Nach Amerika! Bd. 1. Gerstäcker Friedrich

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Nach Amerika! Bd. 1 - Gerstäcker Friedrich


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nun, das laß ich gelten, und es freut mich wahrhaftig, daß Ihr endlich einmal auftaut und unter Menschen kommt. Aber was ist denn heute los bei Euch? – Denn einen ganz besonderen Grund muß doch d i e Festlichkeit haben!»

       «Ha – ha – ha – hat sie auch, He – He – He – Herr Ke – Ke – Ke – Kellmann», sagte der kleine Mann, verlegen lächelnd und sich etwas schüchtern dabei umschauend; denn es schien ihm nicht angenehm, die Aufmerksamkeit der übrigen Gäste so direkt auf sich gelenkt zu sehen.

       «Jetzt kann ich aber auch den Leuten widersprechen», sagte Kellmann, seinen Hut und Stock an einen der nächsten Haken hängend und sich neben ihn setzend, «wenn sie behaupten, Ihr tränkt nur Wasser und Sonntags höchstens einmal ein Glas Dünnbier20 – ich kriege Leibschneiden, wenn ich nur an das Zeug denke – und sonst lebtet, als ob Ihr die Woche mit einem halben Taler auskommen mußtet. Alle Wetter, Mann, das ist recht, daß Ihr Euch auch manchmal ein Glas Rheinwein gönnt; das hält Leib und Seele zusammen, und stärkt die Nerven und Muskeln mehr wie Rindfleisch. Würde mir schwer ankommen, wenn ich unseren vaterländischen Wein entbehren müßte!» setzte er mit einem halb unterdrückten Seufzer hinzu.

       «Ha – ha – ha – haben Sie a – a – a – auch wohl ni – ni – nicht nö – nö – nö –nö – nötig, be – be – be – bester He – he – he – he - he... »

       «Ih nun, wer weiß, was einem noch alles bevorsteht», unterbrach ihn Kellmann, «hier, Kellner – mir auch eine Flasche von dem Rüdesheimer; der Duft hat mir Appetit gemacht.»

       «Hallo, Loßenwerder, bei einer Flasche Rüdesheimer!» rief aber jetzt noch eine andere Stimme aus dem nächsten Stübchen, wo ein paar junge Kaufleute bei ihrem Glase zusammensaßen. «Da müssen wir auch dabei sein, Loßenwerder hat vielleicht heute seinen splendigen Tag und traktiert21 – haben Sie ‘was in der Lotterie gewonnen?»

       Die jungen Leute, die Kellmann und Loßenwerder begrüßten, kamen mit ihrer Flasche heraus und setzten sich an denselben Tisch, mit dem immer verlegener werdenden kleinen Mann anstoßend und trinkend. Denen gesellten sich aber noch bald darauf andere zu; Loßenwerder war in der ganzen Stadt bekannt und oft auch, seiner körperlichen Mängel wegen, zum Besten gehalten. Verteidigen konnte er sich aber schon seines Stotterns wegen nicht, was den Gegnern gleich nur noch mehr Anlaß und Stoff gegeben hätte; so wurde denn diese freilich gezwungene Zurückhaltung endlich für Gutmütigkeit ausgelegt, mit der er sich Scherz und Stichelrede ruhig gefallen ließ, und was die schärfste Erwiderung nicht vermocht, erreichte er unfreiwillig dadurch: daß man es endlich müde wurde, den sich nicht Verteidigenden zum Besten zu haben, und ihn eben zufrieden ließ. Aber in des Verwachsenen Betragen änderte das nichts. In nur sehr wenigen Ausnahmen von allen, mit denen er in Berührung kam, abgestoßen und verhöhnt, zog er sich mehr und mehr in sich selbst zurück, ging, außer den nötigen Geschäftswegen und außer der Geschäftszeit, fast nirgends hin und lebte so einfach, ja fast dürftig, wie nur ein Mensch leben kann, der eben n u r Geld ausgibt um zu existieren. In einem Weinkeller hatte ihn aber noch niemand gesehen, und die Gäste dort, die überdies keinen weiteren Zweck hatten als sich zu amüsieren, glaubten das einmal einen Abend mit dem kleinen ,Stotterberg’, wie er spottweis, seines Stotterns und Höckers wegen, genannt wurde, am besten tun zu können.

       Im Anfang wollte sich Loßenwerder aber auf nichts einlassen, ja machte sogar zwei oder drei, wenngleich vergebliche Versuche, sich zu entfernen, denn von allen Seiten wurde er gehalten und jeder wollte und mußte mit ihm trinken. Nach und nach aber fing er an aufzutauen, der ungewohnte kräftige Wein mochte ihm das Blut leichter und rascher durch die Adern jagen. Nun sollte er erzählen, aber das ging nicht; sein Stottern wurde mit der schwereren Zunge kaum verständlich, bis einer, im Spott eben, auf den Gedanken kam, ihm zum S i n g e n aufzufordern. Loßenwerder weigerte sich erst ganz verschämt; das aber kam den anderen zu komisch vor, und mit Lachen und Toben, während ein paar schon Champagner bestellten, um den Genuß würdig zu feiern, räusperte sich Loßenwerder plötzlich und stieg, von dem Wein erregt und jetzt unter dem lauten Jubel der ihn umdrängenden Gäste, auf einen Stuhl.

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       Was aber, wie sich die Übrigen gedacht, Spott und Scherz hatte werden sollen, das erstarb in atemlosen Schweigen, nur von leisen Ausrufungen des Staunens und der Bewunderung unterbrochen, als der kleine verkrüppelte Mensch mit einer hellen, glockenreinen Stimme und Tönen, die zum innersten Herzen drangen, erst noch scheu, dann aber immer zuversichtlicher werdend und wie von dem Inhalt des Liedes mit fortgerissen, dieses also begann :

       «Ich habe schon zu oft geschaut

       In Deiner Augen Glanz, Du Holde,

       Auf meine Kraft zu fest vertraut,

       Viel mehr, als ich vertrauen sollte.

       Doch nein, für Dich, Geliebte sind

       Des Lebens schönste, reinste Blüten,

       Von keinem Schmerz getrübt, bestimmt,

       Und was könnt’ ich dafür Dir bieten?

       Nichts – gar nichts, als ein treues Herz;

       Doch nimmer sollst Du es erfahren –

       Ich kann, wie früher, meinen Schmerz

       In tiefer, innerer Brust bewahren.

       Sei glücklich! – Wenn auch ohne mich,

       Ich will Dich lieben, aber schweigen,

       Und mein Gebet nur soll für Dich

       Empor zum Thron des Höchsten steigen.

       Wenn dann mein Herz im Grabe liegt

       Und ausgeträumt seine stillen Leiden,

       Dann soll der Geist zum Himmel nicht

       Entflieh’n und zu der Sel’gen Freuden. –

       Ein schön’res Los werd’ ihm zu Teil :

       Umschwebend Dich in trüben Tagen

       Soll er, zu Deinem Schutz und Heil,

       Selbst seiner Seligkeit entsagen.»

       Loßenwerder war beim Schluß des Liedes ganz gerührt geworden und die Tränen standen ihm in den Augen. Während sein wirklich häßliches Gesicht durch den Schmerz aber eher einen komischen als ernsten Ausdruck bekam, jubelte die Schar jetzt um ihn her, die wirklich erst wieder Atem und Laut gewann, als der wundersame Zauber dieser Stimme von ihnen genommen war.

       «Bravo – bravo, Loßenwerder – bravo, dacapo ! Donnerwetter, Mann, Ihr habt je eine Stimme wie eine Nachtigall und stottert nicht die Probe dabei. Wie am Schnürchen geht das!»

       «Es ist erstaunlich!» rief Kellmann, vor lauter Verwunderung über das eben Gehörte wirklich fast sprachlos.

       «Nun aber auch trinken – hier, Loßenwerder – hier», riefen sie, ihm das Glas bis zum Rand mit dem schäumenden Trank füllend, «und dann noch ein Lied; bei Gott, das zuckt und prickelt einem ordentlich durch die Adern, und klingt wie Glockenton so rein und voll! Loßenwerder, wo habt Ihr das Singen gelernt?»

       «Vo – vo – vo – vo – von mi – mi – mir se – se – se – selb – bber», stotterte der kleine Mann, kaum imstande, jetzt mit immer schwerer werdender Zunge nur die paar Worte vorzubringen, während ihm im Gesang die Strophen wie der Lerche das schmetternde Lied aus der Kehle wirbelten.

       «Und da hat bis jetzt noch gar kein Mensch etwas davon erfahren!» rief Kellmann wieder. «Behält die liebe Gottesgabe ebenfalls für sich allein, kommt nirgends hin, spricht mit niemand, trinkt und singt mit niemand, und hat eine Stimme in der Luftröhre sitzen, die einer, wer es darauf anzulegen verstände, in reines Gold verwandeln könnte.»

       Von allen Seiten tranken sie jetzt dem kleinen Mann zu und überschütteten ihn mit Lob und Jubel, und dieser schwamm wirklich in einem wahren Meer von Wonne. So wohl war ihm auch noch


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