Die Wahlverwandtschaften. Ein Roman. Johann Wolfgang Goethe

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Die Wahlverwandtschaften. Ein Roman - Johann Wolfgang Goethe


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drückte Charlotten die Hand und im Auge stand ihm eine Träne.

      Aber der närrische Gast verscheuchte sie gleich. Denn dieser hatte keine Ruh im Schloss gehabt, war spornstreichs durchs Dorf bis an das Kirchhoftor geritten, wo er stillhielt und seinen Freunden entgegenrief: Ihr habt mich doch nicht zum Besten? Tut’s wirklich not, so bleibe ich zu Mittage hier. Haltet mich nicht auf: ich habe heute noch viel zu tun.

      [23]Da ihr Euch so weit bemüht habt, rief ihm Eduard entgegen, so reitet noch vollends herein, wir kommen an einem ernsthaften Orte zusammen, und seht, wie schön Charlotte diese Trauer ausgeschmückt hat.

      Hier herein, rief der Reiter, komm’ ich weder zu Pferde, noch zu Wagen, noch zu Fuße. Diese da ruhen in Frieden, mit ihnen habe ich nichts zu schaffen. Gefallen muss ich mir’s lassen, wenn man mich einmal, die Füße voran, hereinschleppt. Also ist’s ernst?

      Ja, rief Charlotte, recht ernst! Es ist das erste Mal, dass wir neuen Gatten in Not und Verwirrung sind, woraus wir uns nicht zu helfen wissen.

      Ihr seht nicht darnach aus, versetzte er: doch will ich’s glauben. Führt ihr mich an, so lass’ ich euch künftig stecken. Folgt geschwinde nach; meinem Pferde mag die Erholung zugut kommen.

      Bald fanden sich die dreie im Saale zusammen; das Essen ward aufgetragen, und Mittler erzählte von seinen heutigen Taten und Vorhaben. Dieser seltsame Mann war früherhin Geistlicher gewesen und hatte sich bei einer rastlosen Tätigkeit in seinem Amte dadurch ausgezeichnet, dass er alle Streitigkeiten, sowohl die häuslichen, als die nachbarlichen, erst der einzelnen Bewohner, sodann ganzer Gemeinden und mehrerer Gutsbesitzer, zu stillen und zu schlichten wusste. Solange er im Dienste war, hatte sich kein Ehepaar scheiden lassen, und die Landeskollegien wurden mit keinen Händeln und Prozessen von dorther behelliget. Wie nötig ihm die Rechtskunde sei, ward er zeitig gewahr. Er warf sein ganzes Studium darauf, und fühlte sich bald den geschicktesten Advokaten gewachsen. Sein Wirkungskreis dehnte sich wunderbar aus, und man war [24]im Begriff ihn nach der Residenz zu ziehen, um das von oben herein zu vollenden, was er von unten herauf begonnen hatte, als er einen ansehnlichen Lotteriegewinst tat, sich ein mäßiges Gut kaufte, es verpachtete und zum Mittelpunkt seiner Wirksamkeit machte, mit dem festen Vorsatz, oder vielmehr nach alter Gewohnheit und Neigung, in keinem Hause zu verweilen, wo nichts zu schlichten und nichts zu helfen wäre. Diejenigen, die auf Namensbedeutungen abergläubisch sind, behaupten, der Name Mittler habe ihn genötigt, diese seltsamste aller Bestimmungen zu ergreifen.

      Der Nachtisch war aufgetragen, als der Gast seine Wirte ernstlich vermahnte, nicht weiter mit ihren Entdeckungen zurückzuhalten, weil er gleich nach dem Kaffee fort müsse. Die beiden Ehleute machten umständlich ihre Bekenntnisse; aber kaum hatte er den Sinn der Sache vernommen, als er verdrießlich vom Tische auffuhr, ans Fenster sprang und sein Pferd zu satteln befahl.

      Entweder ihr kennt mich nicht, rief er aus, ihr versteht mich nicht, oder ihr seid sehr boshaft. Ist denn hier ein Streit? ist denn hier eine Hülfe nötig? Glaubt ihr, dass ich in der Welt bin, um Rat zu geben? Das ist das dümmste Handwerk, das einer treiben kann. Rate sich jeder selbst und tue, was er nicht lassen kann. Gerät es gut, so freue er sich seiner Weisheit und seines Glücks; läuft’s übel ab, dann bin ich bei der Hand. Wer ein Übel los sein will, der weiß immer was er will; wer was Bessers will, als er hat, der ist ganz starblind – Ja ja! lacht nur – er spielt Blindekuh, er ertappt’s vielleicht; aber was? Tut was ihr wollt: es ist ganz einerlei! Nehmt die Freunde zu euch, lasst sie weg: alles einerlei! Das Vernünftigste habe ich misslingen sehen, das [25]Abgeschmackteste gelingen. Zerbrecht euch die Köpfe nicht, und wenn’s auf eine oder die andre Weise übel abläuft, zerbrecht sie euch auch nicht. Schickt nur nach mir, und euch soll geholfen sein. Bis dahin euer Diener!

      Und so schwang er sich aufs Pferd, ohne den Kaffee abzuwarten.

      Hier siehst du, sagte Charlotte, wie wenig eigentlich ein Dritter fruchtet, wenn es zwischen zwei nahverbundenen Personen nicht ganz im Gleichgewicht steht. Gegenwärtig sind wir doch wohl noch verworrner und ungewisser, wenn’s möglich ist, als vorher.

      Beide Gatten würden auch wohl noch eine Zeitlang geschwankt haben, wäre nicht ein Brief des Hauptmanns im Wechsel gegen Eduards letzten angekommen. Er hatte sich entschlossen, eine der ihm angebotenen Stellen anzunehmen, ob sie ihm gleich keineswegs gemäß war. Er sollte mit vornehmen und reichen Leuten die Langeweile teilen, indem man auf ihn das Zutrauen setzte, dass er sie vertreiben würde.

      Eduard übersah das ganze Verhältnis recht deutlich und malte es noch recht scharf aus. Wollen wir unsern Freund in einem solchen Zustande wissen? rief er: du kannst nicht so grausam sein, Charlotte!

      Der wunderliche Mann, unser Mittler, versetzte Charlotte, hat am Ende doch recht. Alle solche Unternehmungen sind Wagestücke. Was daraus werden kann, sieht kein Mensch voraus. Solche neue Verhältnisse können fruchtbar sein an Glück und an Unglück, ohne dass wir uns dabei Verdienst oder Schuld sonderlich zurechnen dürfen. Ich fühle mich nicht stark genug dir länger zu widerstehen. Lass uns den Versuch machen. Das Einzige, was ich dich bitte: es sei [26]nur auf kurze Zeit angesehen. Erlaube mir, dass ich mich tätiger als bisher für ihn verwende, und meinen Einfluss, meine Verbindungen eifrig benutze und aufrege, ihm eine Stelle zu verschaffen, die ihm nach seiner Weise einige Zufriedenheit gewähren kann.

      Eduard versicherte seine Gattin auf die anmutigste Weise der lebhaftesten Dankbarkeit. Er eilte mit freiem, frohem Gemüt, seinem Freunde Vorschläge schriftlich zu tun. Charlotte musste in einer Nachschrift ihren Beifall eigenhändig hinzufügen, ihre freundschaftlichen Bitten mit den seinen vereinigen. Sie schrieb mit gewandter Feder gefällig und verbindlich, aber doch mit einer Art von Hast, die ihr sonst nicht gewöhnlich war; und was ihr nicht leicht begegnete, sie verunstaltete das Papier zuletzt mit einem Tintenfleck, der sie ärgerlich machte und nur größer wurde, indem sie ihn wegwischen wollte.

      Eduard scherzte darüber, und weil noch Platz war, fügte er eine zweite Nachschrift hinzu: der Freund solle aus diesen Zeichen die Ungeduld sehen, womit er erwartet werde, und nach der Eile womit der Brief geschrieben, die Eilfertigkeit seiner Reise einrichten.

      Der Bote war fort und Eduard glaubte seine Dankbarkeit nicht überzeugender ausdrücken zu können, als indem er aber und abermals darauf bestand: Charlotte solle sogleich Ottilien aus der Pension holen lassen.

      Sie bat um Aufschub und wusste diesen Abend bei Eduard die Lust zu einer musikalischen Unterhaltung aufzuregen. Charlotte spielte sehr gut Klavier; Eduard nicht ebenso bequem die Flöte, denn ob er sich gleich zuzeiten viel Mühe gegeben hatte, so war ihm doch nicht die Geduld, die Ausdauer verliehen, die zur Ausbildung eines solchen Talentes [27]gehört. Er führte deshalb seine Partie sehr ungleich aus, einige Stellen gut, nur vielleicht zu geschwind; bei andern wieder hielt er an, weil sie ihm nicht geläufig waren, und so wär’ es für jeden andern schwer gewesen ein Duett mit ihm durchzubringen. Aber Charlotte wusste sich darein zu finden; sie hielt an und ließ sich wieder von ihm fortreißen, und versah also die doppelte Pflicht eines guten Kapellmeisters und einer klugen Hausfrau, die im Ganzen immer das Maß zu erhalten wissen, wenn auch die einzelnen Passagen nicht immer im Takt bleiben sollten.

      [28]Drittes Kapitel

      Der Hauptmann kam. Er hatte einen sehr verständigen Brief vorausgeschickt, der Charlotten völlig beruhigte. So viel Deutlichkeit über sich selbst, so viel Klarheit über seinen eigenen Zustand, über den Zustand seiner Freunde, gab eine heitere und fröhliche Aussicht.

      Die Unterhaltungen der ersten Stunden waren, wie unter Freunden zu geschehen pflegt, die sich eine Zeitlang nicht gesehen haben, lebhaft, ja fast erschöpfend. Gegen Abend veranlasste Charlotte einen Spaziergang auf die neuen Anlagen. Der Hauptmann gefiel sich sehr in der Gegend und bemerkte jede Schönheit, welche durch die neuen Wege erst sichtbar und genießbar geworden. Er hatte ein geübtes Auge und dabei ein genügsames; und ob er gleich das Wünschenswerte sehr wohl kannte, machte er doch nicht, wie es öfters zu geschehen pflegt, Personen, die ihn in dem Ihrigen herumführten, dadurch einen üblen Humor, dass er mehr verlangte als die Umstände zuließen, oder auch wohl gar an etwas Vollkommneres erinnerte, das er anderswo gesehen.

      Als sie die Mooshütte erreichten, fanden sie solche auf das lustigste ausgeschmückt,


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