Nach Amerika! Bd. 1. Gerstäcker Friedrich

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Nach Amerika! Bd. 1 - Gerstäcker Friedrich


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brauchen. Hier, Mamsell Rieke, wenn Sie sich die Schürze abgedreht haben, dann seien Sie so gut und sagen Sie uns einmal, wo und wie Sie den Herrn Loßenwerder gesehen haben.»

       «Ich – ich weiß nicht gewiß», stammelte das Mädchen verlegen, «aber – aber Loßenwerder – kam, bald nachher wie die Herrschaft fortgefahren war… »

       «Wie lange nachher?» frug der Aktuar.

       «Etwa eine halbe Stunde denk’ ich – vielleicht nicht so lange – kam er viel rascher, als es sonst seine Art ist, denn er geht gewöhnlich immer sehr langsam – kam er – kam er aus der Tür heraus, die er geschwind hinter sich zuzog – und dann…. »

       «Und dann?»

       «Und dann hielt er den Kopf nieder, als ob er nicht wollte, daß ihn jemand, der vielleicht von oben heruntersähe, erkennen möchte – hielt er den Kopf nieder und drückte sich – drückte sich dicht am Haus hin, so schnell er konnte die Straße hinunter, und um die Ecke.»

       «Und nachher?» frug der Aktuar.

       «Nu, um die Ecke kann sie doch nicht sehen», sagte die Köchin.

       «Ob S i e still sein wird», sagte Herr Ledermann jetzt aber wirklich böse gemacht. «Wenzel, wenn mir die Person da jetzt noch einmal das – noch einmal den Mund auftut, dann wissen Sie, was Sie zu tun haben.»

       «Sehr wohl, Herr Aktuar», sagte der Gerichtsdiener.

       «Und sind Sie denn nachher nicht herübergekommen und haben das den Leuten im Hause gesagt, was Sie gesehen?» frug der Aktuar.

       «Ich habe ja aber nichts gesehen», sagte die Rieke.

       «Sie haben doch den Loßenwerder gesehen.»

       «Ja, aber der geht doch so oft in das Haus hier herein, und kommt nachher immer wieder heraus.»

       Der Aktuar warf sich ungeduldig herüber und hinüber und sagte endlich mürrisch:

       «Unsinn – barer Unsinn – aber hatte er denn irgend etwas in der Hand? T r u g er etwas ?»

       «Trug ? – Ja – ja sehen Sie, Herr Aktuar – das kann ich Sie nicht sagen – das weiß ich nicht.»

       «Nun, Sie werden doch gesehen haben, ob er irgendein schweres Paket in der Hand hatte oder nicht.»

       «Ja, sehen Sie, das weiß ich Sie wahrhaftig nicht, aber ich glaube es fast», sagte das Mädchen, «denn ich habe den Herrn Loßenwerder eigentlich noch gar nicht anders gesehen, als daß er irgend ‘was getragen hätte, und wenn’s nur ein paar Briefe gewesen wären oder ein Regenschirm.»

       «Lieber Herr Aktuar, ich glaube Sie sind da auf einer falschen Fährte», sagte Herr Dollinger jetzt. «Man kann einem Menschen allerdings nicht ins Herz sehen, aber für den Loßenwerder möchte ich fast selber einstehen.»

       «Mein bester Herr Dollinger», sagte aber der Aktuar kopfschüttelnd, «es ist das mit den Untersuchungen eine wunderliche Sache, und Leute, auf die man am allerwenigsten gedacht, von denen man nie das geringste Unrecht vermutet hatte, kommen da oft in den sonderbarsten Verwicklungen vor und – sind schuldig. Ich selber kenne Loßenwerder als einen ordentlichen, braven Menschen, und will zu Gott hoffen, daß dieser ganze Verdacht unbegründet ist; das heimliche Schleichen aus dem Haus aber, und daß ihn niemand sonst im Haus gesehen hat, macht ihn verdächtig. Meine Pflicht ist es wenigstens, ihn selbst deshalb zu vernehmen, und ich werde jedenfalls noch heut Abend nach ihm schicken müssen. Unsere Eisenbahnverbindungen sind jetzt zu schnell, und man darf keiner Menschenseele mehr zwölf Stunden Vorsprung lassen, wenn man nicht oft das leere Nachsehen haben will.»

       «Passen Sie auf», sagte Herr Dollinger, «der Loßenwerder wird den Blumenstock zum Geburtstag Claras oben hinaufgetragen haben, und zum Dank dafür kommt der arme Teufel jetzt noch in den Verdacht des fatalen Diebstahls.»

       «Wie aber ist er ohne Nachschlüssel in die verschlossene Tür gekommen?» warf der Aktuar ein.

       «Hm», sagte Herr Dollinger, «das weiß ich freilich nicht – nun, fragen Sie ihn selber, das wird jedenfalls der kürzeste Weg sein.»

       «Um das Verzeichnis der gestohlenen Gegenstände dürfte ich Sie dann vielleicht nachher noch bitten.»

       «Meine Tochter wird es gerade schreiben», sagte Herr Dollinger, «wenn Sie nur noch kurze Zeit warten wollen.»

       «Dann dürfte ich Sie wohl bitten, es mir gleich in meine Wohnung zu schicken», meinte der Aktuar nach kurzer Überlegung. «Ich muß noch vor allen Dingen erst in meine Wohnung und werde dann von da gleich noch einmal ins Büro gehen. Wo ist denn der Loßenwerder wohl am leichtesten zu finden?»

       «Ich habe eben nach seinem Hause geschickt», sagte Herr Dollinger, «aber dort ist er nicht. Paul, der Bursche, behauptet, er ginge manchmal, aber selten, in eine Bierstube an der Ecke Rößnitzer- und Hertzergasse18, aber dort war er auch nicht. Es ist übrigens an beiden Orten bestellt, ihn gleich, sowie jemand seiner ansichtig wird, hierher zu schicken.»

       «Sehr wohl», sagte der Aktuar, seine Papiere zusammenpackend und sie dem Gerichtsdiener übergebend, nach kurzer Begrüßung wollte er sich dann eben entfernen, als er noch einmal in der Tür stehen blieb und, sich scharf auf dem Absatz herumdrehend, fragte:

       «Apropos – r a u c h t Loßenwerder?»

       «So viel ich weiß, n i c h t », sagte Herr Dollinger.

       «Doch ja, manchmal», sagte einer der Leute. «Sonntags nach Tisch zum Beispiel regelmäßig eine Zigarre.»

       «Hm, so?» sagte der Aktuar und verließ dann rasch das Zimmer und Haus.

       Er hatte übrigens auch alle Ursache sich zu beeilen, denn daheim wartete ein mit jeder Minute drohender aufsteigendes Unwetter auf ihn, das er mit einer Art von verzweifelter Hoffnung immer noch mit den dem Gerichtsdiener wieder zu dem Zweck abgenommenen und geschäftsmäßig unter den Arm geklemmten Akten-Streifen abzuleiten gedachte. Jedenfalls m u ß t e ihm der Vorfall im Dolleringer’schen Haus, der so viel von seiner Zeit in Anspruch genommen, entschuldigen. Frau Aktuar Ledermann aber hatte sich schon den ganzen Nachmittag über, mit immer wachsender Ungeduld, vorgenommen gehabt, mit ihrem Gatten geben Abend einen der vor der Stadt gelegenen Gärten, wo Konzert sein sollte, zu besuchen, und die Partie war ihr jetzt – was halfen alle Gründe dagegen – zu Wasser geworden. Es verstand sich von selbst, daß Aktuar Ledermann die Schuld, und deshalb auch die Folgen trug.

       Frau Aktuar Ledermann hatte sich übrigens vor einigen Tagen, wo sie trotz des nassen Wetters und allen Vorstellungen ihres Mannes spazieren gegangen war, furchtbar erkältet und brachte keinen lauten Ton über die Lippen. Das aber, und daß sie ihren gerechtfertigten Ingrimm nicht mit der vollen Kraft ihrer Stimme hinaus g i e ß e n konnte über den Gatten, wie sie es – und er auch – gewohnt war, sondern alles das, was sie ihm zu sagen hatte – und sie hatte ihm viel zu sagen – hinaus f l ü s t e r n mußte, reizte ihren Zorn nur noch immer mehr.

       «Aber, liebes Kind, ich versichere Dir», sagte der Aktuar in einem vergeblichen Versuch den ansteigenden Sturm zu beschwichtigen, «daß ich mich über anderthalb Stunden bei dem verwünschten Diebstahl im Dollinger’schen Hause aufgehalten habe und…. »

       «Und i c h versichere Dir», zischte sie, mit einem Gesicht, dem die Anstrengung, die es sie kostete, die Worte hörbar zu machen, einen noch viel unfreundlicheren, ja sogar boshaften Ausdruck gab, «daß ich Dich vor anderthalb Stunden schon geradeso erwartet habe wie jetzt, und seit d r e i Stunden vollkommen angezogen dasitze und auf Dich passe.»

       «Aber Du b i s t ja gar nicht angezogen, beste Therese.»

       «Weil ich mich wieder a u s gezogen habe », rief die Frau, «glaubst Du, ich soll mir ein Beispiel an einem liederlichen Menschen nehmen, und bei Nacht und Nebel noch draußen herumstreichen, wie Leute, die das Licht zu scheuen haben ? – Und dann mit meinem Katarrh – daß ich mir den Tag über im warmen Sonnenschein ein wenig Bewegung machte, das fällt Dir nicht ein; aber nachts,


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