Fräulein Rosa Herz. Eduard von Keyserling

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Fräulein Rosa Herz - Eduard von Keyserling


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–«, Verkauf von Kolonialwaren jeder Art. Das Geschäft Lanin war von größter Wichtigkeit für das Städtchen; lange schon war es die Hauptquelle für die Bedürfnisse der Haushaltung, und mehrere Generationen hatten den Namen Lanin zugleich mit den Worten Zucker, Rosinen und so weiter aussprechen gelernt. Herr Lanin saß im Rat, wie sein Vater und Großvater vor ihm dort gesessen. Herr Lanin spielte eine bedeutende Rolle bei der Feuerwehr, der Armenpflege und Sparkasse. Herr Lanin war eine so große Persönlichkeit, daß die bescheideneren Bürger der Stadt nicht zu protestieren wagten, wenn die Firma ihnen doppelte Rechnungen machte oder schimmeligen Käse verabfolgte. »Firma Lanin und –« stand über der Türe. Dieses »und« war eine Huldigung für die Tochter der Firma, für Fräulein Sally. Der künftige Schwiegersohn sollte Kompagnon werden; das war sicher; so legte die ganze Stadt dieses »und –« aus; bis Fräulein Sally aber ihre Wahl getroffen, mußte das »und –« allein stehen bleiben und warten.

      Die Firma war sich ihres Wertes viel zu sehr bewußt, um auf äußeren Glanz etwas zu geben; dieserhalb war das Geschäftslokal ein enges, finsteres, unreinliches Zimmer. Das abgeriebene, von der Sonne gebleichte Schild vor der Türe zeigte einen entsetzlichen Neger, der einen weißen Zuckerhut in den Armen hielt.

      Rosa öffnete die niedrige Glastüre, die in das Laninsche Verkaufslokal führte, und setzte dabei eine heisere Glocke in Bewegung. Ein starker Geruch von Orangen, Fisch, feuchtem Stroh schlug ihr entgegen. Fässer und Kisten türmten sich bis zur Decke auf; schwarz angestrichene Holzleisten liefen an den Wänden hin und trugen mächtige Pakete, in blaues, gelbes, graues Papier gehüllt, halb von Dämmerung und Staub verborgen. Hinter dem Ladentisch stand Konrad Lurch, der Diener der Firma. Sein langes, sehr schmales Gesicht war über und über mit Sommersprossen bedeckt. Seine Augen hatten die matte, gelbliche Farbe des Gesichtes und schienen mit diesem ineinandergeflossen. Er trug einen weiten Rock von glänzendem Sommerstoff, wie schwarzes Packpapier, und rotgelbe Beinkleider, die in der Farbe mit dem Papier Ähnlichkeit hatten, in das man Stearinkerzen packt – acht auf ein Pfund.

      »Ah, Fräulein Rosa!« sagte er leise, als Rosa eintrat.

      »Guten Tag, Herr Lurch«, erwiderte sie. »Wie geht es Ihnen? Ist Sally zu Hause?«

      Lurch blickte nicht auf und kaute an einem Bindfaden, der von der an der Decke befestigten Rolle niederhing. »Guten Tag, Fräulein Rosa«, sagte er, »mir geht es gut; ich hoffe, Ihnen gleichfalls, Fräulein Rosa? Was Fräulein Sally betrifft, so war sie die ganze Zeit über hier. Sie sehen noch dort auf der Reiskiste das Buch, in dem sie las. Plötzlich ging sie hinaus; warum, weiß ich Ihnen nicht zu sagen; ich vermute, sie wird gleich wieder hier sein.«

      »Also Sie meinen, ich soll hier warten? Wie?«

      »Ja, Fräulein Rosa, das wird das beste sein. Sie setzen sich unterdessen vielleicht dort auf die Heringstonne?«

      »Ich danke, wenn Sie keinen besseren Platz haben. Ich sitze nicht gern auf Heringstonnen.«

      »Ja so! Natürlich! Es ist auch nicht angenehm, obgleich das ein seltener Artikel ist! Schottische Fett- oder Königs-Heringe. Aber dort die Lichtkiste? Sie ist vielleicht nicht ganz rein? Nehmen Sie mein Taschentuch und setzen Sie sich darauf.«

      Lurch bot Rosa ein ganz klein zusammengeballtes Tuch an. Sie lehnte es jedoch mit dem schrillen, kurzen Lachen siebzehnjähriger Mädchen ab und setzte sich auf die Lichtkiste.

      »Sollten Sie nicht einige Korinthen nehmen, Fräulein Rosa?« begann Lurch nach einer Pause.

      »Nein, ich mag mir nicht immer von Ihnen Korinthen schenken lassen.«

      »Oh! Fräulein Rosa – Korinthen, Korinthen –« Lurch war sichtlich verlegen. »Korinthen sind doch nur ganz kleine Rosinen.«

      »Das macht nichts«, versetzte Rosa energisch; dann fügte sie sanfter hinzu: »Herr Lurch! Gestatten Sie es nicht, daß wir Sie Korinthen-Konrad nennen?«

      »Gewiß, Fräulein Rosa! Wenn der Name Ihnen gefällt; ich hoffe, er ist keine Verhöhnung meines Berufes; ich denke, er ist es nicht?«

      »Durchaus nicht! Nur der Korinthen wegen, wissen Sie.«

      »Oh, dann – warum nicht?« Ja, Lurch schien der Name sogar zu gefallen, denn ein öliges Lächeln zeigte sich auf seinem Gesichte.

      Endlich trat Sally Lanin durch eine Hintertüre des Ladens ein.

      »Ach Rosa! Liebes Herz! Du bist es!« rief sie in allerliebster Freude aus, hüpfte auf Rosa zu, küßte sie auf die Lippen, setzte sich mit einer flinken, schmiegsamen Beweglichkeit auf die Kiste und schlang ihren Arm um Rosas Taille. »Wie gut, daß du kamst!«

      Sally Lanin trauerte um einen geliebten Onkel und trug daher ein schwarzes Kleid und eine schwarze Halskrause. Auf den Schulterblättern saßen zwei weiße Kalkflecken, und auch sonst war an dem Kleide viel von dem Staub der Kisten hängen geblieben, was dem Ganzen ein etwas schäbiges Aussehen verlieh. Eigentlich hübsch war Fräulein Lanin nicht; einige kleine Fehler störten den Eindruck des Gesichtes; so schielten die schönen, vanillebraunen Pupillen der Augen ein wenig, und die Nase war oft an der Spitze rot.

      Fräulein Lanin legte ihr Köpfchen auf die Schulter ihrer Freundin und seufzte: »Liebste Rosa! Ich habe dir viel zu erzählen.«

      »Wirklich? Erzähl doch!« drängte Rosa mit großer Teilnahme. »Ich habe wohl davon gehört – aber...«

      »Ja, ja –« sagte Sally bewegt. Dann rief sie träumerisch: »Lieber Lurch!«

      »Fräulein Sally!« erwiderte dieser.

      »Lieber Lurch! Geben Sie auf einen Augenblick die Büchse mit den trocknen Pflaumen her.«

      »Ja, Fräulein Sally. Es ist jedoch nicht viel mehr darin.«

      »Die trocknen Pflaumen, Lurch«, wiederholte Sally bestimmt.

      »Gewiß, Fräulein Sally; warum auch nicht? Hier!« Und er hielt ihr eine hohe Büchse hin.

      »Ja Rosa, du hast von uns gehört«, begann Fräulein Sally, ohne die Büchse anzusehen, in die sie ihre Hand tief versenkte.

      »Der Vater sprach von euch, ich hörte aber nicht recht hin. Was ist es denn?« fragte Rosa.

      Sally brachte jetzt eine Pflaume zum Vorschein, betrachtete sie und erwiderte dann: »Ein zweiter junger Mensch kommt ins Geschäft.« Dann steckte sie die Pflaume in den Mund.

      »Ein Verwandter von dir?«

      »Lieber Lurch«, unterbrach Sally ihre Freundin, »stellen Sie die Büchse her und gehen Sie ein wenig in den Hintergrund. Ich habe mit meiner Freundin zu sprechen.«

      Lurch gehorchte und rief aus der Dunkelheit kläglich hervor: »Ist es so weit genug, Fräulein Sally?« – »Ja, Lurch! Ich danke. Siehst du, Rosa«, nahm sie das Gespräch wieder auf, »er ist ein schlechter junger Mensch.«

      »Du meinst natürlich den Neuen«, schaltete Rosa ein.

      »Ja, der Neue. Er hat Schulden gemacht. Er liebt eine Zigeunerin, oder Kunstreiterin, ich weiß es noch nicht genau. Nun wird der arme junge Mensch von der Geliebten getrennt und soll vergessen, soll sich bessern und das Geschäft erlernen. Sehr wüst soll er sein. Ob er sich bessern wird? Gott gebe es!«

      »Wie alt ist er denn?«

      »Zwanzig Jahre, sehr jung, nicht wahr? Die Person, die ihn verführt hat, weißt du, muß keine gute sein, und er vergißt sie wohl.«

      »Wer kann das wissen!« meinte Rosa mit einem sehr verständigen Gesicht. »Die Frauen von der Bühne bestricken die Männer ganz seltsam.« Fräulein Lanin wollte das nicht wahrhaben und schüttelte ihren Kopf mit den vielen Löckchen, denn zwei Pflaumen in ihrem Munde hinderten sie am sprechen. »Weißt du noch«, sagte Rosa, »in dem Roman ›Anna-Liese, die Männerhasserin‹ ist's auch eine Tänzerin, die den jungen Golo unglücklich macht.« Fräulein Sally schluckte heftig und breitete die Arme aus; sie wollte etwas sehr Wichtiges vorbringen. »Und«, fuhr Rosa eifrig fort, »wenn er ein Wüstling ist, dann wird das Leben hier ihm fade erscheinen.«

      »Nein,


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