Sperrgebiet!. Susanne Klein
Читать онлайн книгу.fragst Du?“
Ich informierte ihn über den Anruf des Fitness-Studios auf der Wache in Siegburg und ließ durchblicken, dass wir wichtige Zeit verloren hatten.
„Okay, weil Du es bist. Ich ziehe den Mini vor und wenn Spuren zu finden sind, hast Du spätestens übermorgen meinen Bericht.“ Klang vielversprechend.
Damit das Dokument keine Umwege nehmen musste, sicherte ich zu, es persönlich bei ihm abzuholen.
Nach dem Gespräch erstellte ich einen Bericht und fasste für die am Nachmittag anberaumte Besprechung im Präsidium die Fakten in aller Kürze zusammen. Im Ergebnis war auch hier festzustellen, dass wirklich sehr viel und für die Ermittlungen äußerst wichtige Zeit verstrichen war, und wir vor allem dadurch aktuell mehr oder weniger null verwertbare Informationen zur Verfügung hatten.
Hinweise ergaben sich aus diversen Benachrichtigungen der Deutschen Post über vergebliche Zustellungsversuche, die der Hausmeister aus einem inzwischen überfüllten Briefkasten gefischt hatte. Die dazugehörenden Schreiben und Pakete lagen in der Postfiliale in Lohmar. Darunter war auch ein Einschreiben der Uni, in dem der Eingang ihrer Studie offiziell vom Leiter des Lehrstuhls bescheinigt wurde. Doch der Briefträger hatte, nach dem Scheitern der persönlichen Übergabe, das Dokument inzwischen als nicht zustellbar an den Absender zurückgeschickt. Das zuständige Sekretariat der Uni meldete sich kurz danach auf einer der Polizeidienststellen und machte im Zusammenhang mit der öffentlichen Suche nach Lena Grimm Meldung über die erfolglose Aushändigung und die nicht Wiederaufnahme ihrer Arbeit auf dem Campus – was nun tatsächlich auf ein unfreiwilliges Verschwinden der Vermissten hindeutete.
Um zu klären, von wo aus das Dokument der Uni zugegangen war, rief ich dort an und ließ mich mit Frau Huber, den Namen konnte ich unserer elektronischen Akte entnehmen, verbinden. Nach dem Austausch der üblichen Vorstellungshöflichkeiten fragte ich: „Wie hat Ihnen Frau Grimm ihre Ausarbeitung zukommen lassen?“
„Sie hat sie persönlich hier abgegeben – auch, um sich von uns zu verabschieden. Sie wollte ja länger verreisen.“
„Wann war das?“
„Da muss ich kurz nachsehen. Möchten Sie dranbleiben?“
„Ja, gerne.“ Ich nutzte die Warteschleifenmusik für ein kleines Sitztänzchen und erschrak, als Frau Huber sich wieder meldete.
„Frau Lange?“
„Ja, ich bin noch da.“
„Frau Grimm war am 1. März bei uns und hat den Umschlag abgegeben. Auf die schriftliche Eingangsbestätigung wollte sie nicht warten. Die haben wir dann versucht, ihr postalisch zuzustellen. Aber das wissen Sie ja bereits.“
„Könnten Sie uns eventuell ein aktuelles Foto von Frau Grimm zusenden?“, fragte ich vorsorglich. Man wusste ja nie, wofür es gut sein konnte.
„Klar, wir haben Jahrgangsbücher. Die Bilder sind meistens sehr aktuell. Ich maile Ihnen den Auszug zu.“
„Ok, haben Sie vielen Dank.“
„Keine Ursache.“
Ich trug die spärlichen Ergebnisse meiner Recherchen in unserem Meeting vor und wies meine Kollegen darauf hin, dass die Spurensicherung ihren Bericht spätestens übermorgen vorlegen und ich im Anschluss meine Zusammenfassung per Mail an alle Anwesenden versenden würde. Noch während ich sprach, nahm ich mir vor, auf meinem Heimweg heute Abend am Fundort des Wagens einen Stopp einzulegen, um mir die relevante Region aus der Nähe anzusehen. Andreas hatte mir einmal erklärt, dass unter Umständen der Spirit eines Ortes bei der Wahrnehmung von Eindrücken helfen konnte. Ihm hätte sich so schon manches Mal eine virtuelle Leinwand geöffnet, die einen freieren Blick auf mutmaßliche Ereignisse ermöglichte.
ZWÖLF
Ich hielt auf dem Parkplatz und versuchte möglichst unauffällig meinen Mini genauso abzustellen, wie der von Lena Grimm bei seinem Auffinden gestanden hatte, um eine Art Duplizität der Ereignisse herbeizuführen. Allerdings wirbelte ich schon bei meiner Ankunft viel Staub auf, als ich im ersten Gang über den nicht vorhandenen Belag holperte und die gewünschte Parkposition einnahm. Das Gelände war nicht geteert und hier und dort waren entstandene Schlaglöcher mit Schotter oder Sand gefüllt, dessen Gemisch nun wüstenähnlich durch die sonnige und trockene Luft flimmerte. Dadurch erweckte meine Anwesenheit sofort das Interesse von mehreren Mitarbeitern des Deutschen Roten Kreuzes, die hier regelmäßig die Hobby-Rennradler versorgten und ihnen bei Unwohlsein oder anderen Wehwehchen zur Verfügung standen. Sie warteten auf jeden einzelnen Radfahrer – auch auf diejenigen, die erst nach Stunden eintrudelten. Das war ein festes Abkommen mit dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club und Teil einer sportlichen Absprache mit den Anrainerorten der Wahner Heide, die die Vitalität ihrer Bewohner im Zusammenwirken mit den Krankenkassen förderten.
„Hallo“, grüßte einer von ihnen zu mir herüber.
„Auch hallo.“ Ich ging auf den Bus zu und stellte mich seinen Insassen vor.
Wie sich herausstellte, waren sie über den Knochenfund „Heidi“ informiert und rein vorsorglich zur Aufmerksamkeit veranlasst worden. Vom Vermisstenfall Lena Grimm erfuhren sie jetzt von mir.
„Könnt ihr mich bitte anrufen, wenn ihr euch an irgendetwas erinnert, was in der letzten Zeit auffällig war? Natürlich auch, wenn heute noch etwas passiert oder anders ist, als sonst.“
„Was meinst Du mit ‚wenn heute noch etwas passiert‘?“, fragte der junge Mann auf dem Beifahrersitz und blickte provozierend zu seinem Kumpel auf dem Fahrersitz. „Es wird ja wohl niemand hier aufkreuzen und sich über das nächste Opfer hermachen, während wir hier sind.“
Er hatte zwar nicht ganz Unrecht, aber seine Zurechtweisung ging mir eindeutig zu weit und so zu tun, als hätte ich die blödeste Frage des Tages gestellt, ziemte sich nicht. Ganz und gar nicht.
„Das meinte ich nicht“, rechtfertigte ich mich trotzdem. „Aber vielleicht fährt hier z.B. jemand mehrfach mit dem Auto vorbei und verhält sich dabei irgendwie auffällig. Oder ihr findet Gegenstände. Egal was, es kann wichtig für unsere Ermittlungen sein. Immerhin wird ein Mensch vermisst. Eine Frau, die in großer Gefahr sein könnte!“ Blöder Schnösel. „Falls vorhanden, lass einfach mal Deiner Phantasie freien Lauf und so lange Du nichts beitragen kannst – halt einfach die Klappe.“ Leider konnte ich mich nicht zurückhalten. Aber es hatte wohl gewirkt.
Er nickte betreten und hatte offenbar mit meiner verschärften Ansage nicht gerechnet und sich zudem eine weitere von seinem Vorgesetzten eingefangen. „War ’ne blöde Frage“, nuschelte er so etwas wie eine Entschuldigung.
Ich zog eine Visitenkarte aus meiner Jackentasche. Zum ersten Mal in meinem gesamten Berufsleben besaß ich eigene und war stolz wie Bolle, endlich eine herauszugeben. Mit der entsprechenden Würde strich ich sie glatt, fühlte sanft über das gestanzte Logo des Polizeipräsidiums und zeigte sie dem Empfänger, als handele es sich mindestens um einen Dienstausweis. Ungewollt zelebrierte ich die geplante Übergabe eine Spur zu feierlich und bemerkte gar nicht, dass sich die Sanitäter nach meiner Zurechtweisung längst abgewendet und wieder anderen Dingen gewidmet hatten. Ich klemmte die Karte hinter den Scheibenwischer des Rettungswagens und tauchte ein in die vollkommen unbeteiligt wirkende Natur.
Nachdem ich ein paar Meter gegangen war und mit jedem Schritt Abstand zu den äußeren Einflüssen gewann, verlor sich das gegenseitige Interesse aller Anwesenden und ich konnte ungestört die milde Frühlingsluft aufsaugen. Und nachdenken. Aus allen Richtungen war munteres Gezwitscher der heimischen Vögel zu hören und der Boden roch wunderbar muffig nach tonhaltigem, altem Erdreich. Mahnende Schilder forderten die Besucher immer wieder auf, das Wegegebot zwingend einzuhalten, um damit das Naturschutzgebiet vor Eindringlingen und sich selbst vor den Kampfmittelresten zu schützen. Sperrgebiet halt. Während ich bei meinem Spaziergang versuchte, die beruflichen Eindrücke der letzten Tage zu sortieren und sie auf den aktuellen Fall zu übertragen, kam mir auf dem engen Trampelpfad eine Gruppe Jogger entgegen und trotz der