Worin besteht mein Glaube. Лев Толстой

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Worin besteht mein Glaube - Лев Толстой


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Abgesehen davon: bevor sie überhaupt versuchen danach zu handeln, nehmen die Gläubigen sowohl wie die Nichtgläubigen im voraus als entschieden an, dass solches unmöglich ist.

      Christus sagt einfach und klar: jenes Gesetz des Widerstrebens dem Übel mit Gewalt, das ihr als Grundsatz eures Lebens aufstellt, ist falsch und unnatürlich; und er gibt ein anderes Gesetz des Nichtwiderstrebens dem Übel, welches seiner Lehre nach allein die Menschheit vom Übel befreien kann. Er sagt: ihr glaubt, dass eure Gesetze der Gewalttätigkeit das Übel vermindern: nein, sie vergrössern es. Ihr habt tausende von Jahren euch bemüht das Übel durch das Übel zu vernichten und habt es nicht vernichtet, sondern ihr habt es vergrößert. Tuet das was ich sage und tue und ihr werdet erkennen ob das wahr ist. – Und er sagt es nicht bloß, sondern er erfüllt durch sein ganzes Leben und durch seinen Tod seine Lehre über das Nichtwiderstreben dem Übel.

      Die »Gläubigen« hören das alles an, lesen es; man liest es auch in den Kirchen und nennt es göttliche Worte; man nennt ihn Gott, sagt aber: das alles ist sehr schön, bei unseren Lebenseinrichtungen aber ist es unmöglich auszuführen; es würde unser ganzes Leben zerstören, wir aber sind an dasselbe gewöhnt und lieben es. Und deshalb glauben wir an alles das nur in dem Sinne, dass es ein Ideal ist, nach welchem die Menschheit streben soll, – ein Ideal, welches durch das Gebet und durch den Glauben an die Sakramente, an die Erlösung und die Auferstehung von den Toten erreicht wird. Die andern hingegen, die »Nichtgläubigen«, die freien Erläuterer der Lehre Christi, die Historiker der Religionen – Strauss, Renan u. a. – nachdem sie sich die kirchliche Erläuterung dessen vollständig zu eigen gemacht, dass die Lehre Christi gar keine direkte Anwendung auf das Leben hat, sondern eine schwärmerische Lehre ist, die schwachsinnigen Menschen zum Troste gereicht, sagen mit dem grössten Ernste, dass die Lehre Christi allerdings gut war um den wilden Bewohnern der Einöden von Galiläa gepredigt zu werden, uns aber erscheine sie, bei unserer Kultur, nur als ein lieblicher Wahn des »charmant docteur«, wie Renan sagt. Ihrer Meinung nach konnte Christus sich nicht zu der Höhe des Verständnisses all' der Weisheit unserer Zivilisation und Kultur emporschwingen. Stände er auf derselben hohen Stufe der Bildung, wie diese Gelehrten, so spräche er nicht jene lieblichen, unnützen Dinge über die Vögel des Himmels, über das Hinhalten des Backens und die Sorge bloß um den heutigen Tag. Die gelehrten Historiker urteilen über das Christentum nach dem Christentum, das sie in unserer Gesellschaft sehen. Nach dem Christentum aber unserer Gesellschaft und unserer Zeit wird unser Leben mit seinen Einrichtungen, als da sind: Gefängnisse, Einzelhaft, Alkazare, Fabriken, Zeitungen, Bordelle und Parlamente, – als das wahre und heilige anerkannt und aus der Lehre Christi wird nur das genommen, was dieses Leben nicht stört. Da nun aber die Lehre Christi dieses ganze Leben verwirft, so wird aus der Lehre Christi nichts genommen als Worte. Die gelehrten Historiker sehen dies, und da sie nicht genötigt sind es zu verheimlichen, wie die Scheingläubigen es tun, so unterwerfen sie gerade diese, jeglichen Inhalts bare Lehre Christi einer scharfsinnigen Kritik, verwerfen sie und bringen höchst wohlbegründete Beweise dafür an, dass das Christentum nie etwas anderes gewesen ist als eine schwärmerische Idee.

      Man sollte annehmen, dass es notwendig wäre, bevor man die Lehre Christi beurteilt, zu verstehen worin diese Lehre besteht. Und um zu entscheiden ob diese Lehre vernünftig sei oder nicht, müsste man zu allererst anerkennen, dass Christus das, was er gesagt hat, wirklich gesagt hat. Dieses aber tun wir eben nicht: die kirchlichen ebensowenig wie die freidenkenden Erläuterer. Und wir wissen sehr gut weshalb wir das nicht tun.

      Wir wissen sehr wohl, dass die Lehre Christi immer wie auch jetzt jene menschlichen Irrtümer in ihre Verwerfung mit einbegriffen hat, jene »tohu«, jene Götzen, die wir unter dem Namen der Kirche, des Staates, der Kultur, der Wissenschaft, der Kunst, der Zivilisation aus der Reihe der Irrtümer zu retten vermeinen. Christus aber spricht gerade gegen diese, indem er gar keine »tohu« ausschliesst.

      Nicht nur Christus, sondern auch alle hebräischen Propheten, Johannes der Täufer, alle wahren Weisen der Welt sprechen gerade über dieselbe Kirche, über denselben Staat, über dieselbe Kultur und dieselbe Zivilisation und nennen sie das Übel und das Verderben der Menschen.

      Nehmen wir an: der Baumeister sagt zum Hausbesitzer, Ihr Haus ist schlecht, Sie müssen es vollständig umbauen. Und dann wird er über die Einzelheiten sprechen, was für Balken dazu notwendig sind, wie sie behauen und wohin sie gelegt werden müssen. Der Hausbesitzer wird die Erklärung, dass das Haus schlecht sei und umgebaut werden müsse, überhören und wird mit erheuchelter Achtung den Worten des Baumeisters über die weiteren Anordnungen und Einrichtungen im Hause lauschen. Augenscheinlich werden alle Ratschläge des Baumeisters untauglich erscheinen und der den Baumeister Missachtende wird diese Ratschläge geradezu einfältig nennen. Genau dasselbe geschieht in Beziehung auf die Lehre Christi.

      Da ich keinen besseren Vergleich fand, habe ich diesen angewendet und erinnere dabei noch, dass Christus beim Predigen seiner Lehre eben denselben Vergleich aufgestellt hat. Er hat gesagt: ich werde euren Tempel zerstören und in drei Tagen einen neuen Tempel aufbauen. Und dafür ward er gekreuzigt. Und dafür kreuzigt man jetzt seine Lehre.

      Das Geringste was man von Menschen verlangen kann, die irgend jemandes Lehre beurteilen, ist, dass sie diese Lehre so verstehen, wie der Verkündiger derselben sie selbst aufgefasst hat. Und Christus fasste seine Lehre nicht als irgend ein entferntes Ideal der Menschheit auf, das zu erreichen eine Unmöglichkeit wäre, nicht als schwärmerische, poetische Phantasie, mit der er die einfältigen Einwohner von Galiläi bezaubern wollte, nein, er fasste seine Lehre auf als ein Werk, das die Menschheit erlöst, und er schwärmte nicht am Kreuze, sondern er schrie und starb für seine Lehre. Und so starben und sterben noch heute viele Menschen. Eine solche Lehre kann man nicht einen »Wahn« nennen.

      Jede Lehre der Wahrheit ist ein Trugbild für den Verirrten. Wir sind dahin gelangt, dass es viele Menschen gibt (auch ich gehöre zu ihnen), die da sagen, diese Lehre sei eine schwärmerische, weil sie der menschlichen Natur nicht entspreche. Es ist, sagen sie, dem Menschen nicht eigen den andern Backen zu bieten, wenn man ihn auf den einen geschlagen hat; es ist ihm nicht eigen sein Eigentum an Fremde wegzugeben; es ist ihm nicht eigen für andere und nicht für sich zu arbeiten. Es ist dem Menschen eigen, sagen sie, sich zu verteidigen, die Sicherheit seiner Person und seiner Familie und sein Eigentum zu schützen; mit andern Worten: es ist dem Menschen eigen für sein Dasein zu kämpfen. Der gelehrte Jurist beweist rechtskundig, dass die heiligste Pflicht des Menschen die Verteidigung seines Rechtes ist, folglich der Kampf.

      Jedoch man braucht sich nur auf einen Moment von dem Gedanken loszusagen, dass die bestehende, von den Menschen getroffene Einrichtung die allerbeste, die heiligste Einrichtung des Lebens sei, – und sofort kehrt sich der Ausspruch dessen, dass die Lehre Christi der menschlichen Natur nicht entspreche, gegen diejenigen, die solchen Ausspruch tun. Wer wird darüber streiten, dass nicht nur das Quälen und Töten eines Hundes, eines Huhnes oder Kalbes der menschlichen Natur zuwider und qualvoll ist? (Ich kenne Leute, die von der Landwirtschaft leben und aufgehört haben Fleisch zu essen, weil sie gezwungen waren ihr Vieh selbst zu schlachten.) Und bei alledem ist unsere ganze Lebenseinrichtung eine derartige, dass jedes persönliche Glück eines Menschen durch das Leiden anderer Menschen erkauft wird, was doch der menschlichen Natur entgegen ist. Die ganze Einrichtung unseres Lebens, der ganze komplizierte Mechanismus unserer Einrichtungen, welche die Gewalttätigkeit zum Zweck haben, zeugt davon, bis zu welchem Grade die Gewalttätigkeit der menschlichen Natur zuwider ist. Kein Richter wird sich dazu entschliessen denjenigen, den er seinem Rechte nach, zum Tode verurteilt hat, selbst mit dem Stricke zu erdrosseln. Kein Vorgesetzter wird sich entschliessen den Bauer seiner weinenden Familie zu entreissen und ihn ins Gefängnis zu sperren. Kein General oder Soldat wird ohne Disziplin, ohne Eid und Krieg hunderte von Türken, Franzosen oder Deutschen töten und ihre Dörfer zerstören, ja sich auch nur entschliessen einen einzigen Menschen zu verwunden. Alles dies geschieht nur dank jener komplizierten Gesellschafts- und Staatsmaschine, deren Aufgabe darin besteht die Verantwortlichkeit der zu vollführenden Missetaten derart zu zersplittern, dass niemand die Widernatürlichkeit dieser Handlungen empfinde. Die einen schreiben die Gesetze, die andern wenden sie an, die dritten richten die Leute ab, indem sie ihnen die Gewohnheiten der Disziplin, d. h. der sinnlosen, stummen Unterwerfung, anerziehen, die vierten – eben diese abgerichteten Leute – begehen allerhand Gewalttaten, töten sogar Menschen, ohne zu wissen warum


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