Nach Amerika! Bd. 1. Gerstäcker Friedrich
Читать онлайн книгу.einen Goldfisch.»
«Wo stammt er denn eigentlich her?» frug der Apotheker jetzt, wie sie wieder eine Weile schweigend nebeneinander hingegangen waren. «Man hört doch sonst eigentlich gar nichts von ihm und er kommt auch mit keinem Menschen weiter zusammen – stolzer, aufgeblasener Bursche der!»
«Gott weiß es», sagte der Aktuar, «er ist, glaub’ ich, mit einem holländischen Schiff herübergekommen und hatte einen Paß von Amsterdam.»
«Und der Paß lautete nach Heilingen?»
«Nun, nicht gerade nach Heilingen, aber doch nach der Residenz, und wie sich die Sache dann hier mit der Dollinger’schen Familie gestaltete, nun, lieber Gott, da drückte der Stadtrat das eine und die Stadtverordneten drückten das andere Auge zu, und man sah nicht so genau nach den Papieren. Überdies verzehrte er ja hier viel Geld. Wär’ es ein armer Teufel gewesen, hätten wir ihn wahrscheinlich schon bald wieder über die Grenze gehabt.»
«Hm, ja, glaub’s», sagte Kellmann, mit dem Kopf nickend; «’s ist in Heilingen eben nicht anders, wie – wie anderswo – warum auch?»
Das Gespräch drehte sich von da ab auf die städtischen Einrichtungen, deren wärmster Verteidiger der Apotheker war, und über die sich der Aktuar natürlich nur sehr vorsichtig ausließ, während sie Kellmann umso unnachsichtiger angriff; kam dann auf die Saat und die Preise, und wieder mit einem Seitensprung auf die jetzige Politik unseres lieben deutschen Reiches, bis sie das Tor, und zwar gerade mit Sonnenuntergang erreichten, wo jeder seinen Weg ging, die eigene Heimat aufzusuchen.
Der Aktuar Ledermann besonders, der an dem entgegengesetzten Ende der Stadt wohnte, beeilte seine Schritte, um noch vor einbrechender Dunkelheit seine Wohnung zu erreichen; das Gerücht ging nämlich in der Stadt, daß ihn seine Ehehälfte bei solchen Gelegenheiten oft sehr unfreundlich empfange und ihm einmal sogar schon einige sonst sehr nützliche, bei d e r Gelegenheit aber nichts weniger als passende häusliche Geräte entgegen- und vor die Füße geworfen habe. Tatsache war, daß ,Madame’ oder Frau Aktuar Ledermann, was auch ihres Gemahls Tätigkeit und Ansehen a u ß e r h a l b seiner eigenen vier Pfähle sein mochte, i n n e r h a l b derselben jedenfalls das Kommando, und nicht immer mit Mäßigung führte, und der Aktuar suchte den Hausfrieden wenigstens soviel als möglich zu erhalten und jeden Anlaß zu irgendeiner Störung derselben zu vermeiden.
Mit solchen Gedanken vielleicht im Kopf, wollte Ledermann eben vom Marktplatz aus in die Straße einbiegen, an deren äußerstem Ende seine eigene, sehr bescheidene Wohnung stand, als er seinen Titel genannt und sich selber rufen hörte:
«Herr Aktuar – Herr Aktuar Ledermann!»
Er drehte sich rasch um und sah einen Gerichtsdiener eilig auf sich zukommen, der, die Mütze abnehmend, vor ihm stehen blieb und ihm meldete, daß er eben abgeschickt worden, ihn zu holen oder aufzusuchen, da ein Einbruch geschehen sei, über den an Ort und Stelle Protokoll aufgenommen werden solle.
«Protokoll aufnehmen?» sagte Aktuar Ledermann, keineswegs angenehm überrascht. «Ja, was hab’ i c h denn heute damit zu tun, wo ist mein Kollege?»
«Herr Aktuar Beller sind heute Nachmittag unwohl geworden», berichtete der Polizeidiener, «und mußten nach Hause gehen; ich bin eben abgeschickt, um zu sehen, welchen von den anderen Herren ich zuerst treffen könnte.»
«Hm – ist sehr amüsant», brummte Ledermann vor sich hin. «Kommt mir gerade apropos. Bei wem ist es denn?»
«Bei Herrn Dollinger.»
«Was ? – Beim Kaufmann Dollinger?» rief der Aktuar rasch und erstaunt. «Am hellen Tage, während er ausgefahren war?»
«Er ist, wenn ich nicht irre, eben nach Hause gekommen», berichtete der Mann, «und hat, glaub’ ich, sein Pult geöffnet und eine bedeutende Summe Geldes entwendet gefunden.»
«Hm, hm, hm», sagte der Aktuar kopfschüttelnd und seinen Rock dabei, den er der Bequemlichkeit wegen aufgelassen hatte, zuknöpfend, «es wird immer besser hier bei uns; am hellen, lichten Tage! Aber die ganze Stadt steckt auch voll fremden Volkes, das sich natürlich keine Gelegenheit entschlüpfen läßt, Reisegeld zu bekommen.»
«Es muß doch wohl jemand gewesen sein, der mit dem Hause genau bekannt war», sagte der Polizeidiener. «nach dem wenigstens, was ich bis jetzt von den Dienstleuten darüber gehört habe, kann’s nicht gut anders sein.»
«Nun, wir werden ja sehen; da muß ich aber erst….»
«Wenn sich der Herr Aktuar nur an Ort und Stelle bemühen wollen», sagte jedoch der Diener des Gerichts. «Alles nötige ist schon dorthin geschafft, und ich war eben nur fortgelaufen, um einen der Herren zu suchen.»
Der Aktuar, dem Dienste natürlich Folge leistend, seufzte tief auf und schritt, im Geist wahrscheinlich des Empfangs gedenkend, der seiner harrte, wenn seine Frau auf ihn mit dem Abendessen warten mußte, rasch die Poststraße hinaufbiegend, dem gar nicht weit entfernten Dollinger’schen Hause zu, um dort den Tatbestand in Augenschein und zu Protokoll zu nehmen, etwaige Spuren des Übeltäters zu entdecken und zu verfolgen, und die Leute im Hause nach möglichem Verdacht zu inquirieren.
* * *
Im Hause des reichen Kaufmanns Dollinger, in dem alles sonst so still und ruhig und wie am Schnürchen zuging, wo jeder seine angemessene und fest bestimmte Beschäftigung hatte, genau wußte, was ihm oblag, und das tat, ohne eben viel Lärm darum zu machen, lief und rannte und sprach heut alles durcheinander, und sämtliche Bande der Ordnung schienen gelöst.
Frau Dollinger vor allen Dingen lag in Krämpfen in ihrem Boudoir und beanspruchte die Hilfe ihrer beiden Töchter und der weiblichen Dienstboten im Haus, um ihren Zustand zu bewachen; Herr Dollinger selber war in seinem Zimmer des oberen Stocks und ging dort mit raschen Schritten und auf dem Rücken gekreuzten Armen auf und ab, während dem jungen Henkel indessen die Bewachung des Platzes übertragen war und die anderen Dienstboten, mit einem nicht unbedeutenden Teil der Nachbarschaft und deren Verwandten, in den verschiedenen Winkeln und Ecken des Hauses umherstanden, und kopfschüttelnd die Hände ein über das andere Mal in Verwunderung zusammen-schlugen. Die verschiedenartigsten Vermutungen und Beweise wurden da laut, und die Orte und Stellungen oder Beschäftigungen jedes Einzelnen auf das Genaueste und Peinlichste angegeben, wo und wie sich jeder gerade in der Zeit etwa befunden haben mochte, als die entsetzliche, verruchte Tat geschehen und vollbracht sein mußte.
Dem Aktuar mit dem ihm folgenden Gerichtsdiener wurde übrigens willig und dienstfertig Platz gemacht; alle wollten aber hinterdrein, und die Frauen besonders gaben dabei durch die entschiedensten Ausrufe: «Ne, Du meine Güte!» und «Ne, so ‘was!» ihre vollkommenste Mißbilligung des Geschehenen zu erkennen. Nichtsdestoweniger wurde auch selbst ihnen die Tür vor der Nase zugemacht, und einer der Bedienten bekam strenge Ordre, die Hausflur zu räumen und niemand mehr, so lange die Untersuchung dauere, die Treppe hinaufzulassen, ausgenommen, es wisse jemand noch um den Diebstahl und könne irgendeinen Fingerzeig geben, um den Dieben auf die Spur zu kommen. Solche Zeugen sollten nachher vernommen werden.
Oben an der Treppe empfing sie Herr Henkel, um sie gleich an den Ort, wo der Diebstahl verübt worden, hinzuführen. Einer der Leute war indessen abgeschickt, um Herrn Dollinger selber zu rufen, und dieser erschien jetzt, den Aktuar freundlich grüßend.
Es war indessen schon ziemlich dunkel und im Zimmer Licht angezündet worden.
«Ich bedaure sehr, Herr Dollinger», sagte der Aktuar, «daß, wie ich gehört habe, eine so fatale Sache mich hier in Ihr Haus führen mußte.»
«Ja, allerdings», erwiderte der alte Herr, «ist es sehr unangenehm; weniger des Verlustes wegen, der sich allenfalls ertragen ließe, als wegen des Bewußtseins getäuschten Vertrauens, mit selbst keinem gewissen Anhaltspunkt auf Verdacht. Ich wollte gern das Doppelte verloren haben, wenn es hätte auf andere Weise geschehen können.»
«Das Ganze ist übrigens mit einer raffinierten Geschicklichkeit ausgeführt», fiel Henkel hier ein, «und der Täter, wer auch immer, jedenfalls ein höchst