Sperrgebiet!. Susanne Klein

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Sperrgebiet! - Susanne Klein


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      Zur Abklärung weiterer Indizien machte ich mich auf den Weg, im untersten Geschoss des Präsidiums persönlich mit Carlo Seitz zu sprechen. Ich nahm an, ihn zu dieser frühen Stunde dort anzutreffen, da er die Nacht nicht in der Wahner Heide, sondern mit der Leiche in der Gerichtsmedizin verbracht hatte. Auch er war im Februar auf der Karnevalsveranstaltung dabei gewesen und wir kannten uns flüchtig. Ich stellte fest, dass er ohne seinen voluminösen Gesamtkörperkapuzenanzug, den er bei Einsätzen trug, verdammt gut aussah. Gestern und zum damaligen Zeitpunkt hatte ich nicht darauf geachtet. Auf der Weiberfastnachtsfeier hatte er seine Freundin im Schlepptau. Sie war unvergleichlich schön und trug ein sehr gewagtes Kostüm, das ihren Rücken bis zur Pofalte freilegte und die anwesenden Männer unruhig hatte werden lassen. Carlo konnte einem nur leidtun, weil er jeden der unzähligen Flirts seiner Lebensgefährtin an diesem Abend mit ansehen musste – bis hin zum finalen Kuss mit einem Kollegen von der Sitte, mit dem sie dann auf Nimmerwiedersehen verschwand.

      „Hi Sara, schön Dich zu sehen.“

      „Hallo Carlo. Sorry, wenn ich störe. Frank schickt mich. Er wollte wissen, ob Du schon irgendwas Verwertbares oder Ergebnisse hast.“

      Seine Miene verfinsterte sich sofort und er wurde ernst: „Nein, nicht wirklich. Wir haben nur wenige Anhaltspunkte, die muss ich aber noch auswerten und zusammenfassen. Allerdings sind wir sehr sicher, dass es sich bei der Toten um Lena Grimm handelt. Die Beschreibung passt zu 99%.“

      Er hatte zwar zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts Konkretes für mich, aber er lud mich ein, gelegentlich abends ein Bier mit ihm zu trinken. Vielleicht ließe sich dann über das ein oder andere reden. Er zwinkerte mir zu und lächelte dabei schelmisch. Seine Einladung überraschte mich. Und noch mehr, dass ich ihm zusagte. Einfach so.

      Auch ohne den erhofften Durchbruch machte ich mich sofort an die Überprüfung der alten Vermisstenfälle und konnte dabei zumindest eine unübersehbare örtliche Verbindung zu unserem Knochenfund „Heidi“ herstellen. Das war nicht schwer und das Auffallendste an den beiden Frauen. Zunächst ließ ich das Papier auf mich wirken und starrte die wenigen Informationen an, die wir hatten. Der Fundort ihrer Knochen lag zwar genau entgegengesetzt, aber Luftlinie nur etwa 1800 Meter entfernt von dem Parkplatz, auf dem der Mini von Lena Grimm verlassen gestanden hatte. Also in etwa dort, wo man gestern die Leiche fand. Mir fehlte im Moment die Phantasie, die wenigen vorhandenen Spuren weiterbringend zu lesen und deren Schnittmenge zu ermitteln. Ich sollte auf keinen Fall anfangen zu spekulieren – nicht zu diesem frühen Zeitpunkt. Wahrscheinlich würden wir viele Puzzlestücke sammeln und sie mit Weitsicht und der nötigen Geduld zusammenführen müssen. Meine Gedanken sollten neutral bleiben, um Fakten und Annahmen nicht zu vermischen. Im Fall „Heidi“ hatte der Bestatter mir telefonisch bestätigt, dass er anhand der Becken- und der Größe der gefundenen Fingerknochen das Geschlecht eindeutig als weiblich hatte festlegen können. Aufgrund der vor der Verbrennung gut erhaltenen Qualität ihrer Knochen wusste man, dass der Körper der Frau komplett ausgebildet war und sie älter gewesen sein musste. Sprach das für ein sexuell geprägtes Verbrechen? Wohl eher nicht! Allerdings hatte Frank mal in einer internen Besprechung darauf hingewiesen, dass an sexuellen Phantasien nichts auszuschließen sei. Sexualstraftäter ließen keine Perversion aus, ihren Trieb auszuleben und eine Befriedigung herbeizuführen. Das Alter ihrer Opfer spielte dabei nicht selten überhaupt keine Rolle oder es war eben genau der Kick, den sie suchten.

      Die wenigen, in der näheren Umgebung gefundenen Kleidungsreste, oder besser gesagt, die vergammelten Fetzen aus Wolle, die davon übriggeblieben waren, schienen von guter Qualität gewesen zu sein. Vielleicht Cashmere. Es war aber nicht sicher, ob sie zur Leiche gehörten, denn eigentlich verrotten Naturfasern relativ schnell. Der Ehering war aus Platin und hatte auf seiner Kante insgesamt 26 Diamanten – ein sehr hochwertiges Stück und äußerst kostbar. Das sah ich, ohne dass ich das beauftragte Gutachten von einem Juwelier vorliegen hatte. Sollte es sich also um ein Verbrechen handeln, konnte ein Raubmord ausgeschlossen werden. Kenner jedenfalls hätten den Ring mitgenommen und notfalls dafür den tragenden Finger geopfert. Auf den zweiten Blick gab es außer dem Fundort keine weiteren erkennbaren Parallelen zwischen dem ersten Fund und Lena Grimm. Dass man auch bei ihr keine Handtasche gefunden hatte, war wohl eher Zufall. Vielleicht ließe sich aus dem privaten Umfeld von Frau Grimm und der geplanten Befragung ihres Vorgesetzten im Fitness-Studio etwas Besseres herleiten. Dafür musste allerdings unzweifelhaft feststehen, dass es sich um Frau Grimm handelt. Meine Aufgabe würde jetzt darin bestehen, Oliver Neyer über die Notwendigkeit seiner Aussage zu informieren und ihn zu bitten, die Leiche in Köln zu identifizieren. Dadurch erhofften wir uns, seine inoffizielle Vernehmung so unauffällig wie möglich aussehen zu lassen und keinerlei Formalien eingehen zu müssen. Denn für eine formelle Befragung gab es bislang keinen ausreichenden Anfangsverdacht. Spät am Nachmittag informierte mich Andreas, dass er und Frank mit einigen Kollegen noch mal zum Schauplatz fahren würden, um mit der Hundertschaft aus Brühl eine Abschlussbesprechung zu machen, bevor alle wieder abziehen würden und das gesperrte Gebiet freigegeben werden konnte. So nahm ich mir vor, zunächst die Stellung im Präsidium zu halten und weiter zu recherchieren.

      Um mir für den Abend die nötige Vitalität zu holen, ging ich nach unten und stöberte durch die Abendkarte unserer Kantine. Sabrina lächelte mich unter ihrer weißen Haube an und empfahl mir das rheinische Traditionsgericht schlechthin: Sauerbraten. Da er nicht vom Pferd war, nahm ich eine Portion und setzte mich an den Fensterplatz, der die letzten Sonnenstrahlen für heute durchscheinen ließ. Hinter der Scheibe wurde es mir wohlig warm und mein Abendessen schmeckte köstlich. Was für ein Glück wir mit unserer Firmenkantine hatten. Das Essen war immer frisch, abwechslungsreich und lecker. Und ich hatte einen guten Platz erwischt, weiter über unsere beiden Toten nachzudenken.

       SIEBZEHN

      Ich hatte mir noch einen Espresso gegönnt und kramte in jedem Winkel meines Hirns nach möglichen Verbindungen der beiden Frauen. „Heidi“ war aufgrund der aktuellen Entwicklungen zwangsläufig zunächst in den Hintergrund gerückt, während die tote Lena Grimm natürlich sehr präsent war. Beide gaben mir nicht die Ruhe, hier unten weiter zu grübeln und doch zu keinem Ergebnis zu gelangen. Wie ein magnetischer Gegenpol zog mich mein Schreibtisch zurück. Ein eventueller Zusammenhang der beiden Funde schwang logischerweise mit und hatte das komplette Dezernat mobilisiert, noch einmal nach Spuren zu suchen. Die jüngste Leiche stand ab jetzt im Mittelpunkt und forderte die uneingeschränkte Aufmerksamkeit aller. Aufgrund meiner Funktion, war meine Anwesenheit an den Orten der Geschehnisse nicht erforderlich, was ich einerseits beruhigend empfand, da mir einiges an grausamen Wahrheiten erspart blieb. Andererseits nahm es mir in meinen Gedanken jede Realität und meine Intuition war auf nicht immer steuerbare Phantasien reduziert. So genoss ich diesen eher seltenen Moment der Einsamkeit im Büro und widmete mich ganz meiner Aufgabe im Innendienst, während die anderen draußen am Schauplatz waren. Beinahe in Echtzeit erreichten mich Notizen und Informationen von dort, die ich überprüfen sollte.

      Die Beschreibung des Opfers passte tatsächlich sehr konkret zu Lena Grimm. Aktuelle Fotos gaben das wieder und hätten eigentlich für die Wiedererkennung ausreichen können. Aber das Gesetz sah entweder die Identifikation durch eine volljährige Person oder die DNA der Leiche vor. Es wäre für uns ein leichtes gewesen, ihren genetischen Fingerabdruck zu erheben. Wir hätten nur die Haar- oder Zahnbürste aus ihrer Wohnung auswerten lassen müssen. Aber Andreas und Frank wollten die Konfrontation mit Herrn Neyer, um sein Verhalten zu bewerten und es mit in die Untersuchungen einfließen zu lassen. Die Aufnahmen, die ich von meinem Smartphone inzwischen auf den PC geladen hatte, zeigten Lena Grimm kurz vor ihrer geplanten Reise. Sie sah strahlend schön aus und wirkte sehr glücklich. Die Bilder vom Fundort schafften es nicht, diese Schönheit zu verbergen. Wenn man die aktuellen körperlichen Spuren ihrer Verwesung ausblendete, konnte man selbst an dem geschundenen Körper ihr einstmals gutes Aussehen erahnen. Sie musste über einen hervorragenden Body-Mass-Index-Wert verfügt haben, der mich neidisch werden ließ. Ihr Hobby war offensichtlich gleichzeitig ihre Berufung gewesen. Sport war ihr Leben und ihre Leidenschaft gewesen.

      Der Geschäftsführer des Studios, in dem sie bis zu ihrem Verschwinden nebenbei gearbeitet und Fitness- sowie Gymnastikkurse gegeben hatte, war noch nicht erreicht


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