Tod im Kanzleramt. Stefan Koenig
Читать онлайн книгу.doch hoffentlich nicht der Thunderbird?“
„Doch.“
Wir beide waren Oldtimer-Fans. Altmaier hatte neben seinem schwarzen Dienstwagen einen Thunderbird Baujahr 1970, einen echten geilen Oldtimer, tadellos erhalten, Kilometerstand nur 72 000 km. Er hatte ihn aus den USA importieren lassen. Er fuhr selten damit, nur im Sommer. Er liebte ihn. Es war so etwas wie eine gegenwärtige Erinnerung an seinen ersten Kontakt zur Atlantikbrücke, wo man sich unter anderem über solche Limousinen persönlich näher kam.
„So ‘ne Scheiße!“ sagte ich, und ich meinte es ehrlich.
Er nickte langsam. „Ich wollte erst gar nicht mit ihm hier herausfahren, wollte ihn in zuhause in der Garage lassen, wissen Sie. Hätte eigentlich den Dienstwagen genommen. Dann sagte ich mir, was soll’s. Und jetzt ist mir eine alte morsche Kiefer draufgefallen. Das ganze Dach ist zerschmettert …“
Er schluckte und sein Mund bewegte sich wort- und zahnlos, als kaue er Datteln. Einen Augenblick fühlte ich mich hilflos, dann sagte ich: „Ist Ihr Auto versichert?“
„Ja“, erwiderte er, „genau wie alles hier auf dem Gelände - über unseren Freund Maschmeier.“
Es war – rein privat gesehen - ein beruhigendes Argument, und doch musste ich unwillkürlich an die Riesterrente und all den anderen unsozialen Unsinn denken, den Maschmeiers Seilschaften als Gesetzespakete bei unseren Regierenden durchgesetzt hatten, Vorteilsannahmen natürlich völlig ausgeschlossen. Wir gingen zum Haupteingang des Amtes zurück. Als ich mich vor dem Tor nach Yousef umdrehte, um mich zu vergewissern, dass er noch an die abgerissenen Stromkabel dachte, sah ich auf die östliche Straßenseite hinüber: Die Brise war etwas frischer geworden, die Temperatur um etwa fünf Grad gestiegen, während ich mit dem Inspizieren der Schäden beschäftigt gewesen war. Ich hatte gedacht, dass der seltsame Nebel von vorhin sich inzwischen bestimmt aufgelöst haben würde, aber er war noch immer da. Er war näher gekommen. Er hatte jetzt die zwischen uns und dem Ostteil Berlins liegenden Straßen zur Hälfte überquert.
„Mir ist das vorhin schon aufgefallen“, sagte Altmaier in seiner altklugen Art. „Es dürfte sich hierbei um eine Temperatur-Inversion handeln.“
Es gefiel mir nicht. Ich wusste genau, dass ich noch nie einen solchen Nebel gesehen hatte. Das lag zum Teil an der entnervend geraden Front. In der Natur ist nichts so völlig eben; die geraden Kanten und Ecken hat der Mensch erfunden. Zum Teil lag es an dieser blendend weißen Farbe ohne jede Schattierung, aber auch ohne das Funkeln von Feuchtigkeit. Der Nebel war jetzt nur noch etwa einen Kilometer entfernt, und der Gegensatz zwischen ihm und dem Blau des Himmels war noch auffallender als zuvor.
Yousef stand plötzlich neben mir. „Nun komm schon, Stefan!“ Er zog an meiner Hose.
Wir gingen in den behelfsmäßigen Partyraum – man könnte ihn jetzt Kantine nennen - zurück, wo Gaby im Flur auf uns wartete. Bevor wir die Stufen hinunter gingen, warf Peter Altmaier des guten Anstands halber einen bedauernden Blick auf den Baum, der in den oberen Partyraum gestürzt war. Dann glitten seine Blicke über Gabys Beine. Nein, er war kein Mann, den ich jemals richtig mögen könnte.
Ich ging in mein Büro und bat Gaby, einen Moment alleine bei Yousef zu bleiben. „Hör mal, Gaby, seht ihr beide doch mal nach, ob Yousefs Mama wach ist. Eigentlich ist sie ja eine Frühaufsteherin“, sagte ich.
Ich wollte ungestört mit meiner Frau telefonieren. Ich konnte mir selbst gegenüber zwar keinen konkreten Grund dafür angeben, aber ich wollte plötzlich, dass ich ihre Stimme hörte. Ich wollte hören, dass dort unten im hessischen Lowbrook mit dem Wetter alles in Ordnung sei.
„Nein, Stefan, wir hatten hier auch ein gewaltiges Unwetter. Ich werde lieber im Haus bleiben; vielleicht später im Garten aufräumen. Ansonsten ist alles in Ordnung“, erwiderte sie mir auf meine Frage. Alexas Stimme verriet mir, dass etwas absolut nicht in Ordnung war, aber sie wollte mich nicht beunruhigen. „Es sieht heute Morgen ganz so aus, als sei ich hier das Einzige, was nicht auf Elektrizität angewiesen ist.“
Ich hatte ihre Botschaft verstanden, versuchte es aber noch einmal: „Bist du sicher, dass alles okay ist?“
„Ganz sicher!“
Ich schickte ihr ein Kussi durch die Leitung. Ich stellte mir vor, wie sie jetzt ihr Gesicht zu mir emporrecken würde, um sich küssen zu lassen.
„Sei vorsichtig, Stefan. Was Du mir über den Abend und die Nacht erzählt hast, klingt nicht vertrauenerweckend.“
„Ich werd‘ bestimmt vorsichtig sein. Aber unsere Regierung hat ja eine Menge Dienststellen und Helfer, die alles wieder ins Reine bringen. Verlass dich drauf.“
„Trotzdem, sei schön vorsichtig“, ermahnte sie mich und erwiderte meinen Kuss durch das Telefonnetz.
„In Ordnung, Schätzchen.“
„Vielleicht gehe ich doch schon in den Garten. Die Wolkendecke reißt gerade auf und draußen ist eine Menge zu tun.“
Ich stellte mir vor, wie sie gleich schon im Garten hantieren würde. Sie würde ihre grüngummierten Gartenhandschuhe tragen und hätte in der einen Hand wahrscheinlich eine Baumschere, in der anderen einen Eimer. Sie wird ihren alten schlappen Sonnenhut tragen, dachte ich. Ich küsste noch zwei Mal laut in die Leitung, und sie küsste zurück.
Ich legte auf. Seitdem habe ich meine Frau nicht mehr gehört und gesehen.
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