Klassiker der Romantik in Poesie und Prosa: Die berühmtesten Werke von Joseph von Eichendorff. Joseph von Eichendorff

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Klassiker der Romantik in Poesie und Prosa: Die berühmtesten Werke von Joseph von Eichendorff - Joseph von Eichendorff


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ein halber Philister, so hilf ihm völlig aus dem tollen Poetenmantel heraus, und ist es rechter Ernst mit seinem Talent, so muß er doch weiter und rennt dich über, wärst du auch der weise Salomo selber.«

      Alle vor dem Hause waren durch den Vorfall gestört, die kleine Gesellschaft sah stumm und kopfhängend auf die Teller. Draußen über den Tälern war es indes schon stiller und dunkler geworden, nur in weiter Ferne sah man zuweilen leichte Blitze über den Bergen schweifen. Die Amtmannin blickte mit heimlicher Besorgnis, wie es schien, bald in das Wetterleuchten, bald nach der Richtung hin, wo Otto verschwunden war, und ging dann, ohne ein Wort zu sagen, in das Haus hinein. Endlich brach der Amtmann ärgerlich die unheimliche Stille. »Es geht auch alles konfus jetzt«, sagte er zu Fortunat, »im Frühling Gewitter, im Sommer kalt, in der Jugend alt und im Alter närrisch! Glauben Sie mir, unsere ganze Zeit jetzt ist gerade wie dieses verrückte Frühlingswetter, die Schwüle brütet und treibt alles vorzeitig hervor, und ich fürchte, es schießt mehr ins Kraut als in die Blüte. Unsere Jungens wissen schon jetzt mehr, als wir jemals erfahren haben, und recken und sehnen sich aus allen Gelenken heraus, während wir in unserer lustigen und gesunden Jugendzeit ohne besondere Sehnsucht hinreichend dumme Streiche machten und erst die fatalen Lümmeljahre überstehen mußten. Ja, es ist recht verdrießlich! Man möchte sich gern bequem, fröhlich, und auf die Dauer einrichten, wie in der guten, alten Zeit, aber der ferne Donner verkündigt überall den unheimlichen Ernst, und so sitzen wir verwirrt, ungewiß und in banger Erwartung vor dem dunklen Vorhang, hinter dem fortwährend Gott weiß, was! unruhig und feurig zuckt.« – Unterdes hatte Walter den verscheuchten Otto im Garten aufgefunden. Empört und in innerster Seele verletzt, saß er wie eine Nachteule mitten im Gestrüpp. Als er Waltern erblickte sprang er rasch auf und kam ihm mit erzwungener, gleichgültiger Höflichkeit entgegen. »Die Tante«, sagte er, »ist gewiß schon besorgt, daß ich draußen nicht den Schnupfen bekomme. Freilich die Nase ist ein empfindlicher Teil, da sitzt die Seele schon tiefer und wärmer, die ficht so leicht nichts an.« – Walter stand einen Augenblick verblüfft, denn es war ihm, als säh er auf einmal sich selber als Studenten vor sich stehn, er war ganz aus seinem Konzept gebracht und ergriff gerührt die Hand des aufgeregten Jünglings. »Ich komme keineswegs«, sagte er endlich, »um das harte, heftige Wesen der Amtmannin zu verteidigen, obgleich es auch nur eine andere, ungeschickte Form der Liebe ist. Das Angedenken meiner eigenen Jugend ist es, was mich herführt, der aufrichtige Schmerz um ein junges, heitres Gemüt, das auf diesem Wege sich immer tiefer und tiefer in der blühenden Öde junger Seelen gar wohl das Heimweh ohne Heimat, diese labyrinthische Selbstquälerei. Sie stehn verlassen auf der Welt, ohne Vater und Mutter – verlangt Sie in dieser Einsamkeit nach einem Freunde, und wollen Sie's mit mir versuchen, so biete ich Ihnen meine Hand bis in den Tod und will raten, schützen, helfen, wo ich kann!« – Otto sah ihn erstaunt an, denn in Walters Worten war jener wunderbare Klang ernster Güte, der überall unmittelbar zum Herzen geht. – »Sie sind im Amte, angesehen, ruhig« – sagte er dann nach einer kurzen Pause. »Und wenn ich Ihnen nun auch erzählen wollte von dem zauberischen Spielmann, der jeden Frühling, wenn der Sonnenschein sich munter über die Felder ausbreitet, aus dem Venusberge kommt mit neuen, wunderbaren Liedern und die Seelen verlockt, von dem in schwüler Mittagsstunde der einsame Vogelsang schallt, von dem die Ströme und Quellen verworren rauschen im Mondschein und die badenden Nixen wie im Traume singen durch die stille, goldne Nacht – Sie würden mich ja doch nur für verrückt halten!« – Walter erschrak fast, so irr und fremd leuchteten die Augen des Jünglings im Streiflicht des Mondes. – »Und ich bin es ja auch in der Tat!« fuhr dieser fort, »bildete mir da ein, dem Zauberstrom von Klängen unversehrt folgen zu dürfen und ein Dichter zu sein, der die Zauber regiert! Aber nun weiß ich's besser. Alle Engel, die durch die erste Dämmerung meiner Kindheit zogen, was ich oft betend heimlich ersehnte und immer und immer vergeblich auszusprechen versuchte: ich fand es heut auf einmal mit freudigem Erschrecken in des Grafen Victors Buch, er hat es kühn, frisch und jung wie eine Zauberinsel entdeckt – und ich weiß nicht mehr, was ich will. – Aber es ist noch immer Zeit, ich bin noch jung. Und wie ich das Buch hier vom Berge in den Fluß hinunterschleudere, so entsag' ich von heut ab der fröhlichen Dichtkunst, der Metze! Und gleich den anderen, die ich verachtet und die so unsäglich besser sind als ich, will ich von heut an allein und ganz der Rechtswissenschaft leben und von den Büchern nicht wieder aufstehen!« – Hier brach er plötzlich in Weinen aus und stürzte wie vernichtet an Walters Brust.

      Beide neuen Freunde schritten nun durch den stillen Garten, nur eine Nachtigall tönte schluchzend in der Ferne. Otto schwieg und schien gefaßter. Walter sagte: er brauche ja darum die Poesie nicht ganz aufzugeben, es bedürfe eines des andern, die Poesie des strengen, ernsten Lebens und das Leben der heiteren Dichtkunst. Aber er fühlte bald, wie albern solcher Trost in solcher Stunde war, und schwieg endlich auch still.

      So kamen sie an das Haus, wo sie die Amtmannin in Angst und Tränen fanden. Sie hatte zuletzt gefürchtet, daß Otto in seiner Heftigkeit sich selbst ein Leids angetan, und fiel nun dem Geretteten mit großer Freude um den Hals, die dieser herzlich erwiderte. »Es ist vorbei«, rief Otto in seiner seltsamen Hast, »ihr habt mich nun ganz wieder, und nächstens, will's Gott, ist Examen!« – Die Gläser gaben einen hellen Klang, und so endigte der Abend noch in Freuden; die fernen Gewitter hatten sich auch verzogen, und der Himmel glänzte mit tausend Sternen über den Versöhnten.

      Fünftes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Aber es blieb nicht lange so ungestört; ein Zufall, Mißverständnis, oder wie sonst der Mensch des Himmels Führung oder sein eigenes Ungeschick nennen mag, stellte unerwartet alles anders auf Hohenstein.

      Es war ein schwüler Nachmittag, die Blätter im Garten rührten sich kaum, der Amtmann war auf der Bank vor der Haustür eingeschlummert, Walter schrieb Briefe im Hause, Fortunat hatte sich mit einem Buche ins Gras gestreckt, und ließ es sich vor der weiten Aussicht gern gefallen, daß die leise Luft ihm das Buch verblätterte. Florentinen wurde ganz wehe in dieser Stille, sie mußte immer etwas zu schaffen haben; so schlich sie sich heimlich nach dem Wald, um für den Abend Erdbeeren zu pflücken, die Walter für sehr gesund hielt, weil er sie gern aß. Fortunat sah sie mit ihrem Körbchen unten aus dem Dorfe gehen, er warf sein Buch weg und folgte ihr, konnte sie aber im Walde nicht wiederfinden.

      Florentine war unterdes, bald sammelnd, bald naschend, von Strauch zu Strauch geschlendert und so unvermerkt an die Ruine der gräflichen Stammburg gekommen. Überrascht sah sie in der Einsamkeit an den halbzerfallenen Mauern, Toren und Fensterbogen empor; steinernes Bildwerk, das von der ehemaligen Pracht zeugte, lag im hohen Grase zerstreut, aber der Frühling hatte den verlassenen Berg wieder bestiegen und spielte fast wehmütig in dem stillen Hause. Seltsame Sagen gingen in der Gegend von diesem einsamen Ort. Die Hirten hörten oft bei Nacht fremde Stimmen in der Burg, eine wunderschöne, bleiche Frau sollte sich manchmal dort in dem ausgebrochenen Fenster sehen lassen. – Florentine war noch nie allein hier gewesen, jetzt verlockte sie der eigene Reiz des Grauens, sie betrat erst vorsichtig und zaudernd, dann immer kecker die kühlen, von oben verschatteten Hallen. Durch die Mauerlichkeiten blickten zuweilen die Täler schillernd aus der sonnenhellen Tiefe herauf, nur hin und her sang ein Gebirgsvogel mit fremdem Schall, und verstörte Eidechsen fuhren raschelnd unter das Unkraut, daß sie unwillkürlich zusammenschrak.

      Jetzt kam sie in den innern Burghof, da stand ein wilder Kirschbaum in voller Blüte, dunkelrote Blumen glühten zwischen den Steinen, einzelne Schmetterlinge flatterten ungewiß in der trüben, brütenden Schwüle; und als sie plötzlich um den Pfeiler trat, sah sie eine schöne, bleiche Frau in einem seltsamen, himmelblauen Gewande mitten im Hof auf dem Rasen sitzen, die wandte sich nicht und kämmte schweigend ihr lang herabwallendes, rabenschwarzes Haar. – Florentine blickte noch einmal scharf hin, dann, vom Entsetzen überwältigt, ergriff sie die Flucht.

      Aber wie es oft in ängstlichen Träumen geht, sie verfehlte in der Hast die rechte Pforte; aus einem Zwinger in den andern rennend, glaubte sie sprechen zu hören, die Stimmen kamen immer näher, sie konnte den Ausgang nicht finden. Auf einmal standen zwei fremde Männer vor ihr in abgetragenen Ritterwämsern, Pickelhauben auf den Köpfen. Der eine wollte sie am Körbchen festhalten, in der Todesangst ließ


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