Die Zeitmaschine. H. G. Wells

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Die Zeitmaschine - H. G. Wells


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des Zeitreisenden dargelegt, wären wir ihm gegenüber weit weniger skeptisch gewesen. Denn wir hätten seine Motive erkannt; ein Schweineschlachter konnte Filby verstehen. Aber der Zeitreisende zählte mehr als nur einen Anflug von Wunderlichkeit zu seinen Eigenheiten, und wir misstrauten ihm. Dinge, die einen weniger klugen Mann berühmt gemacht hätten, schienen in seinen Händen nur Taschenspielertricks zu sein. Es ist von Nachteil, die Dinge zu einfach aussehen zu lassen. Ernsthafte Menschen, die versuchten ihn selbst ernst zu nehmen, schienen sich seines Verhaltens nie so ganz sicher zu sein; sie waren sich unterschwellig der Tatsache bewusst, dass in Bezug auf ihn ihrer wohl beleumundeten Urteilskraft zu vertrauen so ähnlich war, wie ein Kinderzimmer mit feinstem Porzellan auszustatten. Daher glaube ich nicht, dass einer von uns in der Zeit bis zum nächsten Donnerstag besonders viel von Zeitreisen sprach, auch wenn deren befremdliche Möglichkeiten jedem von uns zweifelsfrei durch den Sinn gingen; das heißt ihre Plausibilität, ihre praktische Unglaublichkeit, die merkwürdigen Möglichkeiten der Anachronismen und der völligen Verwirrung, die durch diese Gedankengänge ausgelöst wurden. Was mich angeht, so ging mir der Trick mit dem Modell einfach nicht aus dem Kopf. Ich erinnere mich, wie ich mit dem Mediziner darüber diskutierte, als ich ihn am Freitag bei der Linné-Gesellschaft traf. Er sagte, er habe etwas Ähnliches einmal in Tübingen gesehen, und legte beträchtliche Betonung auf das Verlöschen der Kerze. Aber wie der Trick funktioniert haben sollte konnte er nicht erklären.

      Am nächsten Donnerstag machte ich mich wieder auf den Weg nach Richmond – ich nehme an, ich war einer der regelmäßigsten Gäste des Zeitreisenden – und fand bei meiner späten Ankunft bereits vier oder fünf Männer in seinem Salon versammelt vor. Der Mediziner stand vor dem Feuer, ein Blatt Papier in der einen Hand und seine Uhr in der anderen. Ich sah mich nach dem Zeitreisenden um, und –

      »Es ist jetzt halb acht«, sagte der Mediziner. »Ich nehme an, dann nehmen wir jetzt das Dinner zu uns?«

      »Wo ist ––––?«, fragte ich, unseren Gastgeber nennend.

      »Sie sind gerade erst gekommen? Das alles ist recht seltsam. Er wurde unvermeidlich aufgehalten. Er hat mich in dieser Notiz gebeten, Sie alle um sieben zum Dinner zu führen, falls er nicht zurück sein sollte. Schreibt, dass er alles erklären wird, wenn er kommt.«

      »Es erscheint mir zu schade, das Essen verkommen zu lassen«, sagte der Herausgeber einer wohlbekannten Tageszeitung; und daraufhin läutete der Doktor die Glocke.

      Der Psychologe war die einzige Person außer dem Doktor und mir, die beim vorherigen Dinner zugegen gewesen waren. Die übrigen Männer waren Blank, der bereits erwähnte Herausgeber, ein gewisser Journalist und ein anderer Mann – ruhig, scheu und mit Bart – den ich nicht kannte und der, soweit ich es beobachten konnte, den ganzen Abend niemals den Mund öffnete. Am Esstisch wurde etwas über die Abwesenheit des Zeitreisenden spekuliert, und halb im Scherz deutete ich an, er sei auf Zeitreise. Der Herausgeber wollte das näher erläutert haben, und der Psychologe gab von sich aus eine hölzerne Schilderung des »ausgeklügelten Paradoxons und Tricks« zum Besten, deren Zeuge wir vor einer Woche gewesen waren. Er war inmitten seiner Ausführungen, als sich die Tür zum Korridor langsam und lautlos öffnete. Ich saß der Tür gegenüber und bemerkte dies als erster.

      »Hallo!«, sagte ich. »Endlich!« Die Tür öffnete sich weiter und der Zeitreisende stand vor uns. Mir entfuhr ein überraschter Ausruf.

      »Gütiger Himmel, Mann! Was ist denn los?«, rief der Mediziner, der ihn als nächster sah. Und nun wandte sich die ganze Tafel der Tür zu.

      Er befand sich in einem erstaunlich mitgenommenen Zustand. Sein Mantel war staubig und verschmutzt, beide Ärmel grün beschmiert; sein Haar war zerzaust, und es kam mir auch grauer vor – entweder wegen des Staubes und Schmutzes oder weil seine Farbe tatsächlich verblasst war. Sein Gesicht war totenblass; an seinem Kinn war ein brauner Schnitt – ein Schnitt der nur halb verheilt war; seine Miene war hager und ausgezehrt, als habe er starke Entbehrungen erlitten. Einen Augenblick lang zögerte er im Durchgang, als sei er vom Licht geblendet. Dann trat er ins Zimmer. Er bewegte sich mit genau dem gleichen Humpeln, das ich auch bei fußkranken Landstreichern gesehen habe. Wir starrten ihn schweigend an und warteten, dass er zu sprechen begänne.

      Er sprach kein Wort, sondern trat mit schmerzhafter Miene an den Tisch und deutete auf den Wein. Der Herausgeber füllte ein Glas mit Champagner und schob es ihm zu. Er leerte es, und es schien ihm gut zu tun: denn nun sah er sich an der Tafel um und ein geisterhafter Hauch seines alten Lächelns huschte über sein Gesicht.

      »Was um aller Welt haben Sie getrieben, Mann?«, fragte der Doktor.

      Der Zeitreisende schien ihn nicht gehört zu haben. »Lassen Sie sich nicht von mir beunruhigen«, sagte er, mit einer gewissen stockenden Aussprache. »Mir geht es gut.« Er hielt inne, streckte sein Glas zum Nachschenken aus und leerte es in einem Zug.

      »Das ist gut«, sagte er. Seine Augen hellten sich auf, und ein Anflug von Farbe kehrte in seine Wangen zurück. Sein Blick huschte mit einer gewissen matten Zustimmung über unsere Gesichter, dann streifte er durch das warme und gemütliche Zimmer.

      Schließlich sprach er von neuem, als suche er sich gewissermaßen einen Weg durch die Worte. »Ich werde mich waschen und umziehen, und dann werde ich herunterkommen und alles erklären… Lassen Sie mir etwas von dem Hammel übrig. Ich schmachte nach einem Stück Fleisch.«

      Er sah zu dem Herausgeber herüber, der ein seltener Gast in diesem Haus war, und äußerte die Hoffnung, dass es ihm gut gehe. Der Herausgeber setzte zu einer Frage an.

      »Ich sage es Ihnen in Kürze«, sagte der Zeitreisende. »Mir ist etwas – wunderlich! Gleich wird alles wieder gut sein.«

      Er stellte sein Glas ab und schritt in Richtung der Treppe. Wieder fielen mir sein Hinken und das leise, sanfte Geräusch seiner Schritte auf, und als ich an meinem Platz aufstand, konnte ich seine Füße sehen, als er hinausging. An ihnen befand sich nichts außer einem Paar zerfetzter, blutbefleckter Socken. Dann schloss sich die Tür hinter ihm. Mir war halb danach, ihm zu folgen, bis mir wieder einfiel, wie sehr er es hasste, wenn man ein Getue um ihn machte. Vielleicht eine Minute lang war ich vollkommen abwesend. Dann hörte ich, wie der Herausgeber sagte: »Bemerkenswertes Verhalten eines Herausragenden Wissenschaftlers.« Er äußerte sich in Schlagzeilen, wie es seine Art war. Das lenkte meine Aufmerksamkeit auf die helle Dinnertafel zurück.

      »Was ist denn überhaupt los?«, fragte der Journalist. »Spielt er den Amateurbettler? Ich verstehe das nicht.« Ich begegnete dem Blick des Psychologen und las meine eigene Interpretation in dessen Gesicht. Ich dachte daran, wie der Zeitreisende schmerzhaft nach oben humpelte. Ich glaubte nicht, dass ein anderer sein Hinken bemerkt hatte.

      Der erste, der sich völlig von seiner Überraschung erholte war der Mediziner, der die Glocke läutete – der Zeitreisende hasste es, wenn Diener beim Essen aufwarteten – um eine heiße Platte kommen zu lassen. Daraufhin wandte sich der Herausgeber mit einem Grunzen seinem Besteck zu, und der Schweigsame Mann tat es ihm nach. Das Dinner wurde fortgesetzt. Die Unterhaltung beschränkte sich für eine kurze Weile auf einige Ausrufe, erfüllt von staunendem Keuchen; dann überwältigte den Herausgeber sein neugieriger Eifer.

      »Bessert unser Freund sein bescheidenes Einkommen als Straßenfeger auf? Oder hat er Anwandlungen, sich wie Nebukadnezar aufzuführen?«, wollte er wissen.

      »Ich bin mir sicher, dass es mit dieser Zeitmaschine zu tun hat«, sagte ich und nahm von dem Psychologen den Faden seines Berichtes über unser voriges Treffen auf.

      Die neuen Gäste glaubten ganz offen nichts davon. Der Herausgeber erhob Einwände. »Was war das denn für eine Zeitreise? Ein Mann kann sich ja wohl kaum mit Staub bedecken, indem er sich in einem Paradox wälzt, oder?« Und dann, als der Gedanke in ihm herangereift war, wandte er sich dem Spott zu. Gab es in der Zukunft etwa keine Kleiderbürsten?

      Der Journalist wollte ebenfalls um keinen Preis etwas davon glauben und schloss sich dem Herausgeber an, die ganze Sache der Lächerlichkeit preiszugeben. Sie gehörten beide der neuen Art von Journalist an – sehr spaßige, respektlose junge Männer.

      »Unser Sonderkorrespondent im Übermorgen berichtet«, sagte der


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