Der feine Unterschied. Philipp Lahm

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Der feine Unterschied - Philipp Lahm


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zweitens hat er die Chance, beim Cheftrainer ein Gesichtsbad zu nehmen, und wer weiß, vielleicht, eines Tages …

      Eines Tages sind bei den Profis gerade einmal sieben Spieler und zwei Torhüter anwesend. Alle anderen sind bei ihren Nationalmannschaften. Ein Assistenztrainer kommt um den Zaun: »Ich brauche einen Spieler, Tiger.« Um zwei gleich große Mannschaften bilden zu können, brauchen sie noch einen Spieler.

      Hermann Gerland, den alle den »Tiger« nennen, zeigt auf mich.

      Wir spielen vielleicht fünf Minuten fünf gegen fünf, als sich ein Spieler verletzt und in die Kabine muss. Der Trainer sagt Danke zu mir, aber jetzt braucht er mich nicht mehr.

      Als ich zurück zu den Amateuren gehe, haben die gerade ein Spiel laufen: acht gegen acht. Der Tiger sieht mich und fragt: »Was machst du hier?«

      Ich erzähle, was passiert ist, und frage: »Kann ich mitspielen?«

      »Nein«, sagt Gerland. »Wir brauchen gerade keinen.«

      Es ist schwer an der Schwelle zwischen Amateuren und Profis.

      Eines Tages fragt mich Markus Husterer, ob ich schon einen Berater habe. Markus ist mit 15 zum FC Bayern gekommen. Wir haben uns auf Anhieb verstanden und sind bis heute befreundet.

      »Nein«, sage ich. »Wieso?«

      Markus stellt die Gegenfrage: »Kennst du dich mit Verträgen aus? Weißt du, wie viel der Verein für einen Vertragsamateur bezahlt?«

      Das weiß ich nicht, und mit Verträgen kenne ich mich auch nicht aus.

      Also macht Markus einen Termin mit dem Mann aus, der seit Kurzem sein Berater ist. Wir gehen eine Pizza essen, und ich habe einen ganz guten Eindruck. Der Mann wirkt kompetent und freundlich. Beim nächsten Treffen, denke ich mir, machen wir alles klar.

      Am nächsten Tag beim Training erzähle ich einem unserer Betreuer vom Treffen mit Markus’ Berater.

      »Aha«, sagt der. »Aber hast du schon mal mit dem Roman geredet?«

      Roman, unser Trainer, hat begonnen, junge Spieler zu beraten.

      »Ich mach mal was aus für dich. Sprich mit Roman, bevor du deine Entscheidung triffst.«

      Ich treffe also Roman. Ihn kenne ich schon lange, ich weiß, wie er über Fußball denkt, wie er Fußball spielen lässt. Zu ihm habe ich Vertrauen, und wir werden schnell einig. Wir geben uns die Hand, dann ist er mein Berater. Einen Vertrag brauchen wir nicht. Bis heute gibt es zwischen uns keine schriftliche Vereinbarung.

      Am nächsten Tag rufe ich Markus’ Berater an und sage ihm ab.

      Wenig später bessert Roman den ersten Vertrag, den ich noch selbst abgeschlossen habe, für mich nach. Statt zwei Jahre läuft die Vereinbarung jetzt fünf Jahre, ich verdiene mehr als die ursprünglich vereinbarten 1000 Mark im Monat. Von 2002 bis 2004 soll ich bei den Amateuren in der Regionalliga spielen, Option auf drei weitere Jahre bei den Profis.

      Natürlich ist dieser Vertrag in erster Linie eine Leitplanke für meine Perspektiven. Aber die Perspektive, Profifußballer zu werden, wird immer konkreter.

      Ich habe die Schule mit der mittleren Reife abgeschlossen. Bevor ich jetzt auf einen anderen Beruf losgehe, probiere ich, was im Fußball geht, auch wenn mein wichtigster Lehrer meine Eltern beschwört, mich etwas Handfestes lernen zu lassen.

      Nach dem Meistertitel mit der U 19 spiele ich für die Amateure des FC Bayern in der Regionalliga Süd. Der Trainer setzt mich als rechten Verteidiger ein. Mit mir in der Mannschaft stehen Zwetschge Misimovic, Steffen Hofmann, Hansi Pflügler, Markus Husterer, Markus Feulner, Stefan Wessels. Von Zeit zu Zeit stoßen Profis der ersten Mannschaft zu uns, die entweder ihre Form suchen oder nach Verletzungen Spielpraxis brauchen. Ich spiele eine gute Saison, und dann noch eine.

      Als ich dann Profi beim VfB Stuttgart bin, meldet sich der Lehrer wieder. Er gratuliert meinen Eltern und entschuldigt sich fast dafür, dass er mein Talent, Fußball zu spielen, nicht richtig eingeschätzt hat.

       3. Kapitel

      SCHÖN, DASS DU DA BIST

       Die erste Saison in der Nationalmannschaft

       Nationalmannschaft alt neu – die Rolle des jungen Spielers – wie eine Mannschaft Verantwortung verteilt – warum Deutschland keine guten Freundschaftsspiele spielt – was es heißt, öffentlich verspottet zu werden – was man aus einem verkorksten Turnier lernen kann – was zählt mehr: Niederlage oder gute Leistung? – von wem man echte Bestätigung bekommt – die Kunst, öffentlich Ziele zu setzen

      Zu meinem ersten Treffen mit der Nationalmannschaft fahre ich im Februar 2004 mit dem Zug von Stuttgart nach Frankfurt. Ich teile das Abteil mit Kevin Kurányi und Andreas Hinkel. Die jungen Wilden vom VfB Stuttgart haben in der Nationalelf gerade Konjunktur.

      Im Hotel treffen wir uns mit dem Stamm der Nationalmannschaft. Christian Wörns ist da, Jens Nowotny, Didi Hamann, Michael Ballack. Und natürlich Oliver Kahn.

      »Wahnsinn«, denke ich mir, »der Titan.« Irgendwie jagt mir Oliver Kahn allein durch seine schiere Präsenz einen höllischen Respekt ein. Eigentlich kenne ich ihn ja schon vom Training beim FC Bayern, wenn ich für ein Trainingsspiel von den Amateuren rüber zu den Profis gerufen wurde. Aber da passierte nicht viel mehr als ein höfliches Hallo oder Ciao, und ich versuchte, nichts anzustellen, wofür mich der Titan vielleicht fressen könnte. Jetzt stehe ich mit ihm in der deutschen Nationalmannschaft. Vor sieben Monaten habe ich noch Regionalliga gespielt.

      Ich mache die Runde und begrüße alle. Sehr höflich. Rudi Völler, der Bundestrainer, sagt: »Schön, dass du da bist.«

      Finde ich auch. Danke, Trainer.

      Wenn ich geglaubt habe, dass sich irgendwer um mich als Neuling besonders kümmern wird, habe ich mich getäuscht. Die alten Nationalspieler, die alle schon zig solche Treffen erlebt haben – Anreise, Einchecken ins Hotel, zwei, drei Trainingseinheiten, Reise zum Spielort, Länderspiel, Rückflug, Abreise zu den Klubs –, bleiben untereinander und machen sich den Aufenthalt so gemütlich wie möglich. Es wird viel gelacht. Ich halte mich mit Witzen zurück. Wir jungen Spieler – Hinkel, Hildebrand, Friedrich, Kurányi und ich – hocken beisammen, sind einfach da, sagen nicht viel, tun, was man uns sagt.

      Das Training läuft erstaunlich locker ab. Ich bin natürlich die Philosophie von Felix Magath gewöhnt, der in jeder Trainingseinheit vermittelt, dass Fußball Schwer- und Schichtarbeit ist, aber so locker habe ich die Tage bei der Nationalmannschaft nicht erwartet. Wir laufen ein, zwei Runden um den Platz, um uns warm zu machen, machen ein bisschen Stretching, spielen Kreis, üben Flanken und Torschüsse und fangen nachher ein kleines Spiel an. Mir kommt das so vor, als würden ein paar Kumpels miteinander in die Ferien fahren, um Fußball zu spielen. Nach dem Training sagt keiner was. Die alten Spieler kümmern sich sowieso nicht um die Jungen, Mittelbau ist keiner vorhanden, und der Trainer findet offenbar, dass alles okay ist, wie es ist.

      Wir spielen auswärts gegen Kroatien. Das Spiel findet in Split statt. Wir wissen nicht viel über den Gegner, außer über die Spieler, die wir aus der Bundesliga kennen. Es will aber auch niemand über den Gegner Bescheid wissen, und es gibt auch keine Besprechung, in der eine Taktik festgelegt würde. Die einzige Besprechung, an die ich mich erinnere, ist die, in der Rudi Völler die Mannschaftsaufstellung bekannt gibt. Ich stehe als linker Verteidiger in der Startelf.

      Hammer. Erstes Spiel, und gleich in der Startaufstellung.

      Wir gewinnen 2:1, ich spiele eine anständige Partie, nach dem Spiel kommt der Bundestrainer zu mir, legt den Arm um meine Schulter und sagt: »Klasse, Philipp.«

      Ich sage, was ich in diesen Tagen immer sage: »Danke, Trainer.«

      Auch beim 3:0 im Heimspiel gegen Belgien stehe ich in der Startaufstellung, und im Auswärtsspiel gegen Rumänien erziele ich mein erstes Länderspieltor, allerdings unter prekären Umständen: die Rumänen führen zu diesem Zeitpunkt bereits 5:0. Mein Tor ist also das,


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