Gerichtsdolmetschen. Christiane Driesen

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Gerichtsdolmetschen - Christiane Driesen


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Variante bestimmt der Dolmetscher den Rhythmus. In der zweiten Variante muss er sich nach dem Rede- bzw. Lesefluss des Redners richten. Auge und Ohr müssen daher koordiniert arbeiten. Diese Techniken kommen bei internationalen Konferenzen immer häufiger zum Einsatz und sind im Rahmen internationaler Gerichtsverhandlungen die Regel. Sie sind unentbehrlich im Rahmen von Vertragsverhandlungen oder Einsätzen beim Notar. In beiden Varianten sollte der Dolmetscher von einer minimalen Vorbereitungszeit ausgehen.

      Im Rahmen einer Gerichtsverhandlung, einer polizeilichen Vernehmung oder einer Vertragsverhandlung wird dem Dolmetscher häufig ein Text zur sofortigen mündlichen Übersetzung überreicht. Es kann sich dabei um einfache Briefe oder um Vernehmungsprotokolle, Anklageschriften, Anträge, Verträge, notarielle Urkunden etc. handeln. Die Zuhörer erwarten eine fließende, sofort verwertbare Übersetzung.

      Der Dolmetscher muss den Sinn einer Mitteilung exakt wiedergeben können, ohne durch die Form blockiert zu werden.1 Die Übersetzung sollte so fließend sein wie das Vorlesen in der Originalsprache. Die drei Etappen, die bei den Vorleseübungen definiert wurden, finden hier Anwendung:

       Sinn mit den Augen erfassen

       Während des Hochschauens: Loslösen von den „Worthülsen“ der Ausgangssprache (Entverbalisieren)2

       Sinn mit den „Worthülsen“ der Zielsprachen „bekleiden“ und dann erst sprechen

      Idealerweise sollten die Zuhörer den Übersetzungsvorgang nicht mehr wahrnehmen. Die folgenden Übungen sollen beim Erwerb dieser wichtigen Fertigkeit helfen.

      3.2 Übungen zum Erwerb der Fertigkeit des Vom-Blatt-Übersetzens

      3.2.1 Übung 1: In drei Progressionsstufen

      3.2.1.1 Stufe 1: Inhaltsangabe in Ausgangs- und Zielsprache ohne Vorbereitungszeit

      Setting: Allein-Übung, Gruppenübung mit oder ohne Dozent

      Material: Aufnahmegerät, unterschiedliche Pressetexte mit steigendem Schwierigkeitsgrad

       Übungszweck:

       Aneignung des Translationsprozesses:

       Erfassen des Sinns (Verstehen)

       Deverbalisieren (Verarbeiten)

       Neu formulieren (Vortragen)

      Ausführung und Empfehlung

      Zur Allein-Übung bzw. Gruppenübung wird ein Text aus der Tagespresse gewählt, der keine besonderen Schwierigkeiten hinsichtlich des Wortschatzes (keine Fachtermini) oder der Syntax (keine Schachtelsätze) bietet. Die Nachricht wird zuerst leise gelesen. Der Übende sollte sich dabei auf die Struktur konzentrieren und diese möglichst „vor seinem geistigen Auge“ visualisieren. Er sollte dabei primär den Sinn des Textinhaltes hinterfragen: „Was will der Autor mitteilen?“

      Für das nachstehende Beispiel1 sollte keine Vorbereitung nötig sein. Es handelt sich um Wortschatz aus dem täglichen Leben. Die Sätze sind weder zu lang noch zu umständlich formuliert. Die Informationsinhalte sind einfach zu visualisieren.

       FLUGHAFEN-CHAOS

      02.04.2008

      Gepäck aus Heathrow wird in Italien sortiert

      Das Chaos am Londoner Flughafen Heathrow ist endgültig perfekt: Ein Teil der Koffer, die am neuen Terminal 5 liegen geblieben waren, sollen nun von italienischen Gepäcksortierern geordnet werden – und zwar tatsächlich in Italien. Tausende Gepäckstücke befinden sich auf dem Weg nach Mailand.

      Eine Kurierfirma aus Mailand soll das Koffer-Chaos, das am Londoner Flughafen Heathrow bei der Eröffnung des Terminals 5 am 27. März entstanden ist, beheben. Das Unternehmen soll die liegen gebliebenen Gepäckstücke sortieren und zu deren Besitzern transportieren, die schon seit Tagen auf ihre Koffer warten.

      Wenn der Koffer nicht mitgereist ist, geht das Ärgernis los

      Die Mehrzahl der gestrandeten Gepäckstücke werde in Heathrow sortiert. „Aber für Koffer mit einer Adresse auf dem europäischen Festland geht es schneller, wenn sie zum Sortieren nach Mailand gebracht werden. Dies ist ein branchenübliches Verfahren", sagte ein Sprecher der British Airways der BBC.

      Insgesamt waren an der neuen Abfertigungshalle nach britischen Medienangaben rund 30.000 Gepäckstücke liegen geblieben, weil die als hochmodern und effektiv gepriesene Gepäckbeförderungsanlage kurz nach der Eröffnung am vergangenen Donnerstag versagte. British Airways sah sich dadurch gezwungen, Hunderte Flüge zu streichen. Tausende Passagiere waren von dem Chaos betroffen. Etliche Fluggäste stellte die Gesellschaft vor die Alternative, entweder auf die Mitnahme ihrer Koffer oder ganz auf ihre Flugreise zu verzichten.

      (…)

      Nach Einschalten des Aufnahmegeräts wird der Inhalt in der Ausgangsprache und gleich danach in der Zielsprache wiedergegeben.

      Selbstbewertung

      Tonaufnahme abspielen und folgende Fragen stellen:

       Wurden alle Informationsteile korrekt und vollständig wiedergegeben?

       Gab es Übersetzungsschwierigkeiten?

       Wie war die Kommunikation: Stimme, Rhythmus, Atem?

      Gruppenbewertung

      Nach dem Abspielen der Aufnahme und nachdem der Vortragende die eigenen Eindrücke mitgeteilt hat, beantworten Gruppenteilnehmer folgende Fragen zur Leistungsbewertung:

      Fragen zur Rhetorik:

       War der Vortrag (die Verdolmetschung) überzeugend?

       Wie war die Atmung? (ruhig? gehetzt?)

       Wie war der Sprechrhythmus? (fließend? abgehackt?)

       War die Stimme moduliert, angemessen projiziert?

       Wie war die Haltung (Körpersprache)?

       Wie war die Gestik im Bereich des Oberkörpers? (Hin- und Herschaukeln, Verschränken der Arme sind verpönt.)

       Wie war der Blickkontakt?

       Waren Anfang und Schluss eindeutig?

      Fragen zur Wortgewandtheit:

       Wie war die Wortwahl?

       Waren die Fachtermini korrekt?

      Fragen zum visualisierenden Gedächtnis

       War die Struktur logisch?

       War die gewählte Reihenfolge schlüssig?

       Verdolmetschung korrekt, logisch, vollständig?

      3.2.1.2 Stufe 2: Verdolmetschung

      Einer der Teilnehmer liest den ganzen Text zuerst nur mit den Augen. Nach Abdecken des Artikels trägt er dessen Inhalt laut vor. Als Gegenprobe gibt ein weiterer Teilnehmer die Information, wie er sie verstanden hat, in einer anderen Sprache wieder.

      Bewertung

      Zuerst erfolgt die Selbstbewertung durch die beiden Teilnehmer, wobei der Dozent Folgendes fragen kann:

       Wie haben Sie sich bei der Übung gefühlt?

       Haben Sie den Text wirklich verstanden?

       Haben Sie Schwierigkeiten gespürt? Wenn ja, welche?

      Mögliche Antworten des Teilnehmers: „Ich war sehr nervös,


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