Sie über sich. Paul Metzger
Читать онлайн книгу.Weltbund oder zur Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen zählen, gehören dazu, z.B. die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche, und andere wenige Freikirchen.
Zwei typische Argumentationstypen, die im westlichen Christentum beheimatet sind, sollen hier aus der Breite der Diskussion herausgegriffen und vorgestellt werden.
Spätestens seit dem 2. Vatikanischen Konzil hat sich die römisch-katholische Kirche den exegetischen Wissenschaften und Einsichten geöffnet.1 Dies scheint allerdings nicht in alle Bereiche der Kirche hineingewirkt zu haben.
Papst Johannes Paul II. legt 1994 die dazu bis heute gültige Lehre der römisch-katholischen Kirche in seinem Apostolischen Schreiben „Ordinatio Sacerdotalis“ dar und beruft sich dabei auf Christus selbst: „Christus erwählte die, die er wollte (vgl. Mk 3,13–14; Joh 6,70), und er tat das zusammen mit dem Vater ,durch den Heiligen Geist‘ (Apg 1,2), nachdem er die Nacht im Gebet verbracht hatte (vgl. Lk 6,12).“2 Die angeführten Bibelstellen dienen dem Papst als Belege, die lediglich das bestätigen, was zuvor bereits der Text sagt. Ohne Einordnung in ihren Kontext sollen sie lediglich zuverlässige historische Informationen liefern, auf denen dann die Praxis der Kirche beruht. Theologische Konzeptionen der einzelnen Texte werden dabei außer Acht gelassen. Die Vollmacht der Kirche, Frauen zu weihen oder nicht zu weihen, wird also auf Grundlage von durch die Bibel berichteten und unhinterfragten Tatsachen begründet, und damit der Anspruch formuliert, dass die Kirche „als feststehende Norm die Vorgehensweise ihres Herrn bei der Erwählung der zwölf Männer“3 lediglich nachahmt und deshalb daran festhalten muss.
Als weiteres Argument wird die von der Bibel berichtete Praxis der Apostel genannt. Ihr Vorbild, nur Männer in die eigene Nachfolge zu berufen, werde ebenfalls nachgeahmt. Gleichzeitig wird die Argumentation auf der anderen Seite dadurch gestützt, dass Maria, obwohl als Gottes- und Kirchenmutter ausgezeichnet, eben keine Amtsvollmacht als Frau bekam.
Die römisch-katholische Ablehnung der Frauenordination führt also letztlich drei Argumente ins Feld: „das in der Heiligen Schrift bezeugte Vorbild Christi, der nur Männer zu Aposteln wählte, die konstante Praxis der Kirche, die in der ausschließlichen Wahl von Männern Christus nachahmte, und ihr lebendiges Lehramt, das beharrlich daran festhält, daß der Ausschluß von Frauen vom Priesteramt in Übereinstimmung steht mit Gottes Plan für seine Kirche.“4 Praxis und Tradition der Kirche sind zwei Argumente, die letztlich auf biblischer Überlieferung ruhen, die erstens in eklektischer Auswahl (Röm 16,7 findet keine Erwähnung) und zweitens als Tatsachenbericht herangezogen wird. Dahinter soll die Autorität Christi selbst stehen, dessen durch die biblischen Texte sicher festzustellendes Tun als Gesetz der Kirche aufgefasst wird, wie es zuverlässig wiederum in den Texten selbst überliefert ist. Die biblische Überlieferung wird als sicherer Beweis der Praxis Jesu aufgefasst und auf diesem vermeintlich sicheren Tun Jesu die ganze Lehre der Kirche in diesem Punkt begründet. Das Argument wird in seiner Konsequenz dann recht schlicht: Weil der Priester in Stellvertretung Christi handelt und Christus ein Mann war und nur Männer in seine „Amts-Nachfolge“ berufen hat, können keine Frauen Priester sein.
Damit die Diskussionen in der römisch-katholischen Kirche – aus Sicht des Papstes – endlich verstummen, legt er mit diesem Schreiben definitiv fest: „Damit also jeder Zweifel bezüglich der bedeutenden Angelegenheit, die die göttliche Verfassung der Kirche selbst betrifft, beseitigt wird, erkläre ich kraft meines Amtes, die Brüder zu stärken (vgl. Lk 22,32), daß die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden, und daß sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben.“5
Historische „Tatsachen“, belegt durch biblische Zitate, werden also als Argumente in der Diskussion verwandt. Eine Einordnung in ihren sinngebenden Kontext unterbleibt.
Von anderen Voraussetzungen – deshalb zum Teil – einfacher argumentieren die Gegner der Frauenordination, die zum reinen Gehorsam gegenüber der Schrift aufrufen.6 Typisch für diesen Argumentationstyp ist die Diskussion der Problematik durch Helge Stadelmann, den ehemaligen Rektor der Freien Theologischen Hochschule Gießen.
Er erklärt die Frauenordination zu einem „Testfall für Bibeltreue“.7 In einem Vortrag zum Thema fragt er: „Wo findet sich ein biblischer Hinweis dafür, daß Gott für seine neutestamentliche Gemeinde angeordnet hat, Frauen in den Lehr- und Leitungsdienst der Gemeinde zu berufen?“8 Mit zwei Zitaten wird die erwartbare Antwort dann vorbereitet. Unter Verweis auf das wörtliche Verständnis von 1.Kor 14 und 1.Tim 2,11–15 wird das Nein zur Frauenordination auf ein göttliches Verbot begründet: „Nicht etwa die besseren Fähigkeiten des Mannes sind der Grund; auch nicht eine vermeintlich größere Anfälligkeit der Frau für Verführung. Sondern der souveräne Wille Gottes, wie er sich in der schöpfungsmäßigen Zuordnung von Mann und Frau äußert; und Gottes freier Willensentschluß, den er hier nun als neutestamentliche Konsequenz aus der Tatsache des Hörens der ersten Frau auf den Versucher kundtut, das sind die Gründe für dieses göttliche Nein.“9 Stadelmann warnt davor, die Frauenordination zuzulassen, da letztlich – schon bei Paulus selbst – drei Gründe ganz entschieden dagegen stehen: „Der erste Grund ist die übereinstimmende Praxis der Gemeinden […] Der zweite Grund ist, daß diese Verfügung dem entspricht, was schon in der alttestamentlichen Torah steht. […] Der dritte Grund ist – so Paulus – ganz einfach, daß es des Herrn Gebot ist, was ich euch schreibe. Wer aber das nicht anerkennt, wird von Gott nicht anerkannt‘ (Vv. 37b-38).“10
Alle drei Gründe beruhen darauf, biblische Zitate, hier eine Kombination von 1.Kor 14,33–38 mit 1.Kor 11,8–9 und der als „Schöpfungsordnung“ verstandenen Zuordnung von Mann und Frau aus Gen 2,20–24, wörtlich zu verstehen und darauf zu verzichten, sie in ihren soziokulturellen und theologischen Kontext einzubetten. Vor allem der dritte Grund, die Missachtung des göttlichen Gebotes, führt zu einer kaum verhohlenen Drohung: „Wenn heute nicht nur Landeskirchen, sondern auch Freikirchen sich für die Berufung von Frauen als Pastorinnen entscheiden, entscheiden sie sich damit gegen Gottes Wort. Sie setzen damit zugleich Gottes Segen aufs Spiel. Denn wer dieses Wort Gottes zum öffentlichen Lehren der Frau nicht anerkennt, wird von Gott nicht anerkannt. (1.Kor 14,38) Ohne diese Anerkennung Gottes kann eine Gemeinde aber nicht leben!“11 Seine eigene, eingangs gestellte Frage beantwortet er also dezidiert positiv: „Angesichts der biblischen Evidenz spricht manches dafür, das Ja oder Nein zur Frauenordination heute zu Recht als einen Testfall für wirkliche und nicht nur vorgegebene Treue zur Schrift zu sehen.“12
Ähnlich argumentiert Janis Vanags, Erzbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche Lettlands (LELB), die auf ihrer Synode am 3. und 4. Juni 2016 mit einer Drei-Viertel-Mehrheit beschloss, die Frauenordination wieder abzuschaffen.13 Was für den Lutherischen Weltbund zu einer echten Herausforderung hinsichtlich der Mitgliedschaft dieser Kirche werden dürfte, ist für den vorliegenden Zusammenhang deshalb interessant, weil Vanags zur Begründung dieser Entscheidung auf 1.Kor 14,34–35 verweist, ohne tiefer gehende exegetische Einsichten zu berücksichtigen. Zudem wird ähnlich wie im römisch-katholischen Kontext auf die Berufung der Zwölf Apostel, also ausschließlich Männer, verwiesen, die keine Frauen als Nachfolgerinnen haben dürften.14
Achtet man bei dieser Entscheidung auf die kulturellen Faktoren Lettlands, wonach Liberalität gefährlich für die lutherische Identität sein soll, zeigt sich wieder, dass biblische Texte immer eklektisch als Argument eingesetzt und gerade dort gerne unkommentiert herangezogen werden, wo sie die eigene Absicht untermauern.
Beide Beispiele aus ganz unterschiedlichen theologischen Kontexten zeigen, wie Zitate aus der Bibel in aktuelle Diskussionen umgesetzt werden, ohne dabei die Kontextualität der biblischen Texte zu beachten.
In der Frage der Frauenordination zeigt sich weiter, dass neue Allianzen geschmiedet werden, die sich nicht an den klassischen Konfessionsgrenzen orientieren, sondern ethische Fragen in den Vordergrund rücken. Es gibt im Einzelfall dann keinen Dissens zwischen „evangelisch“ und „katholisch“, sondern eher zwischen „liberal“ und „konservativ.“ Weitere Einzelfragen lassen sich aufzählen.
1.2. Die Frage der Familie
Darf Familie in christlicher Perspektive mehr sein als Vater, Mutter, Kind? Und wie kann die Bibel bei der Beantwortung dieser Frage