Wort für Mord. Sabine Wolfgang

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Wort für Mord - Sabine Wolfgang


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      „Honestly, I don’t understand why people get

      so worked up about a little murder!“

      Patricia Highsmith, Ripley Under Ground

      Der Roman spielt hauptsächlich in bekannten Regionen, doch bleiben die Geschehnisse reine Fiktion. Die Figuren dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über www.dnb.de

      © 2021 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hameln

      www.niemeyer-buch.de

      Alle Rechte vorbehalten

      Umschlaggestaltung: C. Riethmüller

      Der Umschlag verwendet Motiv(e) von 123rf.com

      EPub Produktion durch CW Niemeyer Buchverlage GmbH

      eISBN 978-3-8271-8415-3

      Sabine Wolfgang

      Wort für Mord

      „We are who we pretend to be.“

      Joy Fielding

      Prolog

      Sie sah so friedlich aus, wie sie da lag. Beinahe konnte man meinen, sie machte ein Nickerchen, doch ihre unnatürliche Haltung und der Boden, der sich unter ihrem regungslosen Körper langsam rot färbte, signalisierten etwas anderes. Alles, was in der letzten Stunde von ihm angefasst wurde, säuberte er gewissenhaft mit einem Tuch, das er in seiner Hosentasche aufbewahrte. Ohne zu wissen, wohin ihn der heutige Abend führen würde, hatte er es mit eingepackt. Zwei Mal ging er seine eben vollführte Tat gedanklich durch, marschierte den Weg exakt wie vorhin noch einmal entlang und verwischte gewissenhaft die Spuren seiner Tat, ja seiner Existenz. Immer wieder ertappte er sich dabei, einen Blick auf den leblosen Körper zu werfen und zu überprüfen, ob da nicht doch noch letzte Anzeichen von Leben in ihm schlummerten. Aber da war nichts mehr, was ihn zittern lassen musste.

      Mehrmals vergewisserte er sich, nichts Verdächtiges zurückgelassen zu haben, um die Ermittlungen nicht in seine Richtung zu lenken. Doch außer seinem Schlüssel und seinem Tuch hatte er nichts bei sich, was ihm unabsichtlich aus der Tasche hätte gleiten können. Ein letztes Mal speicherte er das Dokument und klappte den Laptop halb zu, ganz wie sie ihn vorhin zurückgelassen hatte – freilich mit seinem Tuch über der Hand. Beim Anziehen seiner Schuhe warf er einen erneuten Blick auf den Leichnam. Er war zu jenem Zeitpunkt der Einzige, der über die Information verfügte, dass sie nicht mehr am Leben war. Das Medienecho, das Wien und das Land ab morgen erreichte, würde enorm sein.

      Kurz vor dem Gehen legte er eine letzte Kontrollrunde ein. Seinen Blick für Details und das akribische Vorgehen in Kombination mit präziser Vorausplanung – gerade so, als würde man beim Schachspiel mit einem finalen Zug das Schicksal seines Gegners endgültig besiegeln – hatte er von ihr gelernt. Geradezu zwingen musste er sich dazu, den Ort des Verbrechens nun zu verlassen, bevor er seiner Akribie zum Opfer fiel. War er erst einmal aus ihren eigenen vier Wänden verschwunden, gab es kein Zurück mehr. Nie mehr wieder würde er in ihr Reich eindringen können, um ihre Energie aufzusaugen und Kraft für den ohnehin so farblosen Alltag zu tanken. Dass er sein Leben nun ohne sie bestreiten musste, kam ihm in diesem Moment zum ersten Mal in den Sinn. Doch seine Erkenntnis währte nicht lange und ging nahtlos in Triumph über, den er sich selbst von ihr nicht nehmen ließ.

      Ein letzter Blick schweifte über die Bilder an der Wand. Tief atmete er ihre Luft und ihr letztes Lebenselixier ein, pausierte kurz, als seine Lungen prallvoll waren, und stieß dann alles aus, was in ihm steckte, auf dieselbe Weise, wie sie kurz zuvor ihren letzten Atemzug ausgehaucht hatte. Mit seinem Tuch über die rechte Hand gestülpt, öffnete er die Türe so vorsichtig und langsam, wie es in seiner Macht stand. Nachdem sich ein Spalt in die Welt da draußen öffnete, hielt er inne und horchte, ob sich davor etwas regte. Doch alles war friedlich und ruhte in sich. Ein stilles, vornehmes Haus, das ihn in Ruhe seine so wichtige Arbeit verrichten ließ. Genauso bemühte er sich wiederum, so leise wie möglich zu agieren und niemanden zu stören.

      Nach einem finalen Blick zurück in ihre Welt, auf alles, was sie hinterlassen sollte, schloss er die Türe hinter sich, verharrte kurz davor und machte sich schließlich auf den Weg. Er bewegte sich behutsam und doch zügig fort, unter Druck, jedoch gefasst und auch weiterhin auf jedes Detail achtgebend. War er in Eile, vergaß er dennoch nicht auf die so wertvolle Genauigkeit, die er in entscheidenden Situationen an den Tag zu legen hatte.

      Nicht ohne den Blick in Richtung des sich vorhin dort befindenden Igels zu werfen, marschierte er zum Ausgang. Beinahe fühlte er sich bemüßigt, langsamer zu werden und dem stacheligen Tier größere Aufmerksamkeit einzuräumen, doch er ließ widerwillig davon ab. Stattdessen ging er zum Tor, durch das er wieder in die Welt da draußen gelangen würde. Wahllos drückte er eine Nummer bei der Gegensprechanlage. Nun spürte er zum ersten Mal seinen Puls im Hals pochen und eine kurze letzte Aufregung darüber, ob er die Anlage problemlos würde verlassen können. Der Summerton meldete sich. Erleichtert öffnete er die Tür hinaus in die nebelverhangene Stadt. Er war frei.

      Kapitel 1 – Das Porträt

      November 2009

      Das Bild an der Wand erinnerte ihn an sie, obwohl es sich um das Porträt einer Unbekannten handelte. Einer Dame, der er nie begegnet war und der er sich doch verbunden fühlte. Er hatte das Gemälde im Sommer vor vielen Jahren in einem Antiquitätenladen im 6. Wiener Gemeindebezirk erworben, den ein älterer Herr aus Sammlerleidenschaft betrieb. Per Zufall war er auf das Porträt beim langsamen Vorbeischlendern am Geschäft aufmerksam geworden, kurz nach der Verlegung seines Wohnsitzes nach Wien. Die Augen der Fremden hatten denselben Ausdruck wie ihre, wenn sie konzentriert etwas vorlas, und fesselten ihn schon beim flüchtigen Blick in die Auslage. Die Brauen beschrieben einen harmonischen Bogen und formten den perfekten Rahmen eines in sich stimmigen Bildes. An der Fensterscheibe stehend, hatte er das Porträt theoretisch bereits erworben, ohne den Preis dafür zu kennen. Normalerweise würde er nie etwas kaufen, was er nicht vorher mindestens für ein paar Tage überdachte, doch dieses Mal brauchte er die für ihn übliche Planung nicht. Er stand unter Zwang, das Gemälde zu erwerben, da es ihn an sie erinnerte.

      Jakob Primm war ein unauffälliger Mann. Er hatte ein Gesicht, das man leicht wieder vergaß, ohne es überhaupt erst wahrgenommen zu haben. Selbst in seinem Wohnhaus in Wien Margareten kannte man ihn kaum, obwohl er dort seit 13 Jahren lebte. Seine Mutter drängte darauf, nach der Erbschaft jener Wohnung von ihrem verstorbenen Onkel unter allen Umständen hierhin zu ziehen. Für ihn kam der Zeitpunkt des Ortswechsels damals im idealen Moment, da er gezwungen war, Tattendorf so schnell wie möglich zu verlassen. Er fand sich damit ab, Wien als seinen Lebensmittelpunkt zu definieren, und vermisste das Landleben in keiner Sekunde seiner Existenz. Hier genoss er eine Anonymität, die es in der Stadt vorzüglich auszuleben galt. Er vermied es, den Bewohnern desselben Wohnhauses in die Augen zu blicken, um sich weiterhin in seinem Inkognito-Dasein zu suhlen. Er schaffte es, sich nicht in den hausüblichen Klatsch und Tratsch einzumischen, unerkannt durch das Stiegenhaus zu schleichen und auf diese Weise seine Privatsphäre zu wahren. Genauso gelang es den anderen Bewohnern des Hauses, über Jakob Primm hinwegzusehen.

      Schon seit vielen Jahren war er nicht mehr im Arbeitsleben tätig und ergötzte sich seither daran, seinen eigenen Tagesablauf zu kreieren, indem er sich intensiv seiner Wohnung und Literatur widmete. Doch was sich genau hinter den Mauern seiner vier Wände zutrug, war niemandem bekannt.

      Er lebte in einem Haus in der Bärengasse, die die Amtshausgasse mit dem Hundsturm verband. Nur wenige Menschen passierten diese kleine Gasse, die meist auf die nächstgrößeren Straßen auswichen, um von A nach B zu gelangen. Insofern lebte er stadtzentral, doch in einer absoluten Ruhelage. Supermarkt, Bäcker, Post und Apotheke befanden sich allesamt in kurzer Gehdistanz. Auch ein kleiner Park (Am Hundsturm) war zur Stelle, wenn ihn doch einmal das Gefühl packte, sich ins Freie zu setzen und Menschen zu beobachten, die ihre Hunde Gassi führten. Längst


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