Einführung in den Buddhismus. Geshe Kelsang Gyatso

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Einführung in den Buddhismus - Geshe Kelsang Gyatso


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Die Essenz der Dharma-Praxis ist es, unsere Verblendungen zu vermindern und schließlich ganz auszulöschen, und sie durch friedvolle, tugendhafte Geisteszustände zu ersetzen. Dies ist der Hauptzweck der Schulung in Meditation.

      Wir sind es gewohnt, unser Glück außerhalb von uns selbst zu suchen. Wir versuchen, bessere materielle Umstände, wie eine bessere Arbeit oder einen höheren gesellschaftlichen Status, zu erreichen. Selbst wenn wir unsere äußeren Umstände mit großem Erfolg verbessern, werden wir trotzdem weiterhin vielen Schwierigkeiten begegnen und unzufrieden sein. Wir erleben niemals reines, andauerndes Glück. In seinen Dharma-Unterweisungen rät uns Buddha, das Glück nicht außerhalb von uns zu suchen, sondern es innerhalb unseres Geistes zu erzeugen. Wie können wir das tun? Indem wir unseren Geist durch aufrichtige Praxis des Buddhadharmas reinigen und kontrollieren. Wenn wir uns auf diese Art schulen, können wir sicherstellen, dass unser Geist jederzeit ruhig und glücklich bleibt. Wir werden dann immer glücklich und friedvoll sein, selbst wenn unsere äußeren Verhältnisse noch so schwierig sind.

      Obwohl wir sehr hart arbeiten, um Glück zu erlangen, ist dieses nur schwer zu erreichen, während Leiden und Probleme ganz natürlich und ohne jede Anstrengung aufzutauchen scheinen. Warum? Weil die Ursache für Glück in unserem Geist - Tugend - sehr schwach ist und nur durch große Anstrengung ihre Wirkung entfalten kann, während die inneren Ursachen für Leiden und Probleme - die Verblendungen - sehr stark sind und ihre Auswirkungen entfalten können, ohne dass wir uns bemühen. Dies ist der wahre Grund, weshalb Probleme wie von selbst entstehen, während Glück so schwer zu finden ist.

      Daraus können wir erkennen, dass sich die Hauptursachen sowohl für unser Glück als auch für unsere Probleme in unserem Geist befinden und nicht in der äußeren Welt. Wären wir in der Lage, den ganzen Tag lang einen ruhigen und friedvollen Geist zu bewahren, würden wir nie irgendwelche Probleme oder geistigen Leiden erleben. Wenn unser Geist ständig friedvoll ist, dann werden wir nicht unglücklich, selbst wenn wir beleidigt, kritisiert oder beschuldigt werden, oder wenn wir unsere Arbeit oder unsere Freunde verlieren. Wie schwierig unsere äußeren Verhältnisse auch werden mögen, die Situation wird nicht zum Problem für uns, solange wir einen ruhigen und friedlichen Geist behalten können. Wenn wir also den Wunsch haben, frei von Problemen zu werden, gibt es nur eines zu tun: zu lernen, einen friedvollen Geisteszustand zu bewahren, indem wir Dharma aufrichtig und rein praktizieren.

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      Vergangene und zukünftige Leben

      Wenn wir die Natur des Geistes verstehen, können wir auch die Existenz vergangener und zukünftiger Leben verstehen. Viele Menschen glauben, dass nach dem Tod und Zerfall des Körpers auch das Kontinuum des Geistes ein Ende nimmt und dass der Geist nicht weiterexistiert, so wie eine Kerzenflamme, deren Wachs verbrannt ist. Es gibt sogar Menschen, die sich mit dem Gedanken tragen, Selbstmord zu begehen in der Hoffnung, dass mit ihrem Tod ihre Probleme und Leiden ein Ende finden; diese Ideen aber sind völlig falsch. Wie bereits erklärt, sind unser Körper und Geist getrennte Wesenheiten. Obwohl der Körper beim Tod zerfällt, erfährt das Kontinuum des Geistes keine Unterbrechung. Anstatt ein Ende zu finden, verlässt der Geist einfach den gegenwärtigen Körper und geht in das nächste Leben über. Gewöhnlichen Wesen bringt der Tod nur neue Leiden, anstatt sie von ihren Leiden zu erlösen. Da sie dies nicht verstehen, zerstören viele Menschen ihr kostbares menschliches Leben, indem sie Selbstmord begehen.

      Ein anderer Weg, der uns zum Verständnis von vergangenen und zukünftigen Leben führt, besteht in der Untersuchung der Vorgänge des Schlafens, Träumens und Aufwachens, weil diese den Vorgängen des Todes, des Zwischenzustandes und der Wiedergeburt sehr ähnlich sind. Wenn wir einschlafen, sammeln sich unsere groben inneren Winde und lösen sich nach innen auf. Unser Geist wird zunehmend subtiler, bis er sich in den sehr subtilen Geist des klaren Lichtes des Schlafes umwandelt. Während das klare Licht des Schlafes manifest ist, erfahren wir tiefen Schlaf und sehen für Außenstehende wie tot aus. Wenn es erlischt, wird unser Geist zunehmend gröber und wir durchschreiten die verschiedenen Ebenen des Traumzustandes. Schließlich werden unser normales Erinnerungsvermögen und die Fähigkeit der geistigen Kontrolle wiederhergestellt, und wir wachen auf. Wenn das geschieht, verschwindet unsere Traumwelt und wir nehmen die Welt des Wachzustandes wahr.

      Ein sehr ähnlicher Vorgang spielt sich während unseres Todes ab. Wenn wir sterben, lösen sich unsere Winde nach innen auf und unser Geist wird zunehmend subtiler, bis sich der sehr subtile Geist des klaren Lichtes des Todes manifestiert. Die Erfahrung des klaren Lichtes des Todes ist der Erfahrung des tiefen Schlafes sehr ähnlich. Wenn das klare Licht des Todes aufhört, erfahren wir die Stadien des Zwischenzustandes oder Bardos auf Tibetisch, der ein traumähnlicher Zustand ist und zwischen Tod und Wiedergeburt eintritt. Nach wenigen Tagen oder Wochen endet der Zwischenzustand und wir werden wiedergeboren. So wie die Traumwelt beim Erwachen aus dem Schlaf verschwindet und wir die Welt des Wachzustandes wahrnehmen, so hören bei der Wiedergeburt die Erscheinungen des Zwischenzustandes auf und wir nehmen die Welt unseres nächsten Lebens wahr.

      Der einzige bedeutsame Unterschied zwischen dem Vorgang des Schlafens, Träumens und Erwachens und dem Vorgang des Sterbens, des Zwischenzustandes und der Wiedergeburt besteht darin, dass nach der Beendigung des klaren Lichtes des Schlafes die Beziehung zwischen unserem Geist und unserem gegenwärtigen Körper intakt bleibt, wogegen diese Beziehung nach dem klaren Licht des Todes abbricht. Wenn wir darüber nachdenken, werden wir die Überzeugung gewinnen, dass vergangene und zukünftige Leben existieren.

      Normalerweise glauben wir, dass die Dinge, die wir in unseren Träumen wahrnehmen, nicht real sind, nehmen aber an, dass die Dinge, die wir im Wachzustand wahrnehmen, echt sind. Buddha aber sagte, dass alle Phänomene wie Träume sind, weil sie lediglich Erscheinungen im Geist sind. Für diejenigen, die Träume richtig interpretieren können, haben sie eine große Bedeutung. Wenn wir zum Beispiel in einem Traum ein bestimmtes Land besuchen, in dem wir in diesem Leben noch nicht gewesen sind, weist unser Traum auf eine von vier Möglichkeiten hin: wir sind in einem früheren Leben in diesem Land gewesen; wir werden es später in diesem Leben besuchen; wir werden es in einem zukünftigen Leben besuchen; oder dieses Land hat für uns eine persönliche Bedeutung, falls wir beispielsweise kürzlich einen Brief aus diesem Land erhalten oder ein Fernsehprogramm darüber gesehen haben. Ähnliches gilt, wenn wir vom Fliegen träumen. Das kann bedeuten, dass wir in einem früheren Leben fliegen konnten wie ein Vogel oder wie ein Meditierender mit Wunderkräften, oder dass wir in Zukunft so ein Wesen sein werden. Ein Traum vom Fliegen kann auch eine übertragene Bedeutung haben, indem er eine Verbesserung unserer Gesundheit oder unseres Geisteszustandes symbolisiert.

      Mit Hilfe von Träumen konnte ich herausfinden, wo meine Mutter nach ihrem Tod wiedergeboren wurde. Kurz bevor sie starb, nickte meine Mutter für einige Minuten ein. Als sie aufwachte, erzählte sie meiner Schwester, die sie betreute, sie hätte von mir geträumt. Im Traum hätte ich ihr einen traditionellen weißen Schal, einen Khatag, dargebracht. Ich deutete diesen Traum so, dass es mir möglich sein würde, meiner Mutter in ihrem nächsten Leben zu helfen. Deshalb betete ich nach ihrem Ableben jeden Tag, dass sie in England wiedergeboren würde, damit ich so die Gelegenheit hätte, ihrer Wiedergeburt zu begegnen und sie wiederzuerkennen. Ich richtete kraftvolle Bitten an meinen Dharmapala, mir klare Zeichen zu geben, wo die Wiedergeburt meiner Mutter zu finden sei.

      Später hatte ich drei Träume, die mir bedeutungsvoll schienen. Im ersten träumte ich, ich hätte meine Mutter an einem Ort getroffen, den ich für England hielt. Ich fragte sie, wie sie von Indien nach England gereist sei, aber sie antwortete, sie sei nicht von Indien, sondern aus der Schweiz gekommen. Im zweiten Traum sah ich meine Mutter zu einer Gruppe von Menschen sprechen. Ich näherte mich ihr und sprach sie auf Tibetisch an, aber sie schien nicht zu verstehen, was ich sagte. Solange sie lebte, sprach meine Mutter nur tibetisch, aber in diesem Traum sprach sie fließend englisch. Ich fragte sie, warum sie ihr Tibetisch vergessen habe; sie antwortete aber nicht. Im selben Traum kam später ein Paar aus dem Westen vor, das beim Aufbau von Dharma-Zentren in England mithilft.

      Beide Träume schienen Hinweise darauf zu geben, wo meine Mutter wiedergeboren worden war. Zwei Tage nach


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