Justice justified. Kendran Brooks

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Justice justified - Kendran Brooks


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Banken im Gegenzug einen Haufen Geld. Dieses Geld wird zum größten Teil an die Aktionäre als zusätzliche Dividenden ausbezahlt. Doch der kleine Mann von der Straße ist kein Aktionär. Die Banken gehören bereits den Großkapitalisten, den reichen Erben der seit Generationen wohlhabenden Familien. Sie bekommen die bislang als Einkommen ausbezahlten Boni ihrer Bankangestellten dank großzügiger Hilfe aus Bruxelles als Sonderzahlung zugeteilt.«

      Chufu wiegte seinen Kopf hin und her, gab dem Deutschen damit zu verstehen, dass er die Aussage zumindest abwägen wollte, ihr jedoch nicht sogleich zustimmen konnte.

      »Aber auf den ausbezahlten Boni wurden bislang Sozialabgaben und Versicherungsprämien abgeführt und selbstverständlich auch noch hohe Einkommenssteuern. Dagegen werden Dividenden von den meisten Staaten privilegiert besteuert, können zum Beispiel mit Anlageverlusten verrechnet werden oder weisen einen geringen Höchststeuersatz auf. Doch die Völker in der EU nehmen diese weitere Ungerechtigkeit ihrer Staaten tatsächlich ohne Aufruhr und Widerstand hin. Letztendlich entzieht die neue EU-Verordnung den Rentensystemen der Gliedstaaten wichtige Sozialbeiträge und Steuereinnahmen, drückt diese Gelder den Reichsten auf Erden zusätzlich in die Hand. Und da redet noch jemand von Gerechtigkeit? Doch woher werden sich die Staaten die künftig fehlenden Einnahmen holen? Etwa bei den Milliardären dieser Welt? Mit Sicherheit nicht, wie uns die Erfahrung lehrt. Nein, diese Lücke wird man einmal mehr über noch höhere Mehrwertsteuersätze und noch geringeren Leistungen des Staates abgegolten, also auf dem Rücken der bereits heute gebeutelten Menschen.«

      Er hatte sich nun in Rage geredet, fuhr sich mit der Zungenspitze nervös über die trocken gewordenen Lippen.

      »Ich habe keine Lösung für eine gerechtere Welt. Doch der Einfluss des Staates auf die Gesellschaft sorgt auf keinen Fall für mehr Gerechtigkeit, sondern beschleunigt bloß den Geldtransfer von unten nach oben, wie die Statistiken über die Armut und den Reichtum in der Welt uns jedes Jahr von neuem vorrechnen und beweisen. Darum sehe ich persönlich nur eine Lösung. Wir müssen die Macht des Staates zurückbinden, müssen einen großen Teil seines Einflusses wieder aus unserem Leben entfernen. Erst in einer nicht mehr zwangsweise nivellierten Welt, die uns auf den ersten Blick ungerecht erscheint, hat die Mehrzahl der Individuen wieder echte Chancen für einen Aufstieg, die Reichen die tatsächliche Chance auf einen Abstieg. Ja, ihr müsst mich gar nicht so ungläubig anschauen. Alles, was ein Staat tatsächlich erreicht, ist doch die Nivellierung der Chancen der Chancenlosen, jedoch niemals Gerechtigkeit für alle. Der Staat zwingt die Masse der Menschen auf einen ähnlichen Nenner und nennt dies Gerechtigkeit, lässt dagegen die Oberschicht völlig unangetastet. Damit schafft er die besten Voraussetzungen, damit sich niemals etwas an der seit Jahrtausenden geltenden Ordnung ändert. Die eigentlichen Hüter und Bewahrer der Ungerechtigkeit sind exakt diejenigen Politiker, die vorgeben, sich für mehr Gerechtigkeit einzusetzen.«

      Mit diesem Schlusswort blickte er die beiden Asiaten abwechselnd an, wartete auf ihre Zustimmung oder auf Ablehnung. Mei wirkte über den sichtbar gewordenen Hass des Deutschen auf alle Staaten und Politiker dieser Welt erschüttert und erschrocken zugleich, während Chufu skeptisch dreinblickte, sich jedoch als erster fasste.

      »Ich denke, du siehst das zu eng und zu schwarz.«

      »Ja, ich weiß, alles ist grau. Doch Grau kann nicht die Farbe der Gerechtigkeit sein. Denkt mal darüber nach.«

      Sie blickten einander an. Dann schüttelten sie sich zum Abschied die Hände. Mei steckte noch eine 20-Dollar-Note in den Becher, dann standen sie auf.

      »Und aus diesen Gründen lebst du als moderner Dionysos?«, fragte Chufu den Deutschen noch.

      »Nur wer die Fesseln der Ungerechtigkeit sprengt, kann für sich persönliches Glück erlangen«, philosophierte der blauäugige Deutsche, blinzelte zu ihnen hoch und verkniff seinen Mund zu einem schrägen Grinsen, »das ist übrigens auf meinem Mist gewachsen.«

      *

      Seine Geschäfte hatten sich an diesem Morgen zuerst ein wenig aufgehellt, denn in seiner Mailbox fand er zwei Aufträge aus Deutschland. Sie würden Michael Langton für die nächsten paar Wochen ein mäßiges Einkommen garantieren. Gin Davis war nach ihrer Flucht erst am frühen Morgen in ihr Apartment zurückgekehrt, verkatert und zerknittert, war noch in ihren Kleidern erschöpft aufs Bett gefallen und sogleich eingeschlafen. Michael hatte ihr die Stiefeletten von ihren niedlichen, kleinen Füssen gestreift, ihr den Rock vom Becken und über die schlanken Schenkel gezogen, auch den Reißverschluss ihres Trainingsanzugs geöffnet und die flauschige Pfulmendecke über sie ausgebreitet. Dann war er so leise wie er das Zimmer betreten hatte, wieder gegangen, hatte vom Flurboden die achtlos fallen gelassene, schmale Handtasche aufgehoben, die vielleicht auch nur von der Ablage herunter gekippt war, hatte sie wieder drauf gestellt und zurechtgerückt.

      Auf einmal war er jedoch erstarrt und hatte sich mit einem Ruck aufgerichtet. Sein Blick hatte Erstaunen und Erkennen zugleich gezeigt. Auf Zehenspitzen war er zurück ins Schlafzimmer und zum Bett geschlichen, sich auf seiner Schlafseite auf die Matratze gekniet, sich über Gin Davis gebeugt und hatte an ihrem schulterlangen, dunkelbraunen Haar geschnüffelt. Ja, er hatte sich nicht geirrt. Neben Tabakrauch und Marzipan hatte er Rum und Cola, ihr Lieblingsgetränk gerochen, dazu Grapefruit und Moschus. Die süßen Mandeln und die Zitrusfrucht konnte er guten Gewissens seiner Ginnie zuordnen, denn er kannte alle ihre Parfüms. Doch Moschus? Er wusste, dass Gin keinen Moschusduft an sich mochte. Noch einmal hatte er sich deshalb über seine Freundin gebeugt, fand die Quelle des Duftes am Kragen und an der Schulter ihres Trainingsanzugs.

      Michael hatte gefühlt, wie ihn die Eifersucht überkam und verbrennen wollte. Wo war seine Ginnie gewesen? Mit wem hatte sie sich getroffen? Ihn vielleicht gar betrogen?

      Doch er hatte sich sogleich wieder zur Ordnung gerufen. Er kannte doch gar nicht alle Freundinnen von Ginnie. Eine davon mochte vielleicht nach Moschus riechen. Oder sie war tanzen und der DJ hatte einen Wange an Wange Song gespielt. Denn warum sollte ihm seine Ginnie auf einmal untreu werden? Sie hatte hier doch alles? Eine schicke Wohnung, genügend Taschengeld, ihre Freiräume und keine Sorgen. Michael vermochte seine Eifersucht trotzdem nicht völlig zu unterdrücken. Aber wie konnte er sich Gewissheit über die letzte Nacht verschaffen? Sollte er einen Privatdetektiv mit der Beschattung seiner Freundin beauftragen? Ihr vielleicht selbst nachspionieren? Das war doch Unsinn.

      Er hatte auf die Armbanduhr geschaut, war aufgestanden und hatte das Schlafzimmer verlassen. Um neun Uhr fand die Telefonkonferenz mit einem Lieferanten in Guangdong statt. Er hatte sich beeilen müssen. Die Fahrt mit der MTR war allerdings kurz gewesen und so erreichte er sein Büro eine gute Viertelstunde vor neun, genügend Zeit für letzte Vorbereitungen.

      Seit er die Wohnung verlassen hatte, drehten sich fast alle seine Gedanken um Gin Davis und ihre letzte Nacht, die sie irgendwo mit irgendwem verbracht hatte. Schübe von Eifersucht wechselten sich ab mit Phasen der Selbstberuhigung. Es war nicht das erste Mal, dass Ginnie mit einer Freundin den Abend oder die ganze Nacht verbracht hatte und erst am nächsten Morgen zurückgekehrt war. Doch bislang waren sie nie nach einem Streit auseinandergegangen, hatte ihm ihre Frauen-Abende jeweils ein paar Tage zuvor angekündigt.

      Er musste sich zusammenreißen und sich konzentrieren. Gleich rief ihn Hun Hian an, der Entwicklungschef von Meekong Industries für den Bereich Haushaltsgeräte. Dem musste er klar machen, dass sein Kunde in Europa ein Kunststoffgehäuse in der Farbe Robin Egg Blue verlangt hatte und damit ganz bestimmt nicht die Farbe Eggplant gemeint war. Zudem hatten sie ein schwarzes, statt dem verlangten weißen Stromkabel verwendet. Die beiden Muster des neuen Mixers fanden darum keinen Anklang in Frankreich, sorgten dort stattdessen für heftige Vorwürfe an die Adresse von Michael Langton als den für alles verantwortlichen Vermittler. Hundertdreißig Dollar würde der Kunde von der versprochenen Provision abziehen, die Auslagen für den sinnlosen Transport nach und die Zollgebühren in Frankreich. Das war zwar bloß ein kleiner Rückschlag für Langton, doch das würde er nicht auf sich sitzen lassen. Diesmal nicht. Für diesen Fehler musste Meekong Industries geradestehen und die korrekten Muster so rasch als möglich und auf ihre Kosten ausliefern.

      Das Telefonat verlief dann allerdings wenig zufriedenstellend. Der Fehler mit dem Kabel wurde zwar eingeräumt, die Farbe des Gehäuses jedoch vehement


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