Harzhunde. Roland Lange
Читать онлайн книгу.seinem Weg nach oben gab es mittlerweile jedoch ein Problem, das er nicht mehr ignorieren konnte – Geld!
Eine gewisse Zeit hatte er seinen ausschweifenden Lebensstil und seine kostspieligen Ideen aus dem Erbe der verstorbenen Eltern finanziert. Danach war ihm immer wieder die Bank, dank des guten Leumunds seines Vaters, mit großzügigen Krediten entgegengekommen. Man hatte ihm insbesondere bei der extrem teuren Erweiterung seiner Haustierpraxis zu einer luxuriösen Privatklinik für die kleinen und großen Lieblinge reicher Tierhalter zur Seite gestanden. Zu Anfang. Als seine Pläne immer weiter ausuferten und Zweifel an seiner Kreditwürdigkeit aufkamen, hatten die Verantwortlichen in der Bank die Reißleine gezogen und den Geldhahn zugedreht. Gernot Fischer sah sich gezwungen, das benötigte Kapital bei privaten Kreditgebern zu beschaffen. Einen Gang zurückzuschalten und sein hochtrabendes Leben in finanzierbare Bahnen zu lenken, daran dachte er zu keiner Minute.
Am südlichen Ortsrand von Benneckenstein, im Grenzgebiet der Bundesländer Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, hatte er sich seinen Traum vom naturnahen, aber luxuriösen Leben erfüllt. Ein kleines Hotel, umgeben von einem verwunschenen Wäldchen aus Laubbäumen und Fichten, war von den betagten Eigentümern mangels Nachfolge zum Verkauf angeboten worden. Fischer hatte sich das Hotel für vergleichsweise kleines Geld unter den Nagel gerissen, um dann in großem Stil in den Umbau zu investieren. Das Erdgeschoss wurde zur Tierarztpraxis, das Obergeschoss ließ er zu seiner Traumwohnung ausbauen – modern, mit allen nur möglichen Annehmlichkeiten bequemen Lebens und gleichzeitig heimelig und ländlich robust, mit offenem Gebälk und anderen Blickfängen. Auf einem kleinen Balkon konnte er bei gutem Wetter die Natur genießen. Der Wald erhob sich direkt hinter dem Haus, nur ein paar Meter vom Fuß der Edelstahltreppe entfernt, die den Balkon mit dem Erdboden verband. Alles an der Wohnung wirkte harmonisch, kein Einrichtungsdetail stach aufdringlich hervor, sah man von den sündhaft teuren Kunstgegenständen ab, die Fischer glaubte, sich leisten zu müssen. Weniger Ausdruck seines Kunstsachverstands, sondern mehr Zeichen seines Wohlstands. Dann war ihm die Idee mit der Tierklinik gekommnen, deren Fertigstellung und Inbetriebnahme in ein, höchstens zwei Monaten bevorstand.
Wenn er auf den kleinen Balkon hinaustrat, erstreckte sich links von ihm das Dach des neuen Klinikgebäudes. Dort, in dem Neubau, lag seine Zukunft – der Ort, wo demnächst all das Geld zusammenfloss, das er benötigte, um offene Rechnungen zu bezahlen und seinen Lebensstandard zumindest zu halten, wenn nicht gar zu steigern. Er hoffte, die Zeit bis dahin unbeschadet zu überstehen. Seine Schuldner setzten ihm schon genug zu. Lange würde es nicht mehr dauern, bis einer von ihnen die Geduld verlor. Aber er war überzeugt, die meisten seiner Kreditgeber angesichts der neuen Geldquelle zu einem weiteren großzügigen Aufschub des Rückzahlungstermins überreden zu können.
Diese vielversprechenden Aussichten, die tagtäglich seinen inneren Motor am Laufen hielten, beschäftigten ihn, als er von seiner Visite auf einem Bauernhof in Tanne zurückkehrte. Ein Notfall, eine Kuh mit Schlundverstopfung, der er diesen spätabendlichen Ausflug verdankte. Ausgerechnet. Rindviecher gehörten nicht zu seinen bevorzugten Patienten, schon gar nicht nach Praxisschluss! Spätestens wenn es in seiner neuen Klinik rund lief, würde er diese Art Kunden nach und nach abstoßen und die dreckigen, stinkenden Kuh- und Schweineställe den Kollegen überlassen.
Er entledigte sich in der Praxis seines Arztkoffers und seiner übel riechenden Arbeitskleidung und stieg die Treppe hinauf in sein privates Reich. Jetzt schnell unter die Dusche, den Geruch wegwaschen, der nach Stallbesuchen so penetrant an einem haftete, und dann den Abend bei einem erlesenen Roten ausklingen lassen.
Er schloss die Tür hinter sich, steckte mit einem Fuß schon in einer seiner bequemen Cord-Schlappen, da hielt er in der Bewegung inne. Aus dem Wohnbereich drang gedämpftes Licht, und leise Musik aus der Hi-Fi-Anlage hing im Raum. „Viva la Vida“ von Coldplay. Mareikes Lieblingslied. Sie war da? Waren sie nicht erst für morgen verabredet? Sie musste es sich anders überlegt haben, wollte ihn sicher überraschen. Einen Wohnungsschlüssel besaß sie ja. Was er in diesem Moment bedauerte. Solche Überfälle mochte er nicht. Und heute hatte er ganz und gar keine Lust auf seine Freundin. Sie redete ihm in letzter Zeit zu oft von Heirat. Nach einer heißen Liebesnacht war ihm auch nicht zumute. Er brauchte mal wieder Zeit für sich allein!
„Mareike?“
Sie antwortete nicht.
„Mareike!“, rief er noch einmal etwas lauter.
Keine Reaktion.
Er schlappte zum Wohnbereich hinüber. „Hör mal, Schatz, ich finde es ja echt klasse, dass du gekommen bist, aber ...“ Er brach erschrocken ab. Hinter dem Raumteiler erwarteten ihn zwei Männer, die ihm grinsend entgegenblickten.
„Da sind Sie ja endlich, Doktorchen“, grunzte ihm einer der beiden ungebetenen Besucher entgegen. Er saß mit übergeschlagenen Beinen im Sessel, der andere Kerl hatte es sich auf der Couch gemütlich gemacht. „Wir dachten schon, Sie kommen gar nicht mehr.“ Der Mann hielt eine Flasche in seiner Hand. Die setzte er jetzt an den Mund und genehmigte sich einen ordentlichen Schluck daraus. Sein Roter! Der beste Tropfen aus seinem Lager. Er wollte ihn heute Abend selbst genießen!
„Sie ... das ... wer sind Sie?“, stammelte Fischer fassungslos. „Wie ... wie sind Sie hier reingekommen?“
„Wie jeder anständige Mensch“, schaltete sich der Mann auf der Couch ein, „durch die Tür.“
„Aber ...“ Fischer schnappte nach Luft.
„Was? Hast du ein Problem damit? Überhaupt – gibt es hier denn kein anständiges Bier? Schlabberst du etwa nur diese ekelhafte rote Plörre?“ Er warf seinem Partner einen angewiderten Blick zu.
Der quittierte die Geste mit einem breiten Grinsen. „Du hast keine Ahnung, Kumpel“, schnarrte er gemütlich, „das ist ein echter Brunello di Montalcino. Ein ausgesprochen edler Tropfen, habe ich mal gelesen. Und schweineteuer. Unser Herr Tierarzt hat eben Stil. Gibt sich nicht mit einem billigen Feierabendbier ab wie du.“
„Ach, tatsächlich? Ich bin in deinen Augen also ein unkultivierter Bauernlümmel? Willst du das damit sagen?“
„Was suchen Sie hier, verdammt noch mal?“, unterbrach Fischer scharf das Geplänkel der zwei. Wut verdrängte seine anfängliche Angst. Soweit er es überblicken konnte, ging von den beiden Eindringlingen keine unmittelbare Bedrohung aus.
Überrascht wandten sie sich synchron zu ihm hin. „Was wir hier wollen?“, fragte der Weinkenner und musterte ihn gelangweilt. Dann erhob sich aus dem Sessel. Der andere Mann folgte seinem Beispiel und stand von der Couch auf.
Fischer zuckte zurück, als er die beiden Gestalten vor sich stehen sah. In den tiefen Polstern hatten sie relativ harmlos gewirkt, jetzt waren sie zu Riesen herangewachsen, einschüchternd allein schon aufgrund ihrer Größe und der breiten Schultern. Dazu die schwarzen Maßanzüge, die erst jetzt ihre ganze bedrohliche Wirkung auf Fischer entfalteten.
„Wir sind hier, um dich an deine Verpflichtungen zu erinnern, Doktorchen“, knurrte der Weinkenner. „Unser Auftraggeber meint, dass du den Zahltermin über die viele Arbeit, in der du steckst, vergessen haben könntest. Aber er braucht sein Geld dringend zurück. Deshalb hat er uns geschickt. Um dir das klarzumachen.“
Fischer versuchte, den Kloß herunterzuschlucken, der sich in seiner Kehle festgesetzt hatte. Es hätte ihm klar sein müssen, dass einer seiner Geschäftspartner seinen Forderungen auf diese Weise Nachdruck verlieh, wenn es ihm zu bunt wurde. Trotzdem hatte er den Gedanken daran weit von sich geschoben.
„Hört mal, Jungs“, sagte er mit zittriger Stimme und hob beschwichtigend die Hände, „ich weiß ja, dass ich im Verzug bin. Aber im Moment laufen die Geschäfte nicht so rund. Das ändert sich demnächst. Sobald ich die Klinik eröffnet habe, rollt der Rubel. Dann zahle ich eurem Boss den Kredit zurück. Jeden verdammten Euro. Mit Zins und Zinseszins. Mein Wort darauf.“
Der Weinkenner trat auf ihn zu, baute sich direkt vor ihm auf. Wie ein Turm stand er da, musterte ihn von oben herab. „Hör mir mal gut zu, du Würstchen“, knurrte er drohend, „unser Auftraggeber kann nicht warten. Unser Auftraggeber braucht die Kohle. Jetzt!“
„Bitte