Die Kreutzersonate. Лев Толстой

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Die Kreutzersonate - Лев Толстой


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meine Gattin zu werden. Es war eine der beiden Töchter eines Gutsbesitzers aus dem Gouvernement Pensa, der einstmals sehr reich gewesen war, jedoch sein Vermögen verloren hatte.

      Eines Abends, nachdem wir zusammen eine Kahnfahrt gemacht hatten und beim Mondschein heimgekehrt waren, saß ich neben ihr und war ganz entzückt von ihrem schlanken, in eine knappe englische Robe gepreßten Figürchen und ihren Locken; plötzlich kam ich zu dem Entschluss: sie und keine andere ist es! Es schien mir an jenem Abend, daß sie alles, alles verstehe, was ich fühlte und dachte. In Wirklichkeit lag nichts weiter vor, als daß die englische Robe und die Locken ihr ausnahmsweise gut zu Gesichte standen, und daß ich nach dem in ihrer traulichen Nähe verbrachten Tag den Wunsch nach noch intimerer Traulichkeit hegte.

      Merkwürdig, wie leicht die Menschen der Illusion verfallen, daß Schönheit zugleich auch Güte sei! Eine schöne Frau kann ruhig Dummheiten schwatzen – man hört ihr zu und hört nicht die Dummheiten heraus, sondern nur lauter kluge Sachen. Sie redet und tut häßliche Dinge – und man findet alles nett. Redet sie nun gar weder dumme noch häßliche Dinge und ist sie wirklich schön: gleich bildet man sich ein, sie sei ein Wunder an Verstand und Tugend.

      Ich war in einem Wonnerausch heimgekehrt, vollkommen überzeugt, daß sie der Gipfel sittlicher Vollkommenheit, daher würdig sei, meine Gattin zu werden, und so trug ich ihr denn am nächsten Tage meine Hand an.

      Was für eine Begriffsverwirrung! Unter tausend Männern, die heiraten, gibt es – nicht nur in unseren Kreisen, sondern leider auch in den breiten Volksschichten – kaum einen einzigen, der nicht vorher schon zehn-, ja, wie Don Juan, hundert- und tausendmal verheiratet gewesen wäre.

      Es gibt allerdings heutigentags, wie man mir sagt, und wie ich selbst beobachtet habe, sittenreine junge Leute, die da fühlen und wissen, daß dies kein Scherz ist, sondern eine sehr, sehr ernste Sache. Gott segne sie! Zu meiner Zeit gab es nicht einen einzigen auf zehntausend. Und alle wissen das und stellen sich so, als ob sie es nicht wüßten. In allen Romanen sind die Gefühle der Helden, die Teiche und Gebüsche, an denen sie entlang wandeln, bis ins kleinste geschildert; doch wenn die große Liebe solch eines Helden zu irgendeinem Mädchen beschrieben wird, verschweigt man wohlweislich, was mit ihm, diesem interessanten Helden, früher vorgefallen ist; kein Wort verlautet von seinen Besuchen in den Freudenhäusern, von seinen Abenteuern mit Stubenmädchen, Köchinnen und fremden Frauen. Wenn aber solche ›unanständigen‹ Romane dennoch existieren, so gibt man sie gerade denjenigen nicht in die Hand, die sie vor allem lesen sollten, nämlich – den jungen Mädchen.

      Den jungen Mädchen wird zunächst einmal vorgeheuchelt, daß die Unsittlichkeit, die die Hälfte des Lebens unserer Städte und selbst unserer Dörfer ausfüllt, überhaupt gar nicht existiere. Dann gewöhnt man sie so sehr an diese Heuchelei, daß sie schließlich, wie die Engländer, allen Ernstes zu glauben beginnen, wir seien alle sehr moralische Menschen und lebten in einer sehr moralischen Welt. Die armen Mädchen glauben das wirklich steif und fest. Auch meine unglückliche Frau glaubte es. Ich erinnere mich, wie ich einmal als Verlobter ihr mein Tagebuch zeigte, aus dem sie wenigstens einiges aus meiner Vergangenheit erfahren konnte, namentlich über mein letztes Verhältnis, über das sie leicht auch von anderer Seite unterrichtet werden konnte, so daß ich es vorzog, sie selbst darüber einiges wissen zu lassen. Ich erinnere mich ihres Entsetzens, ihrer Verzweiflung, ihrer Verwirrung, als sie alles erfahren und begriffen hatte. Ich sah, daß sie damals mit mir brechen wollte. Ach, warum hat sie es nicht getan? …«

      Er ließ wieder seinen Laut hören, schlürfte noch einen Schluck Tee und schwieg eine Weile.

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      Doch nein, es ist besser so, wirklich besser!« rief er dann laut aus. »Es ist mir ganz recht geschehen. Aber nicht davon soll die Rede sein. Ich wollte sagen, daß die Betrogenen hier doch eigentlich nur die unglücklichen Mädchen sind.

      Die Mütter wissen das recht gut, namentlich jene Mütter, die von ihren Männern erzogen worden sind. Und während sie sich so stellen, als glaubten sie an die Reinheit der Männer, handeln sie in der Praxis ganz anders. Sie wissen, mit welchem Köder sie für sich und ihre Töchter die Männer fangen sollen.

      Nur wir Männer allein wissen es nicht – und zwar wissen wir es darum nicht, weil wir es nicht wissen wollen, während die Frauen sehr wohl wissen, daß die sogenannte ideale Liebe nicht von moralischen Vorzügen abhängt, sondern von der physischen Vertraulichkeit und von solchen Dingen wie die Frisur, die Farbe und der Schnitt des Kleides. Fragen Sie eine erfahrene Kokette, die es sich vorgenommen hat, einen Mann zu bezaubern, was sie eher riskieren würde: in seiner Gegenwart der Lüge, der Grausamkeit, ja selbst der Unsittlichkeit überführt zu werden oder in einem schlecht gearbeiteten, geschmacklosen Kleide vor ihm zu erscheinen! Jede einzelne wird sich für das erste entscheiden. Sie weiß, daß die erhabenen Gefühle, die unsereins zur Schau trägt, durch und durch erlogen sind, daß es dem Manne nur auf den Körper ankommt, daß er alle Laster verzeiht, nicht aber ein häßliches, schlecht gearbeitetes, geschmackloses Kleid.

      Die Kokette ist sich dessen klar bewußt, dem unschuldigen Mädchen aber sagt es, wie den Tieren, eine aus dem Unbewußten kommende Empfindung.

      Daher diese englischen Roben, diese abscheulichen Tournüren, diese nackten Schultern, Arme und womöglich auch Brüste. Die Frauen, namentlich jene, die durch die Schule der Männer gegangen sind, wissen sehr wohl, daß die Gespräche über ideale Dinge eben nur Gespräche sind, und daß der Mann nur nach dem Körper verlangt und nach alledem, was diesen anziehend und verlockend erscheinen läßt. Und danach richten sie sich dann auch.

      Streifen wir nur einmal die Gewöhnung an diese Zuchtlosigkeit ab, die uns zur zweiten Natur geworden ist, und betrachten wir das Leben unserer höheren Klassen in der ganzen Schamlosigkeit, in der es sich darstellt, dann haben wir tatsächlich nichts weiter vor uns als ein einziges Freudenhaus … Sie wollen das bestreiten? Gestatten Sie, ich will es Ihnen beweisen«, versetzte er, mich unterbrechend. »Sie sagen, die Frauen unserer Gesellschaft hätten andere Interessen als die Frauen in den Freudenhäusern, und ich sage Ihnen: das ist nicht der Fall, und ich werde Ihnen das beweisen. Wenn zwei Menschen sich in ihren Lebenszielen und ihrem Lebensinhalt unterscheiden, so wird dieser Unterschied zweifellos auch in ihrem Äußeren zutage treten, dieses Äußere wird bei beiden verschieden sein. Werfen Sie nur einen Blick auf jene Unglücklichen, Geächteten, und auf die vornehmen Damen unserer höchsten Gesellschaft: dieselben Toiletten, derselbe Schnitt, dieselben Parfüms, dieselben nackten Arme, Schultern und Brüste und dieselben knappen, prallen Tournüren; die gleiche Schwäche für Edelsteine, für kostspielige, blitzende Gegenstände, die gleiche Vorliebe für Vergnügungen und Tanz, für Musik und Gesang. Gleichwie jene die Männer durch alle möglichen Mittel anzulocken suchen, so auch diese. Nur daß die Prostituierten ›für kurze Frist‹ in der Regel mit Verachtung behandelt werden, während die Prostituierten ›für lange Frist‹ volle Hochachtung genießen.«

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      Ja, so wurden also diese englischen Taillen, diese Locken und Tournüren für mich sozusagen zu Fallen. Mich zu fangen, war übrigens leicht, weil ich unter ähnlichen Bedingungen wie die meisten jungen Leute aufgewachsen war, bei denen die verliebten Gefühle wie Gurken im Warmhause aufschießen. Unsere aufreizende, überreichliche Kost bei völliger Enthaltung von körperlicher Arbeit ist ja schließlich nichts anderes als eine systematische Aufreizung unserer Sinnlichkeit. Sie mögen das mit Staunen hören oder nicht, es ist einmal so. Auch ich hatte für alles das bis in die letzte Zeit keinen Blick. Jetzt aber bin ich sehend geworden. Darum peinigt es mich auch so, daß niemand die Sache klar übersieht und daß die Menschen so törichtes Zeug darüber reden, wie vorhin diese Dame hier.

      Ja … in meiner Nachbarschaft arbeiteten im Frühjahr die Bauern an der Aufschüttung des Eisenbahndammes. Die gewöhnliche Nahrung des Bauernburschen besteht aus Brot, Kwas und Zwiebeln; er bleibt dabei lebhaft, kräftig und gesund und ist imstande, tüchtige Feldarbeit zu verrichten. Arbeitet er auf der Eisenbahn, so besteht seine Kost aus Grütze und einem Pfund Fleisch täglich. Dieses Fleischquantum jedoch setzt er in sechzehnstündiger Arbeitszeit, hinter einem Karren von dreißig Pud,


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