Unter Der Sommersonne. Manu Bodin

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Unter Der Sommersonne - Manu Bodin


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Die erste, die die Nummer bekommen hatte, war ihre ukrainische Kollegin, bei der zweiten handelte es sich um eine russische Freundin, die nach Frankreich gekommen war, um an der Westküste direkt am Meer in der Gastronomie zu arbeiten. Svetlana fände es schrecklich, so einen Job zu machen. Sie zog ihren vor, selbst wenn es ihrer Meinung nach noch nicht das war, was zu ihr passte. Der, der ihr zwei Nachrichten hinterlassen hatte, war niemand anderes als Franck… der sich übrigens fragte, warum sie sich so sehr amüsierte. Er hatte ihr mitgeteilt, dass er sich am Treffpunkt befand und dass er hoffte, es ginge ihr gut. Franck betrachtete sie mit einem zärtlichen Blick, Svetlanas sonniges und spontanes Naturell gefielen ihm sehr.

      Sie waren in so manche Gasse eingebogen, bevor sie erschöpft von den unzähligen Anstiegen, die sie hatten bewältigen müssen, an der Basilika angekommen waren. Der Platz war überfüllt. Während des ganzen Wochenendes fand eine Veranstaltung statt, bei der Kunststücke auf dem Skateboard vorgeführt wurden. Eine Menge Bereitschaftspolizisten sorgte durch ihre Anwesenheit für Sicherheit. Zwischen zwei Reihen von Absperrungen hindurch hatten sie den einzigen möglichen schmalen Weg genommen, der während der Veranstaltung den Zugang zu den Stufen des Bauwerks ermöglichte. Um bis zur Eingangshalle zu gelangen, hatten sie um die zögernden Touristen Slalom laufen müssen.

      Im Inneren drängte sich die Menschenmenge. Sie waren gezwungen im Schritttempo zu gehen. Dieses langsame Vorankommen half ihnen dabei, sich von dem anstrengenden Hindernislauf zu erholen, den sie gerade absolviert hatten.

      Obwohl sie nicht gläubig war, wenn es darum ging an die Göttlichkeit Jesus Christus zu glauben – einem Mann, der zum Sohn Gottes erhoben worden war, damit die damalige Obrigkeit den Pöbel besser hatte kontrollieren können – lehnte sie jedoch die Botschaft der Hoffnung, die voller edler Worte und Ideale für die Menschheit als Ganzen und jeden einzelnen Menschen war, nicht ab. Svetlana hinterfragte sich und suchte sich selbst. Sie fragte sich nach dem Wert des Lebens, nach dem Menschsein an sich, nach dem, was für sie am wichtigsten war. Trotzdem gefiel ihr das grandiose Schauspiel, das ihr das Innere bot. Sie hatten gerade die heiligen Hallen eines der letzten Meisterwerke betreten, das vom katholischen Frankreich erbaut worden war und hatten ihren Spaziergang dem Rundgang folgend fortgesetzt. Danach waren sie ins Kellergewölbe gegangen, um die Krypta zu besichtigen. Anschließend waren sie bis zur obersten Spitze hinaufgeklettert.

      Franck hatte beschlossen, sie einzuladen. Wie die meisten Denkmäler, blieb auch dieses Heiligtum nicht davon verschont: um nach oben zu gelangen, musste man seine EC-Karte zücken. Diese kapitalistische Geste ermöglichte es, die Gebäude instand zu halten, die Anzahl der Neugierigen zu begrenzen und, Gipfel des Göttlichen, ein paar Arbeitsplätze zu schaffen. Im Großen und Ganzen war es für einen guten Zweck. Franck hatte also für den guten Zweck zwei Eintrittskarten gekauft. Und vor allem hatte er sie für seine eigenen Zwecke gekauft…

      Eine ausgeklügelte High-Tech-Anlage thronte vor der Kundschaft. Ohne überhaupt mit einem Kassierer sprechen zu müssen, konnte jeder die Zahlung durchführen, um die Eintrittskarten zu erhalten. Eine Modernität, die im Kontrast zu der Jahrhunderte alten Kathedrale stand.

      Svetlana hielt einen Fotoapparat in der Hand. Sie benutzte ihn nicht, was Franck irritierte. Er hatte sie gefragt, ob sie wollte, dass er Fotos von ihr machte. Sie hatte bejaht und ihm die Kamera hingehalten. Sie war sehr fotogen, was den Fotos alle Ehre machte. Franck war sich jedoch bewusst, dass sie sie ihm nicht aushändigen würde. Jeder Fotograf, egal ob professionell oder privat, wollte einen Abzug seiner Arbeit aufbewahren, sei es auch nur in digitaler Form. Auch wenn die Aufnahmen nicht unter professionellen Bedingungen entstanden und mit einer Hobby-Ausrüstung gemacht wurden, war es die Natürlichkeit, die Svetlana auf den Bildern ausstrahlte, die ihm gefiel. Anschließend hatte er sein altes Handy hervorgeholt, dessen Auflösung zu wünschen übrigließ und hatte sein Modell noch einmal in verschiedenen Posen verewigt. Trotz der schlechteren Bildqualität dieses Gerätes, hatte er sich gesagt, dass er wenigstens ein paar Erinnerungen an diesen Tag haben würde, sollte es ihm nicht gelingen, diese junge Frau, die er immer wundervoller fand, wiederzusehen.

      Als sie am Pinakel angekommen waren, hatte Franck wieder viel Zeit damit verbracht, mit Svetlana beim Fotografieren zu spielen. Er betrachtete sie, bewunderte sie und zog die Posen in die Länge. Er betätigte den Auslöser mehrere Male hintereinander. Die Touristen beobachteten sie und mussten darauf warten, dass sie vorbeigehen konnten. Franck bemerkte den Stau nicht einmal, den er verursachte. Er hatte sich in ein geschlossenes Universum zurückgezogen, war hypnotisiert und verzaubert von seinem Motiv. Er leitete sie an, lenkte ihre Gesten und ihr Verhalten. Svetlana fügte sich wie ein braves und gehorsames Modell. Die Anziehungskraft dieses Mädchens wirkte auf Franck wie ein Zauber, der die Kontrolle über seine Gefühle übernommen hatte. Sie hatte ihn ihrerseits durchschaut. Entzückt hatte sie sich von seiner ungewöhnlichen Fantasie mitreißen lassen. Wegen seines Benehmens fand sie ihn galant, freundlich, anrührend und vor allem begehrenswert. Sie war ihm erlegen.

      „Soll er sich doch amüsieren und schauen wir mal, was dabei Gutes herauskommt“, hatte sie gedacht.

      Als Franck zu seinem normalen Verhalten zurückgefunden hatte, bemerkte er auf den ersten Blick den Aufruhr, der entstanden war. Niemand hatte sich getraut, den Mann zu stören, der durch eine künstlerische Trance wie verwandelt war. Die Besucher hatten geduldig gewartet, als hätten sie einem Straßentheater zugeschaut. Franck hatte peinlich berührt gelächelt. Mit einer Handbewegung hatte er ihnen zu verstehen gegeben, dass sie nun weitergehen konnten.

      Während Svetlana auf ihn zuging, hatte sie ihm gesagt, dass er sich wie ein ungezogener Junge benommen hätte, weil er all diese Leute aufgehalten hatte. Von jetzt an, müsste sie sich vor ihm in Acht nehmen.

      Franck hatte ihr die Kamera zurückgegeben. Er hatte ihr geantwortet, dass sie ein sehr schönes Andenke an diesen Ort haben würde und dass es gefährlich werden konnte, ihm diese Art von Ausrüstung in die Hände zugeben, vor allem, wenn sich das Modell der Aufgabe so aufmerksam widmete. Franck hatte ihr bestätigt, dass sie sich auf den Bildern sehr gut machte. Das Posieren vor dem Objektiv machte ihr Spaß. Es könnte interessant für sie sein in Markenkleidung für Modezeitschriften zu posieren, wenn ein professionellerer Fotoapparat benutzt wurde, der qualitativ hochwertige Bilder machte.

      An so etwas hatte Svetlana noch nie gedacht. Sie hatte ihm geantwortete, dass sie darüber nachdenken würde.

      „In der Zwischenzeit räume ich die Kamera in meine Tasche“, hatte sie hinzugefügt.

      Nachdem sie die Besichtigung beendet hatten, hatten sie zwei Touristen vor dem Gebäude angesprochen. Sie hatten auf Englisch gefragt, auf welche Weise sie das Eintrittsgeld zahlen konnten, um die Türme von Sacré-Cœur besichtigen zu können. Bar oder mit Karte?

      Franck hatte nichts von ihrer Frage verstanden. Als guter Franzose, der etwas auf sich hielt, sprach er nur die offizielle Landessprache. Svetlana hatte ihn mit ihren großen blauen Augen gemustert und zärtlich gelächelt, als Franck geantwortet hatte: „Sorry, I don’t speak english“. Er war bereits weitergegangen, während Svetlana stehen geblieben war. Sie hatte Franck die Frage übersetzt, so dass er sie verstehen konnte. Er hatte sich umgedreht und war erstaunt, als er sah, dass sie immer noch neben den beiden Touristen stand. Er war wieder zu ihnen zurückgegangen, um zu berichten, was er vorher gesehen hatte: es gab einen Automaten, um mit EC-Karte zu zahlen und einen Schalter mit Kassierer, an dem Bargeld angenommen wurde. Svetlana hatte den Satz direkt im Anschluss übersetzt, wobei Franck sie gebannt betrachtet und festgestellt hatte, dass sie Englisch noch besser sprach als Französisch. Die Entdeckung, dass diese junge Frau mit gerade mal 20 Jahren drei Sprachen sprach, faszinierte ihn. Er hatte ihr deshalb mitgeteilt, dass es in ihrer Begleitung unmöglich wäre, sich im Ausland zu verirren, denn sie sprach Russisch, Englisch und Französisch. Sie hatte ihm scherzend geantwortet, sie wisse, dass sie die perfekte Frau sei. In dem Fall sollten sie eine gemeinsame Reise planen. Franck hatte nachgedacht, überrascht von dieser Reaktion. Dieser Vorschlag konnte auf keinen Fall ernst gemeint sein. Deshalb hatte er das nicht weiterverfolgt.

      Zu diesem Zeitpunkt wusste Franck noch nicht, dass Svetlana bereits Tickets gekauft hatte, um in den nächsten Tagen nach Belgien und in die Niederlande zu fahren. Ein Kurzurlaub, der aber für Svetlana, die Europa entdecken wollte, wichtig war. Sie dachte,


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