„Ja, das habe ich verstanden.“
Dann forderte Kübler sie auf zu erzählen, was an dem Abend vorgefallen war. Von Anfang an. Sarika holte tief Luft und begann an dem Punkt, als sie nach dem in ihren Augen ziemlich verpatzten Auftritt die Open-Air-Bühne verließ. Sie erzählte alles und wurde dabei von Minute zu Minute ruhiger. Kübler machte sich währenddessen eifrig Notizen. Einige Male unterbrach er sie, um nach einer Uhrzeit oder einem Namen zu fragen. Bei den Zeiten war Sarika sich ziemlich unsicher, da sie den ganzen Abend und auch in der Nacht nicht ein einziges Mal auf eine Uhr gesehen hatte. Als Kübler, nach etwas mehr als einer Stunde, die Befragung für beendet erklärte, war sie total erleichtert. Nur wenige Sekunden, nachdem er mit einem weiteren Knopfdruck an dem Mikro die Aufnahme beendet hatte, wurde die Türe geöffnet und Nina trat ein. Sie lächelte und schien zufrieden. Sarika war nun davon überzeugt, dass zumindest sie hinter der verspiegelten Scheibe zugehört hatte.
„Siehst du, Liebes? War doch gar nicht so schlimm“, meinte ihre Stiefmutter und wandte sich dann an Thomas.
„Sandra holt gerade die nächsten zwei Kandidatinnen hoch. Mach du bitte mit Selina Marksdorf weiter, ich bringe Sarika und den Jungen in der Zeit hoch zu Torsten, damit er die beiden erkennungsdienstlich behandelt“, sagte sie und stibitzte sich ebenfalls noch einen der Kekse aus der Plastikdose.
Sarika erschrak bei ihren Worten.
„Wie … wieso, erkennungsdienstlich?“, erkundigte sie sich irritiert.
„Das ist reine Routine. Wir brauchen eure DNA und Fingerabdrücke, um sie mit eventuellen Spuren am Tatort oder an Fabrice abzugleichen“, erklärte Nina ruhig.
„Aber …“, versuchte Sarika einzuwenden, doch Nina fiel ihr ins Wort.
„Sarika, das ist ein ganz normaler Vorgang, deine Daten werden auch nur für diesen Fall gespeichert und anschließend wieder gelöscht. Das kann euch Torsten aber im Labor noch mal genauer erklären.“
Sarika folgte ihrer Stiefmum auf den Flur und erfuhr nun, wen diese mit „dem Jungen“ gemeint hatte.
„Hallo Sarika“, grüßte Leon Balke sie und strahlte irgendwie total begeistert.
„Ach, du“, antwortete sie nicht gerade erbaut. Im selben Moment tat es ihr aber bereits leid, dass sie ihn nicht ein wenig freundlicher begrüßt hatte. Leon war ja im Grunde ganz nett. Ein stiller Typ, der sich, bedingt durch seine Art eben halt wunderbar für das Klassenopfer prädestinierte. Dennoch war er hilfsbereit, stets freundlich und hatte sie in der Nacht nach der Party nach Hause gefahren.
„Danke noch mal fürs Nachhausebringen“, schlug sie deshalb nun direkt mal einen versöhnlichen Ton an.
„Keine Ursache. Hab’ ich gerne gemacht. Lag ja auch auf dem Weg“, erklärte er, während sie Nina die Treppe hinauf in die Etage unter dem Dach der Wache folgten. Das Labor der Kripo war kleiner, als Sarika sich das vorgestellt hatte, und auch überhaupt nicht mit den Kriminallaboren zu vergleichen, die sie aus dem Fernsehen von CSI und den anderen Krimiserien kannte. Kriminalhauptkommissar Liebig, dem sie ebenfalls schon einmal bei der Geburtstagsfeier ihrer Stiefmutter begegnet war, klärte sie noch einmal über ihre Rechte und den Datenschutz auf. Dann nahm er sowohl von ihr als auch von Leon eine Speichelprobe sowie Fingerabdrücke.
„Hui, ihr seid hier ja richtig modern“, rutschte es ihr heraus, als Torsten sie aufforderte, ihre Finger über eine Art Scanner zu rollen.
„Wie meinen Sie das?“, fragte er und schien irgendwie ein bisschen beleidigt.
„Ähm … nee … ich wollte Sie nicht beleidigen oder so. Aber ich hatte tatsächlich gedacht, dass man da erst noch die Finger in Tinte wälzen muss, so wie in den Krimis“, bemühte Sarika sich um Schadensbegrenzung und schielte zu Nina, die am Türstock lehnte und wartete.
Während Leon an der Reihe war, sah Sarika sich um. Auf einem Tisch lagen eine Axt sowie mehrere Pinsel. Auf einem anderen entdeckte sie in einer durchsichtigen Plastiktüte einen dunkelgrauen Rucksack, auf dem sich mehrere Aufnäher von Metal Bands befanden. Daneben lag der Müllbeutel mit ihrer Jacke. Sarika trat näher und betrachtete den Rucksack genauer.
„Der ist von Fabrice“, sagte sie tonlos.
„Ja, das wissen wir“, antwortete Nina und zog sie an der Schulter zum Ausgang.
„Ja, is ja gut. Ich fass hier schon nichts an“, beeilte Sarika sich zu sagen.
„Das hat niemand behauptet“, erwiderte Nina. Sarika sagte nichts, sondern beobachtete Hauptkommissar Liebig, wie er weiter Leons Fingerabdrücke scannte.
„Sag mal, Nina, kann man hier bei euch nicht mal ein Praktikum machen?“, fragte sie aus einer spontanen Eingebung heraus.
Nina sah sie erstaunt an.
„Ich dachte, du wolltest Jura studieren?“
Sarika zuckte mit den Schultern. Den Plan, Jura zu studieren, hatte sie bereits seit der Grundschule. Wobei sie sich mittlerweile nicht mehr sicher war, ob die Idee von ihr selbst stammte oder ihr dies von ihrem Opa und ihrer Mutter seit ihrer Geburt eingeredet worden war. Das Kind studiert Jura, wird Anwältin und übernimmt die Kanzlei